Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt beim Auftakt des Solidaritätsmarsches 2004

Bad Mergentheim, St. Johannes

Schrifttexte: 2 Kor 5,17-21; Lk 15,1-3.11-32

Liebe Schwestern und Brüder,

‚Solidarität geht’ unter diesem wunderbar sprechenden und anregenden Motto haben wir uns heute Morgen hier versammelt, um gleich tatsächlich loszugehen, aufzubrechen und unsere Solidarität konkret werden zu lassen. Um programmatische Überlegungen in konkrete Maßnahmen zu verwandeln, kurz damit Taten auf Worte folgen. Solidarität geht, und zwar in diesem Jahr zur Unterstützung eines Schulbildungs- und Alphabetisierungsprojektes für Kinder und Jugendliche aus den Slums von Dhaka in Bangladesh. Ich freue mich, dass wir uns hier und heute so zahlreich versammelt haben, um unserem Glauben im besten Sinne des Wortes Beine zu machen und so zugleich mitten in der Welt und heilsam für die Menschen Zeugnis von eben diesem Glauben abzulegen.

Denn, liebe Schwestern und Brüder, dass aus dem Glauben Taten folgen, ist nicht erst eine Ableitung unserer Frömmigkeit Die Caritas ist nicht ein Seitenarm, eine Unterabteilung, die die Kirche neben vielen anderen eben auch zu erledigen hat. Nein, unser Glaube ist aus seinem Innersten heraus Handeln in der Welt und für die Menschen. Christsein ist ein Tuwort, das tatkräftig unheile Strukturen und Situationen zu heilen versucht.

Und niemand anders als Jesus Christus selbst hat uns diese innerste Verknüpfung von Glauben und Handeln bis ins Letzte vorgelebt. Ein Kernsatz der Botschaft Jesu und zugleich der Inbegriff seines Lebens ist die Solidarität mit den Menschen, besonders mit denen, die ausgegrenzt, behindert werden, Menschen, die am Rand stehen und keine Chance auf ein menschenwürdiges Leben haben. Jesus lebt den Menschen glaubwürdig vor, wie das gehen kann, dass sie einander als Geschwister wahrnehmen, annehmen und stützen. Er verkündet nicht nur den Anbruch des Reiches Gottes. Er handelt entsprechend, er buchstabiert ganz konkret durch, was Solidarität und Sympathie heißen:

Mit-Leiden, die Fähigkeit, anderes Leiden so als eigenes Leid mitzufühlen, dass man darangeht, es gemeinsam zu ändern. Fremde Lasten mit zu tragen, der Welt zu zeigen, was alles geht, wenn Solidarität geht. Denn Empfindlichkeit für das Leid der anderen und daraus erwachsene soziale Sensibilität gehört ins Zentrum dessen, was das Christentum der Welt zu geben hat.

In seiner Botschaft vom Reich Gottes hat Jesus auch immer wieder in mitreißenden und zum Handeln anstiftenden Bildern und Gleichnissen genau davon erzählt. Und es ist ein weiterer schöner Zufall, dass das Tagesevangelium dieses heutigen vierten Fastensonntags mit dem Gleichnis des verlorenen Sohnes, besser mit dem des barmherzigen Vaters, nicht nur ein herausragendes Beispiel für diese Verkündigung gibt. Vielmehr wird uns durch Jesus selbst zu verstehen gegeben, auf welch heilsame Weise die Welt und menschliche Beziehungen zu verwandeln sind, wenn Solidarität geht.

Und wenn wir die Geschichte darauf hin nochmals kurz anschauen, wird deutlich, dass sie durchaus auch als Geschichte vom Gehen zu lesen ist.

Die Geschichte vom barmherzigen Vater ist ein Gleichnis, in dem die entscheidenden Wendepunkte immer dann passieren, wenn Menschen gehen. Da ist zunächst der Aufbruch des unzufriedenen jungen Mannes, der weggeht, im fremden Land sein Erbteil durchbringt und sich schließlich reumütig auf den Heimweg macht. Und diese Stelle beschreibt der Evangelist nun sehr genau: ‚Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.’ Bevor irgendetwas gesagt wird, ist das Entscheidende längst geschehen: Die Fähigkeit des Mitleids beflügelt den Vater geradezu, mit weit offenen Armen dem Sohn entgegen zu gehen und Liebe Tat werden zu lassen.

Jesus erzählt Gleichnisse, wie Gott für uns Menschen ist, und er erzählt in diesen Gleichnissen zugleich von sich selbst, er erzählt davon, wie und dass Solidarität geht: Wie der Vater dem verlorenen Sohn freudestrahlend entgegengeht, wie er sich ihm zuwendet und ihn wieder in die Mitte der Menschen führt und ihn zur Feier des Lebens einlädt: So geht Jesus dem Verlorenen entgegen, sucht, will finden, will heimbringen. Das ist gemeint, wenn Jesus sagt: Ich bin der Weg.

In Jesu Wort und Tat spiegelt sich sein Bild von Gott, dessen Liebe ohne Maß ist. Gottes Liebe, der dem Menschen in schier närrischer Liebe wieder und wieder nachgeht, um ihn zu retten. In Jesu Person ist Gott gegenwärtig, der Verlorenem, Verirrtem, Bedrohtem nachgeht, unermüdlich sucht, bis er schließlich findet und es voller Freude heimbringt und ein Fest feiert. Durch die menschlichen Gesten und Gebärden Jesu wird Gottes Handeln am Menschen ganz gegenwärtig.

Und so gilt es auch heute, liebe Schwestern und Brüder! Denn in „menschlichen Gebärden bleibt Gott den Menschen nah“ (GL Nr. 639,4), eine mich immer wieder anrührende Formulierung in einem unserer Kirchenlieder. Seien wir sensibel, schenken wir Aufmerksamkeit und Sympathie, die Fähigkeit mitzuleiden, loszugehen dort, wo es Not tut: Denn Christen werden in der Nachfolge Jesu so wie er.

Solidarität geht, und wie sie geht. Aus der Kraft unseres Glaubens, dass Solidarität so weit geht, die Welt spürbar zu verändern, brechen wir auf, auf den Spuren Jesu. Wir alle sind durch Jesus Christus verbunden mit den Menschen weltweit, heute in besonderer Weise mit unseren Schwestern und Brüdern, mit den Kindern und Jugendlichen in Bangladesch. Jesus Christus ruft uns zusammen an seinen Tisch und lässt uns gleich aufbrechen. Er gibt uns die Kraft für den Weg. Kirche ist Gemeinschaft! Kirche ist Weggemeinschaft: Kirche lebt den Weg Jesu als Weggemeinschaft.

Was für eine treffende Beschreibung von uns als Christenmenschen, als christliche Gemeinde und als Kirche: Das sind in der Nachfolge Jesu Menschen, die als Barmherzige den Verlorenen liebevoll entgegengehen und ohne große Worte Taten sprechen lassen, Lasten mittragen und dem Gefundenen einen neuen Ort schenken, an dem sich gut leben lässt.

An solchen Orten und zu solchen Zeiten ereignet sich auch hier und jetzt der Anbruch des Reiches Gottes mitten in unserer Welt. Alles andere ist dagegen zweitrangig, denn wo das geschieht, ist der Kern der Frohbotschaft schon da. Das wäre eine wundervolle Botschaft des heutigen Tages, dass unsere Kirche eine Gemeinschaft ist, die vom Geist Jesu Christi so bestimmt ist, dass Solidarität geht. Kein Mensch darf da verloren gehen und müssten wir ihm noch so weit entgegenkommen oder hinterher gehen, ihn mittragen und stützen. Dann aber spüren Menschen weltweit, dass Solidarität geht und die Welt soll es erfahren, wie es im Korintherbrief hieß: ‚Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.’


Amen.

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