Winnenden, St. Borromäus
Schrifttexte: Ps 77, 1-21; Offbg 21,1-5
Liebe Angehörige! Liebe Trauergemeinde!
Mein Herz grübelt bei Nacht, ich sinne nach, es forscht mein Geist …’ (Ps 77,7) Wer von uns, die wir immer noch in fassungsloser Trauer hier versammelt sind, könnte diese Worte aus dem eben gebeteten Klagepsalm nicht mitsprechen? Es sind Worte, die auch aus unseren, vom vielfachen Tod verstörten Herzen kommen. Wie dem verzweifelten Beter geht es heute besonders Ihnen, den Angehörigen, die Sie so schwer getroffen sind. Ihnen gilt mein, unser aller tief empfundenes Mitgefühl. Ihnen, die unermessliches Leid tragen müssen, Ihnen, denen die liebsten Menschen genommen wurden. Ihnen wollen wir zur Seite stehen, sie stützen, Ihre Trauer und Ihren Schmerz teilen. Deshalb sind wir hier zum gemeinsamen Gottesdienst.
‚Ich rufe zu Gott, ich schreie, ich rufe zu Gott, bis er mich hört.’ (Ps 77,1) Auch das ein Wort aus dem Psalm. Jetzt ist Zeit für diesen Ruf! Heute ist Raum für diese Klage – damit Gott uns hört!
Heute ist noch nicht die Zeit, daran zu denken, was zu tun sein wird und wo wir uns ändern müssen. Nein: Jetzt ist Zeit zum Weinen, zum Klagen und zum Trauern.
Deshalb war es in diesen Tagen und ist es in dieser Stunde gut, Ihnen, den Angehörigen, mitmenschliche Verbundenheit zu zeigen und Sie Nähe spüren zu lassen. Wir sind verbunden mit Ihnen, die Sie Ihr Kind, die Ehepartnerin, den Verwandten, die Kollegin, Freund oder Freundin verloren haben. Wir sind verbunden mit Ihnen, die an den Ereignissen und auch an Gott zu verzweifeln drohen.
Ich weiß, viele konnten tröstende Nähe spüren in diesen Tagen durch Menschen an ihrer Seite, durch Notfallseelsorger, Sanitäter, Psychologen, Pfarrer und viele andere Menschen, die einfach da sind. Sie sind nicht verlassen! Wir alle danken den Helfern!
Doch unser von Schmerz erfülltes, noch lange nicht verklingendes: WARUM?, können wir auch zu Gott selbst tragen. Ein Mensch, der selbst Leid und Tod erlebte, schrieb einmal in sein Tagebuch: "Wenn ich selbst drüben bin, bei Gott, werde ich ihn selbst auch fragen über all das, was ich in diesem Leben nicht begreifen konnte, und wo ich nirgends eine Antwort gefunden habe." Wir ungetrösteten Menschen können an Gott selbst die Fragen richten, die uns zutiefst erschüttern.
In der Lesung aus der Offenbarung des Johannes antwortet Gott auf unser Klagen. Er lässt uns wissen, ‚die alte Erde wird vergehen, ein neuer Himmel wird über euch aufgehen, unter dem kein Tod mehr sein wird’. Gottes Versprechen gilt einer neuen Zeit für uns, für Sie, die Leidtragenden. Gottes Versprechen gilt einer neuen Welt zum Leben. Im Glauben begreifen wir: Die Zukunft von Gott her ist nicht die endlose Verlängerung der heutigen Not und Bedrängnis. - Sie, liebe Angehörige, die so leiden unter dem Schmerz des Verlustes, können hoffen: Ihre Kinder, Ihre Kolleginnen, Ihre Angehörigen, Ihre Liebsten liegen in den offenen Armen Gottes. Sie sind gehalten von seiner Liebe. Gott selbst ist nahe und schenkt neues Leben.
Liebe zum Gedenken Versammelte! Manche werden sich schwer damit tun, diesen Trost für sich heute anzunehmen. Da sind noch lange und mühsame Wege zu gehen, und manche Wunde wird kaum heilen können. Aber dieser Trost von Gott her ist keine billige Vertröstung, die schrecklichen Ereignisse werden nicht verdrängt. Gott weiß um unsere Tränen, um unsere Mühsal, unsere Fragen und Anklagen (vgl. Apk 21,4): Gott selbst weiß um den Tod - in seinem Sohn hat er ihn selbst erlitten – so trägt er ihn mit uns.
Im Glauben sind wir uns gewiss: Gott schaut auf die Mächte des Todes, die uns bedrücken, bedrohen, ja, die hier das Leben von Menschen vernichtet haben. Gott kommt uns entgegen auf den schweren Wegen dieser Tage. Er sieht den Schmerz, das Leid und die Not. Er hat es überwunden, weil er in Jesus Christus den Tod selbst getragen und in neues Leben verwandelt hat. Wir dürfen glauben und hoffen, dass Ihre lieben Angehörigen bei IHM sind.
Liebe Schwestern und Brüder,
wir erfahren Trost und Beistand aus dem Versprechen Gottes, uns gerade auf solch rätselhaften Wegen heilsam nah zu sein. Dieses Vertrauen spricht aus dem Christus-Lied ‚O Haupt voll Blut und Wunden’, das wir gleich gemeinsam singen. Da heißt es: Wenn mir das Allerschlimmste widerfährt, „So tritt DU - Herr - dann herfür. Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein.’
Gott kommt uns entgegen mit seiner Liebe. Das ist die Kraft unseres christlichen Glaubens. ER trägt uns - gerade heute. Halten wir die Hoffnung fest: Gott hält uns in seinen Armen.
Amen.