Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt bei 100 Jahre Sozialdienst katholischer Frauen 2003

Stuttgart

Schrifttext: Kol 1,3-6.9-11; Lk 13,10-21

Liebe Frauen vom Sozialdienst katholischer Frauen, liebe Schwestern und Brüder!

‚Wussten sie schon, dass die Nähe eines Menschen gesund machen kann?’ Diese Zeile aus dem eingangs gehörten Gedicht von Wilhelm Willms bringt die Frohbotschaft unseres Glaubens und in besonderer Weise auch das Evangelium des heutigen Tages auf den Punkt: Es geht um die Nähe, die Menschen gesund machen kann (damit indirekt natürlich auch um die vielen Arten von Krankheit, die durch Ferne und Alleinlassen entstehen). Nähe kann gesund machen. Darum geht es in der Mitte unseres Glaubens. In der Mitte unseres Lebens und Handelns als Christen in der Nachfolge Jesu.

Im Abschnitt aus dem Lukasevangelium hören wir, wie Menschen durch Nähe geheilt werden. Da ist eine Frau, ‚die seit vielen Jahren krank war, weil sie von einem Dämon geplagt wurde; ihr Rücken war verkrümmt und sie konnte nicht mehr aufrecht gehen.’ Wir alle kennen selbst, aus unserem näheren und weiteren Umfeld oder auch durch die täglich-alltäglichen Nachrichten unzählige Arten von Krankheiten und dämonischen Plagen, die Menschen und zumal Frauen niederdrücken und daran hindern, als Mensch würdig zu leben und aufrecht zu gehen.

Gekrümmte Rücken können mancherlei Ursachen haben: Die Bandbreite reicht von individuellen Krankheitsgeschichten über biografische Verkrümmungen bis hin zu sozial bedingten Gründen. Manchmal sind die Ursachen offensichtlich, oft jedoch liegen sie tiefer, sind gar versteckt und wollen aufgedeckt werden. Und eben diesen Dienst leistet Jesus in der Szene zuerst: Er entdeckt, nimmt Leiden wahr, scheut sich nicht, genauer hinzusehen. Durch diese Wahr-Nehmung erst kommt er in die Lage zu helfen. Offene Augen und ein Herz, das sich vom anderen und seiner Not anrühren lässt, sind erste Schritte auf dem Weg der Heilung.

Diesen Schritten folgt jedoch nun das für die Situation Entscheidende: Denn Jesus scheut die Nähe nicht, er lässt die Frau nahe an sich heran und sagt ihr in dem Moment Heilung von ihrem Leiden zu, in dem er sie berührt. ‚Im gleichen Augenblick richtete sie sich auf und pries Gott.’ Nähe kann heilen und Jesus lässt Menschen erfahren, dass Gott heilsame Nähe verschafft. Diese heilsame Erfahrung der Nähe Gottes lässt die Frau nicht nur aufgerichtet leben, sondern mehr noch hierin verstehen, wer und vor allem wie Gott ist. Lassen wir Menschen in Not in unsere Nähe?

Es ist weit mehr als ein sprechender Zufall, dass sich an diese Begegnung in der Synagoge zwei Gleichnisse vom Reich Gottes anschließen. Das Thema der jesuanischen Botschaft und der innerste Kern seiner Verkündigung ist der Anbruch des Reiches Gottes. In ihm selbst, in seinem Handeln bricht es an, wird es erfahrbar, ist es ganz nahe, spürbar nahe gekommen. Sagt den Menschen: Das Reich Gottes ist nahe. Dieser Satz wird durch Jesu heilende Nähe zu den Menschen erfahrbar. Das Reich Gottes ist nahe: Dort, wo Menschen heilsame Nähe erfahren, beginnt etwas vom Reich Gottes. So ereignet sich zugleich Nähe Gottes und der Menschen. Für diese Botschaft steht Jesus mit seinem Leben und Handeln bis zuletzt ein. Und zur Verwirklichung dieser Botschaft der Nähe Gottes durch Nähe zu den Menschen lädt Jesus alle ein, die ihm nachfolgen.

Der Sozialdienst katholischer Frauen kann heute sein 100jähriges Jubiläum begehen und ich wüsste keinen passenderen Jubiläumstext, den ich Ihnen in ihr Geburtstagsbuch eintragen würde als die eben gehörte Szene aus der Synagoge. Denn so wie Jesus stellt auch der Sozialdienst katholischer Frauen gekrümmte Menschen in den Mittelpunkt seiner Aufmerksamkeit. Besonders Frauen, die von Krümmungen geplagt und auf vielfältige Weise niedergedrückt werden. Frauen, Kinder und Familien sind nach wie vor von Armut besonders betroffen. Deshalb sind Dienste, wie der Sozialdienst katholischer Frauen sie vorhält, so wichtig. Im Zuge der aktuellen Diskussionen, wo gespart werden muss, müssen wir auch wissen, dass Kinder die Zukunft der Gesellschaft sind. Sie brauchen gute Startvoraussetzungen und Eltern, die ihre Erziehungsverantwortung gut wahrnehmen können. Und dort, wo dies aus eigener Kraft nicht möglich ist, müssen wir kompetent helfen können. Damit Familienleben überhaupt gelingen kann, bedarf es eines Ortes, an dem sich die Eltern und Kinder wohlfühlen. Grundvoraussetzung hierfür ist ausreichender Wohnraum.

Frauen, insbesondere sozial benachteiligte Alleinerziehende, dürfen durch die Erziehungsleistung beruflich nicht ins Abseits geraten. Für all diese Aufgaben muss der Sozialdienst katholischer Frauen weiterhin ausreichend Unterstützung erhalten. Beim SkF wird mit viel Idealismus, ehrenamtlicher Hilfe, Engagement und Tatkraft effektive Lebenshilfe geboten, die an anderer Stelle weit aus teurer angeboten werden müsste. Auch wir als Kirche werden diese entschiedene Option zu beachten haben.

Es geht um Frauen und Familien, die es bitter nötig haben, dass das Augenmerk auf sie gerichtet wird, dass jemand sich nicht scheut, ihnen nahe zu kommen und bei ihnen und ihrer Lebenssituation heilsam einzugreifen, Hand anzulegen dort, wo Nähe notwendig und heilsam zugleich ist. Und eben das tat und tut der Sozialdienst katholischer Frauen auf vielfältige Weise und ich bin dafür zutiefst dankbar. Aber eben nicht nur die Effektivität seiner Hilfen sprechen für den Sozialdienst katholischer Frauen. Oft viel gewichtiger ist die gute Balance zwischen professionalisierte Hilfe und ehrenamtlichem Tun, all dies getragen von einem christlichen Menschenbild, wonach jede Ratsuchende Akzeptanz findet und Zuspruch erfährt.

Es zeichnet die Frauen vom Sozialdienst katholischer Frauen aus, dass sie stets mit gutem Gespür für das Richtige und Wichtige die Hilfen fortentwickelt haben und sich hierbei zugleich von Gottvertrauen und wachem Blick für Notlagen von Frauen und Familien haben leiten lassen. Auch in Zukunft braucht der Sozialdienst katholischer Frauen dazu starke Partnerinnen und Partner, um etwas zu verändern. Hier ist auch die Kirche gefordert, Initiative zu ergreifen und solche Bündnisse und Netzwerke zur Umsetzung zu verhelfen. Denn es braucht breite Bündnisse für Familien, die lokal und bundesweit den Interessen von Frauen, Kindern und Familien zur Umsetzung helfen, damit Verkrümmungen beseitigt werden, aufrechter Gang und Leben menschenwürdig möglich ist. Gerade in schwierigen Zeiten ist dies notwendiger denn je. Und eben dadurch leisten sie einen Dienst im Namen der Kirche zu Heilung und Heil der Menschen und lassen so die Nähe Gottes erfahrbar werden. ‚Verkündet allen: Das Reich Gottes ist nahe!’

‚Wussten sie schon, dass die Nähe eines Menschen gesund machen kann?’ Der Sozialdienst katholischer Frauen wusste das von Anfang an, und er wusste, dass Wissen allein nicht genügt, sondern dass es vielmehr darauf ankommt, hinzuschauen, wahrzunehmen und kompetent mit dem heilsamen Handeln anzufangen.

Ich wünsche dem Sozialdienst katholischer Frauen auch für die kommende Zeit einen wachen Blick, die richtigen Wege und ein entschiedenes Handanlegen an all die Verkrümmungen, unter denen Menschen auch heute noch leiden.

Mögen Sie alle in ihrem christlichen Handeln gesegnet sein.


Amen.

Weitere Nachrichten

Inklusion
Der Festakt zum Projektabschluss „Bibel in leichter Sprache“ fand am 24. April in der Akademie in Hohenheim statt.
Weiterlesen
Dekanekonferenz
Die Diözesanleitung hat sich erstmals in der Sedisvakanz intensiv mit der mittleren Führungsebene ausgetauscht.
Weiterlesen