Ellwangen
Schrifttexte: Röm 3,21-28; Mt 7,21-27
Liebe Schwestern und Brüder aus Nah und Fern!
Ein ganz herzliches Willkommen sage ich Ihnen allen, die Sie sich heute zur Wallfahrt der Vertriebenen auf den Ellwanger Schönenberg aufgemacht haben! Ich freue mich sehr, dass ich diesen Tag heute mit Ihnen feiern darf. Durch die Tradition dieser Wallfahrt auf den Schönenberg setzen Sie gemeinsam gute Zeichen: Zeichen, wie unser Glaube dazu beitragen kann, in der Fremde Heimat zu gewinnen. Zeichen, dass das Leben im christlichen Glauben Wege ermöglicht, damit eine anfängliche Fremde immer mehr zu einer vertrauten Heimat werden kann.
Zeichen, wie aus Fremden Geschwister im Glauben werden, die in der Gemeinschaft des Glaubens und in der Gemeinschaft unserer einen Kirche Wege der Versöhnung zueinander und miteinander finden. Ein ganz konkretes Zeichen hierbei ist, dass Gäste aus der Slowakei hier am Altar als Konzelebranten dabei sind.
All das geschieht auch am heutigen Tag und wir feiern es in besonderer Weise in diesem festlichen Gottesdienst. Wir sind gekommen, um gemeinsam zu singen und zu beten. Es ist dies bereits die 60. Wallfahrt hierher auf den Schönenberg. Viele von Ihnen haben einen weiten und beschwerlichen Weg auf sich genommen. Es ist ein weiter Weg von der Vertreibung zur Versöhnung. Manche Wunde schmerzt, manche Narben sind noch sichtbar.
So wird auch diese Wallfahrt zu einer Einübung dessen, was wir auf dem Weg der Versöhnung, dem Weg von der Fremde in die Heimat tagtäglich tun müssen. Wer sich zu einer Wallfahrt aufmacht, der ist bereit, Vertrautes und Altes hinter sich zu lassen, der ist bereit, sein Herz zu öffnen.
Wer sich auf den Weg macht, ist bereit, Neues in den Blick zu nehmen und scheut nicht die Mühe, sich Schritt für Schritt dafür einzusetzen. Die Wunden und Narben von Krieg, Vertreibung und Heimatverlust schmerzen sicher bei manchem von Ihnen auch nach vielen Jahren. Und doch ist es auch immer wieder wie ein Wunder, wenn wir erleben dürfen, wie eine neue Heimat entstehen kann – und für Sie entstanden ist!
Gerade unser christlicher Glaube öffnet Wege der Versöhnung. Menschen lernten sich als Geschwister der einen Glaubensfamilie kennen. Wie sie nicht mehr fremd einander begegneten, sondern mit offenen Armen miteinander Neues versuchten und so füreinander Heimat gestalteten. Vieles ist möglich geworden im Blick auf das Gnadenbild, auf Maria vom Schönenberg: Ihr Schicksal, Vertreibung, Flucht, Fremde, Angst und Sorgen mündete ein in ihre Bestimmung.
Sie haben trotz ihrer Erfahrungen von Vertreibung, Verlust der Heimat, Trennung der Familien und anfänglichen Ressentiments in der neuen Heimat wirksame Zeichen für Versöhnung und Partnerschaft gesetzt. Die Wallfahrt hier ist eines davon. Aus der Kraft des Glaubens finden Sie Zuflucht bei Maria. Damit ist Ihnen auch der Brückenschlag in die heutige Zeit gelungen. Denn Sie wendeten mit Großmut und Offenheit den Blick nach vorne! Von der Fremde in die neue Heimat! So haben Sie kontinuierlich und überzeugend für ein friedliches und versöhntes Miteinander im heutigen Europa gearbeitet.
Glaube öffnet Wege, wie in der Fremde Heimat entstehen kann. Ja, wie eine gemeinsame Heimat des Lebens aus dem Glauben heranwächst, in der sich niemand fremd fühlt: Denn im Haus des Glaubens sorgt jede und jeder für den anderen. Und da ist die verschiedene Herkunft sogar eine außerordentliche Chance und wechselseitige Bereicherung: Mit ihren unterschiedlichen Wurzeln bilden Sie schon durch ihre Herkunft eine gelebte Brücke zwischen Ost und West.
Und so, liebe Schwestern und Brüder, kann diese Vertriebenenwallfahrt, kann die mehr und mehr gelungene Integration der damals Vertriebenen in eine neue Heimat nun zum Modell werden. Zum Modell, wie in einem zusammenwachsenden Europa für die Menschen wirkliche Heimat wächst. Eine Heimat, in der sich Menschen daheim, zuhause fühlen. Eine Heimat, in der nicht nach Einheimischer und Fremder, nach Ost und West, nach Nord und Süd unterschieden und ausgegrenzt wird. Nein, wirkliche Heimat, in der wir gemeinsam als Geschwister im Glauben ein stabiles, auch in Zukunft auf tragendem Felsgrund gebautes Haus erbauen.
So sei diese 60. Vertriebenenwallfahrt zugleich ein weiterer kleiner Schritt auf dem Weg der Versöhnung und des Friedens, auf dem Weg der Geschwisterlichkeit und der Gerechtigkeit für die Völker und Länder West- und Osteuropas! Sie verwirklichen tagtäglich, was es heißt, aus der Kraft unseres Glaubens zu leben! So bauen Sie aus christlichem Geist wirksam mit am neuen Haus Europas. So lade ich Sie ein, aus Ihrer Erfahrung und Geschichte heraus im Geist christlicher Versöhnungsbereitschaft Brückenbauer in Europa zu sein und Zukunft zu gestalten. Und dies tun wir, indem wir aus Fremden Freunden machen, in der Fremde Leben miteinander gestalten und so wirkliche Heimat entstehen kann. Und ich bin sicher, wenn dieses zukünftige Europa von christlichem Geist erfüllt ist, dann gilt für dieses gemeinsame Haus der Satz aus dem Evangelium: „Als nun die Stürme tobten und an dem Haus rüttelten, da stürzte es nicht ein; denn es war auf Fels gebaut.“
Liebe Schwestern und Brüder, in der Kirche gibt es keine Fremden, im Haus Gottes gibt es keine Unterscheidung nach Rasse, Klasse, Herkunft und Nation: Da wächst wirkliche Heimat im Geist der Nächstenliebe und Versöhnung. Aus diesem Geist der Versöhnung entsteht die Grundlage für das Zusammenleben in der einen, gemeinsamen Heimat.
Wir alle sind heute hier verbunden in dem, der uns aus West und Ost, aus Nah und Fern zusammenführt: Jesus Christus. Er ruft uns zusammen an seinen Tisch. Er gibt uns die Kraft für den Weg. So ist die Wallfahrt, dieser Weg der Versöhnung ein Bild für unser Leben, ein Bild für unsere Kirche: Eine pilgernde Kirche. Kirche ist Gemeinschaft! Kirche ist Weggemeinschaft! In der Feier der Heiligen Messe wird uns die lebendige und gnadenreiche Gemeinschaft mit ihm geschenkt. Es ist das Sakrament jener Gemeinschaft mit Gott, die auch uns alle in der Gemeinschaft der heiligen Kirche eint und verbindet. Der lebendige Gott ist mit uns auf dem Weg und schafft aus der Fremde Heimat! Immer und überall!
Amen.