Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt beim Aschermittwoch der Künstler 2003

Stuttgart-Hohenheim, Akademie der Diözese Rottenburg-Stuttgart

Liebe Künstlerinnen und Künstler, liebe Schwestern und Brüder!

Im Buch der Schöpfung ist die biblische Philosophie zu lesen: "Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen, bis du zurückkehrst zum Ackerboden; denn von ihm bist du ja genommen. Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück." (Gen 3, 19) Staub bist Du, und zum Staub musst du zurück! Welch ein Wort! Und wer zuckt nicht zurück vor diesen Worten. Dieses Wort für die aus dem Paradies Vertriebenen wird uns heute zugemutet. "Staub bist Du und zum Staub musst du zurück!" Und die Bibel spricht vom ganzen Menschen.

Der Mensch der Bibel ist sich seiner selbst bewusst. So selbst-bewusst, dass er auch weiß, dass er, Staub vom Staub, doch nicht verlassen ist.

Und wir heute? Dass wir trotz Fröhlichkeit und Spaß nicht im Paradiese leben, das muss uns nicht erst gesagt werden. Aus den fröhlichen Urständ sind wir vertrieben. Wir leben unser Leben unter den Bedingungen dieser Welt und dieser Zeit. Da ist auf der einen Seite das drohende Kriegsszenario als alles beherrschender Hintergrund. Die Menschen sind scheinbar auch im dritten Jahrtausend nicht in der Lage, mit entschlossener Friedensliebe eine entschlossene Kriegsprävention zu betreiben und setzen statt dessen wie eh und je auf Drohgebärden und die Mechanismen eines Präventivkrieges, der seine eigene Logik entwickelt und kaum mehr vermeidbar erscheint. Auf der anderen Seite spiegeln uns die Forschungen und Erkenntnisse der Biomedizin und sogenannten Lebenswissenschaften die Utopie eines perfekten Lebens und grenzenloser Gesundheit vor. Die Frage danach, was der Mensch ist, was seine Würde ausmacht, sein Leben zwischen Freiheit und Verantwortung, diese Frage stellt sich vor dem Hintergrund ganz neu, vertieft und mit einer bedrängenden Tiefe.

Und eben aus dieser Lebenserfahrung fabrizieren viele Menschen ihre Lebens- und Überlebensphilosophien.

Da schrecken die eben zitierten Worte der Genesis uns auf und die Philosophie der Bibel klingt bedenkenswert nüchtern dagegen: „Denn Staub bist du, zum Staub musst du zurück."

Und bei eben dieser Einsicht setzt der Ritus des heutigen Tages ein. Die Asche, aus Palm-Zweigen gewonnen, die am Palmsonntag des vorausgehenden Jahres geweiht wurden, wird zum sprechenden Zeichen für unsere Sinne: Dem leiblichen Auge ein Sinnbild der Vergänglichkeit und Nichtigkeit von allem, was ist; dem geistigen Auge ein Sinnbild der Endlichkeit des Lebens mitten in einem Lebensgefühl das Un-Endlichkeit sucht und schaffen will. Asche - so auch ein Zeichen der Kritik an unserem Unendlichkeits- und Größenwahn: Sei es bei uns selbst im eigenen Leben oder im Verhalten unserer Gesellschaft und Zivilisation wirksam.

Im Zeichen der Asche feiern wir den Gottesdienst, mit dem die Liturgie der Kirche die 40 Tage der österlichen Bußzeit eröffnet, einem Zeichen von starker Aussagekraft und Wirkung. Wer sich mit Asche bestreuen lässt, anerkennt nicht nur die Bedeutung dieses Sinn-Bildes, sondern vollzieht selbst eine leibhaftige Sinn-Handlung: Ja ich gedenke mit meinem Leibe meiner Endlichkeit: dass ich Mensch Staub bin und zum Staub zurückkehre!

Die Asche, der Staub, der auf das Haupt des Gläubigen gestreut wird, ist von einer tiefen und vielschichtigen Symbolik. Der Mensch lebt nicht im Paradies, sondern in der harten Realität dieser Welt. Er lebt nicht ewig, ist nicht unsterblich, nicht ewig jung und nicht immer und ewig voller Kraft. Der Mensch hat nur kurze Zeit zu leben, dann wird aus all seiner Herrlichkeit und Pracht wieder Staub. In all seiner Einzigartigkeit und Großartigkeit wird der Mensch doch wieder zu Staub: er ist sterblich. Am Ende steht der Tod. Das Zerfallen zu Staub. Dieser Ritus hält dem Menschen unerbittlich den Spiegel vor und bedeutet eine herbe Kritik an seinem Unendlichkeitswahn. Das Sinn-Bild der Asche und die Sinn-Handlung der Aschenbestreung erhebt Widerspruch gegen die eingängigen Bilder der Selbstinszenierung von Körper und Intellekt und gegen die 'action' purer Selbstverwirklichung.

So ist, liebe Schwestern und Brüder, das Geschehenlassen und Vollziehen der Aschenbestreuung zugleich ein Akt der Umkehr, indem wir Ja sagen zu unserem eigenen durchaus endlichen Leben und dankbar Ja sagen zu dem, was uns gegeben ist.

Für mich ist dieser Ritus unter anderem aber auch die christliche Weiterentwicklung des Wortes des Sokrates: "Erkenne dich selbst!" Und dieses Programm steht bei Sokrates am Anfang der Aufklärung des Menschen über sich selbst. Der Mensch verfehlt sich, wenn er nicht erkennt und für sein Leben vollzieht, dass er sterblich, dass er endlich, dass er imperfekt ist. Die Aschenbestreuung provoziert den Menschen, sich selbst zu erkennen und sich über sich selbst nicht zu täuschen. "Gedenke, dass Du Staub bist und zum Staube zurückkehrst."

Wenn heute die Psychoanalyse sagt, der Mensch könne nur dann gesund bleiben oder wieder gesund werden, wenn er sich im Kern seiner Existenz akzeptiere, annehme, so weiß ich kein provozierendes Ritual zur Selbsterkenntnis und zur Selbstannahme als die Aschenbestreuung und das "Gedenke Mensch, Du bist Staub und kehrst zum Staub zurück!" Die Annahme der eigenen Endlichkeit ist die Bedingung eines glücklichen und sinnvollen Lebens. Es ist für mich also keine Frage, dass in der christlichen Liturgie auch anthropologische Konstanten zelebriert werden. Und so geschieht es, dass die in der Liturgie des Aschermittwoch individuell vollzogenen kollektiven Rituale - bei allem christlichen Kontext - einen zutiefst humanen Effekt haben: Uns zum wahren Leben zu befreien.

Amen.

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