Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt bei der Ulrichswallfahrt 2002

Augsburg

Schrifttexte: 1 Petr 5,1-4; Lk 14,12-14

Liebe Schwestern und Brüder!

In den Versen des eben gehörten Evangeliums haben wir einen scharf beobachtenden und überraschend agierenden Jesus vor uns.

Stellen wir uns die Situation ganz konkret vor: Jesus befindet sich inmitten der Tischrunde eines vornehmen Hauses in erlauchter Gesellschaft. Bevor die Geladenen sich setzen, beginnt eine unauffällige, aber unübersehbare Drängelei nach den besten Plätzen. Jesus nimmt das wahr und gibt zunächst einen merkwürdigen Ratschlag, sich doch um die letzten Plätze zu bemühen, den Wettlauf und das Streben nach Macht und Anerkennung gerade nicht mitzumachen, sondern ihn heilsam zu unterbrechen. Seine Begründung: ‚Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.‘ (Lk 14,11)

Der Satz ist noch bekannt, wenn wir ihn auch in unserem Alltag nicht zu sehr umsetzen. Wie oft leiden Menschen unter dem gesellschaftlichen Druck, etwas sein zu müssen, eine Rolle zu spielen, den einmal erstrittenen Platz mit Macht behaupten zu wollen. Sei es am Arbeitsplatz, im Schul- und Berufsleben und oft leider auch in unseren Gemeinden. Ein Streß um Macht, Stellung, Rang und Namen, um Anerkennung und Erscheinung, der uns unter Druck setzt und oft regelrecht krank macht. Der Rat Jesu ‚Bei euch aber soll es nicht so sein‘ zeigt da eine wirklich menschenfreundliche und heilsame Alternative auf.

Aber ehe nun ein Wettlauf in die andere Richtung beginnt, ein dann wirklich absurder Streit, wer denn auf dem letzten Platz sitzen dürfe, geht Jesus im heutigen Evangelium noch einen entscheidenden Schritt weiter. Er fragt den Gastgeber weiter, ob denn vielleicht an der ganzen Tafelrunde von Freunden, Verwandten und reichen Nachbarn etwas ganz anderes schief sein könnte. Er stellt sich eine andere Situation vor und konfrontiert den Gastgeber mit einer anderen Art von Einladung, eine Situation, in der von selbst jegliches Drängeln, jeder Wettlauf um Ehre unmöglich, ja undenkbar wäre. Wo der oberste Platz genau gleichviel bedeutet wie der unterste, weil die Bedeutung in der Einladung selbst besteht. Jesus malt gleichnishaft die ganz andere Einladung aus, sozusagen die Einladung zur Tafelrunde Gottes.

‚Wenn du ein Essen gibst, dann lade Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein.‘ Eine Einladung also an die Menschen, die nichts zu bringen, nichts zu bieten haben, die keine eigene Ehre vorzuweisen und gegenseitig zu vergleichen wissen, die kein anderes Recht zum Kommen und zum Dabeisein besitzen als die Güte und die Freundlichkeit dessen, der sie erstaunlicherweise eingeladen hat. Die Würde dieser Menschen besteht nicht in diesem oder jenem, was sie ‚bringen‘, sondern Menschen sind eingeladen, weil sie Menschen sind: Gottes Einladung zu seiner Tafelrunde gilt allen Menschen, gerade denen, die wir nie im Blick hätten, wenn wir unsere Tafeln zusammenstellen. Jesus kann ein solches Gleichnis deshalb so glaubwürdig erzählen, weil er selbst damit anfängt und seinen Blick und sein heilsames Handeln gerade auf diese Menschen lenkt. Bei Jesus stimmen Worte und Taten überein, das Gleichnis von der ganz anderen Tafelrunde Gottes und seine spürbar guten Taten für die Menschen am Rand der Gesellschaft.

Wenn Jesus aber diese Einladung dem Gastgeber als Gleichnis vor Augen hält, sagt das doch: Eben so soll es bei dir sein, ändere deine Praxis, lenke deine Aufmerksamkeit auf die, die dir bisher nicht entfernt eingefallen wären. Im Blick auf uns: Christliche Gemeinde, nimm Maß an der Praxis der großen Einladung Gottes, orientiere dich an der Tafelrunde Gottes, wo eben Platz ist für die, die in der Welt zu kurz kommen, die ausgegrenzt, benachteiligt, übersehen werden. Was für ein wunderbares Bild für die große Einladung zur Tafelrunde Gottes! Was für eine Herausforderung für unsere Praxis, für unser Handeln in der Welt, in der Kirche, in den Gemeinden!

Die Konsequenz aus dem heutigen Evangelium: Wenn wir diese Einladung konsequent in unserem Handeln umsetzen, dann lassen wir uns von niemandem darin übertreffen, groß vom Menschen zu denken. Vor seinen Taten und Untaten, vor seinen Leistungen und Fehlleistungen, seinen Stärken und Schwächen ist jeder Mensch von Gott erwünscht und eingeladen. Jeder Mensch ist Mensch, nicht der eine mehr, der andere weniger, nicht der eine wertvoll, der andere wertlos und ein dritter unwert. Der Begriff ‚Wert‘ kommt aus der Welt des Zählens und der Wirtschaft: Jeder Mensch aber hat nicht nur seinen Wert, sondern vielmehr zuerst eine Würde. Und diese Menschenwürde ist unantastbar, weil Gott ihr Urheber und ihr Garant ist. Wo immer Menschenwürde verletzt wird, wird Gott selbst getroffen. Und wer andererseits für die Würde des Menschen eintritt, der verwirklicht die Botschaft Jesu ganz konkret an seinem Ort, wo und wie auch immer.

Jesus gibt in seinem Gleichnis der Tafelrunde auch ganz konkrete Hinweise, wohin der Blick gelenkt werden soll: Denn nirgends sonst wird die Würde des Menschen so konkret und so schutzbedürftig wie dort, wo Menschen ausgestoßen, an den Rand gedrängt, wo sie statt eingeladen ausgegrenzt werden. Der Schriftsteller Heinrich Böll hat genau das erspürt, wenn er schreibt: ‚Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache; und mehr noch als Raum gibt es für sie: Es gibt Liebe für die, die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen.‘

Liebe Schwestern und Brüder: Gibt es diesen Raum wirklich? Sind wir als christliche Gemeinde in der Welt daran zu erkennen, dass wir in der Nachfolge Jesu die große Einladung Gottes umsetzen und konkret verwirklichen?

Wenn uns diese Einladung zu unkonkret oder auch zu schwierig erscheint, haben wir die Möglichkeit, auf einen Heiligen wie Ulrich zu schauen und von ihm zu lernen. Er macht die Erfahrung des Evangeliums und läßt sich so einladen, dass er die Herausforderung annimmt. Alle Zeugnisse, Berichte und Legenden über sein Leben stimmen eigentlich darin überein, dass er neben seinen Verdiensten um Domschule, Predigt oder Liturgie besonders in seiner Sorge um und für die Armen vorbildhaft gelebt hat. Ulrich gibt ein Beispiel dafür, wie konsequent Nachfolge Jesu im konkreten Leben gestaltet werden kann. Eine Lebensweise, die gerade das heutige Evangelium beim Wort nimmt, die Jesus in der jeweiligen Situation nachzufolgen versucht.

Der heilige Ulrich lebte vorbildhaft und glaubwürdig ein neues Leben vor, das an der großen Einladung Gottes sein Maß nimmt. Es ist ein Leben, das um Not und Elend keinen Bogen macht, sondern solidarisch und mitleidend Anteil nimmt. Es ist ein neues Leben, das auf Ruhm, Ehre und Titel nichts gibt und auf Menschsein alles. Ein erneuertes Leben, das auch Krankheit oder Behinderung, Leiden, Sterben und Tod nicht ausblenden will, sondern es annimmt, weil es zum Leben dazugehört. Wir können nicht mit dem Rücken zur Not fromm sein.

Lassen wir uns am Evangelium, am Wort Gottes messen, nehmen wir den so eindrucksvoll erzählten Impuls des Gleichnisses auf und lassen ihn zu unserem alltäglichen Pulsschlag werden. Die Einladung Gottes für die Armen, die Krüppel, die Lahmen und Blinden möge der Kompaß unseren Handelns sein!

 

Amen.

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