Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt bei der Krankenwoche 2002

Ellwangen

Schrifttexte: 1 Joh 4,7-16; Mt 11,25-30

Liebe Schwestern und Brüder!

Am Anfang steht die Zusage: Ich werde euch Ruhe verschaffen! Es ist die große Einladung an alle Mühseligen und Beladenen, und viele von uns können von solchen Lasten eine Menge erzählen: Erzählen von körperlicher oder seelischer Krankheit, von der Erfahrung, am Rande zu stehen, von Ausgrenzung, von Problemen in der Beziehung, am Arbeitsplatz, von Einsamkeit, die manchmal schwerer drückt als alles körperliche Leid. Kommt her, die ihr euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt; ich will euch Ruhe verschaffen! Eine andere Übersetzung des gleichen Satzes macht es noch deutlicher: ‚Heran zu mir alle, ihr Mühenden und Überbürdeten: Ich werde euch aufatmen lassen.‘

Was für eine Zusage! Erinnern wir uns daran, wie wir das letzte Mal befreit aufgeatmet und wieder Luft bekommen haben. Jesus möchte, dass wir in seiner Nähe Luft bekommen, dass wir nicht panisch und kurzatmig werden vor Angst und Not: Jesus sagt uns selbst Aufatmen zu, mehr noch, er verspricht, dass er selbst unser Aufatmen sein wird.

Und mit solcher Zusage läßt sich auch die Einladung Jesu annehmen, eine Einladung, die zugleich auch Aufforderung ist: Rafft euch auf, nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir! Die zugleich dazugegebene Auskunft, dass sein Joch leicht zu schultern sein werde, macht die Bereitschaft sicherlich größer. Worin die Herausforderung denn bestehen wird, darüber gibt der Text zunächst wenig Auskunft, denn Jesus zeichnet eine Art Selbstporträt: ‚Ich bin gütig und von Herzen demütig.‘ Wenn es aber für Jesus an der Stelle ausreichend ist, als Aufgabe nur seine Grundeigenschaften zu nennen, dann heißt das doch für uns: Von Jesus lernen, heißt lernen, wie Jesus zu sein. Bedeutet das aber nicht eine hoffnungslose Überforderung? Als hätte er diese Angst geahnt, schließt Jesus mit der Zusage, dass die Last leicht und das Joch nicht drückend sei. Also nochmals: Von Jesus lernen, heißt lernen, wie Jesus zu sein.

Versuchen wir dies zu konkretisieren, können wir sagen, dass der Inbegriff Jesu das radikale Leben für andere ist. Jesus ist darum im wahrsten Sinne glaub-würdig, weil er die große Einladung nicht nur überbringt, sondern diese Einladung mit seinem Leben und Sterben, mit seinem Erzählen und Handeln, mit seinem Tod und seiner Auferstehung schon vorgelebt hat. Deshalb können Menschen ihm glauben und auf sein Wort vertrauen, dass bei ihm Aufatmen möglich wird. Jesus läßt die Menschen in seiner Nähe erfahren, wie das ist, wenn ein anderer die Lasten für einen trägt. Das ist eine wunderbare Erfahrung im Leben eines Menschen, wenn die eigenen kleinen und großen Lasten auf einmal viel leichter sind, weil da jemand ist, der sie mit uns trägt.

Insofern heißt Christsein, für den anderen dessen Lasten zu tragen, damit der aufatmen kann. Und wem von uns fallen da nicht Menschen und Situationen ein, wo die heilsame Nähe eines Lastenträgers unendlich wichtig ist. Christsein heißt, im Glauben an Jesus das Vertrauen zu haben, dass unsere Lasten mitgetragen werden. Aber Christsein heißt auch, einen Blick dafür zu entwickeln, wo und wie wir füreinander zu solch heilsamen Lastenträgern werden können. Und dieses Tragen kann ganz unterschiedlich sein: Es ist der Moment, in dem wir einen Sehbehinderten über die befahrene Straße begleiten, es ist die Stunde, die wir uns Zeit für die Sorgen einer alten Frau nehmen, die allein in ihrer Wohnung sitzt, es ist der Einkaufsbummel, den wir zusammen mit einem Rollstuhlfahrer machen, der allein nie in die oberen Etagen kommen könnte.

Wohin und wieweit solch ein Lernprozess führen kann, darüber gibt der Abschnitt aus dem Johannesbrief Auskunft, den wir eben gehört haben. Er schreibt: ‚Jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott.‘ (1 Joh 4,7) Wieder findet sich also die gleiche Doppelung zwischen Zusage und Aufforderung, zwischen Versprechen und der Einladung, das eigene Leben zu verändern. Wieder steht zuerst die Zusage: ‚Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat.‘ (1 Joh 4,10) Aus dieser Zusage folgt im gleichen Atemzug der Ruf in die Nachfolge: Weil wir die Liebe Gottes in Jesus Christus konkret erfahren, ist es auch möglich, selbst zu lieben, selbst für andere Lasten zu tragen, die Sache Jesu als unsere Aufgabe zu übernehmen: ‚Daran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns bleibt: Er hat uns von seinem Geist gegeben.‘ (1 Joh 4,13)

Wir alle sind davon immer wieder herausgefordert. Und es ist eine Heraus-Forderung im wahrsten Sinn des Wortes: Sie holt uns heraus aus bisherigen Strukturen, Denk- und Verhaltensmustern oder unseren oft so liebgewonnenen Lebensweisen. Nachfolge Jesu heißt in seinem Geist zu leben ist, heißt im Geist des Lastträgers zu handeln. Beim Christsein kommt alles auf das Tragen an. Und wer könnte uns dieses Leben besser vor Augen führen als der heilige Christophorus, der das Tragen zu seiner regelrechten Lebensbestimmung gemacht hat.

Liebe Schwestern und Brüder, ‚Heran zu mir alle, ihr Mühenden und Überbürdeten: Ich werde euch aufatmen lassen.‘

Christsein hat mit Aufatmen zu tun und auch damit, anderen bei ihrem Aufatmen zu helfen. Der Gott Jesu Christi lasse uns Aufatmen finden für unser Leben, sein Geist lasse die Kirche zu einer atemreichen, mittragenden Gemeinschaft werden, in der Menschen Luft bekommen für das Leben, in der alles menschliche Leben erleichtert aufatmen kann.

Amen.

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