Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt beim Festgottesdienst 150 Jahre Kolping 2007

Schwäbisch Gmünd

Schrifttexte: 2 Kor 5,17-21; Lk 15,1-3.11-32

Liebe Schwestern und Brüder, vor allem:
liebe Kolpingsfamilie hier in Schwäbisch Gmünd!

Zu Ihrem 150-jährigen Jubiläum gratuliere ich Ihnen sehr herzlich! Ein großartiger Anlaß, miteinander zu feiern und in Dankbarkeit auf die vergangenen 150 Jahre zurückzublicken. Ich möchte Ihnen danken für ihren vielfachen und heilsamen Einsatz für die Menschen, für das Evangelium und dadurch für unsere Kirche! Durch ihr Engagement bei Kolping geben Sie ein eindrucksvolles Zeugnis verantwortlichen Lebens und solidarischen Handelns. Ein Zeugnis in einer Zeit und für eine Welt, die diesen Einsatz für das Leben nötiger hat denn je! Dafür nochmals von Herzen ein Vergelt’s Gott!

Liebe Schwestern und Brüder,
im Leitbild des Kolpingwerkes findet sich an zentraler Stelle der Abschnitt ‚Unsere Grundlagen‘ und der ist mit den Worten überschrieben: ‚Verwurzelt in Gott – und mitten im Leben‘. In diesem Abschnitt heißt es dann: ‚Aus dem Glauben an den einen Gott... entwickeln wir die Grundhaltungen für unser persönliches Leben und unser gemeinschaftliches Wirken.‘

Ich finde in diesem Satz nicht nur den Kernbestand unseres Glaubens formuliert, sondern auch eine Übersetzung der heutigen Schrifttexte. Denn dass aus dem Glauben Taten folgen, ist nicht erst eine Ableitung unserer Frömmigkeit. Nein, die Caritas ist nicht ein Seitenarm, eine Unterabteilung, die die Kirche neben vielen anderen eben auch zu erledigen hat. Nein, unser Glaube ist aus seinem Innersten heraus Handeln in der Welt und für die Menschen. Christsein ist ein Tuwort, das tatkräftig unheile Strukturen und Situationen zu heilen versucht.

Jesus Christus selbst hat uns diese innerste Verknüpfung von Glauben und Handeln bis ins Letzte vorgelebt. Ein Kernsatz der Botschaft Jesu und zugleich der Inbegriff seines Lebens ist die Solidarität mit den Menschen, besonders mit denen, die ausgegrenzt, behindert werden, Menschen, die am Rand stehen und keine Chance auf ein menschenwürdiges Leben haben. Jesus lebt den Menschen glaubwürdig vor, wie das gehen kann und dass es nur praktisch und konkret geht. Jesus Christus zeigt uns und lebt es vor, Menschen als Geschwister wahrnehmen, annehmen und stützen. Er verkündet nicht nur den Anbruch des Reiches Gottes. Er handelt entsprechend, er buchstabiert ganz konkret durch, was Solidarität und Sympathie heißen: Mit-Leiden, die Fähigkeit, anderes Leiden so als eigenes Leid mitzufühlen, dass man darangeht, es gemeinsam zu ändern. Fremde Lasten mit zu tragen, der Welt zu zeigen, was alles geht, wenn Solidarität geht. Denn Empfindlichkeit für das Leid der anderen und daraus erwachsene soziale Sensibilität gehört ins Zentrum dessen, was das Christentum der Welt zu geben hat.

In seiner Botschaft vom Reich Gottes hat Jesus immer wieder in mitreißenden und zum Handeln anstiftenden Bildern und Gleichnissen genau davon erzählt. Und es ist ein guter Zufall, dass das Tagesevangelium dieses heutigen vierten Fastensonntags mit dem Gleichnis des verlorenen Sohnes ein herausragendes Beispiel für diese Verkündigung gibt. Denn hier wird uns durch Jesus selbst zu verstehen gegeben, auf welch heilsame Weise die Welt und menschliche Beziehungen zu verwandeln sind. Und wenn wir die Geschichte darauf hin nochmals kurz anschauen, wird deutlich, dass sie durchaus auch als Geschichte vom Handeln zu lesen ist.

Die Geschichte vom barmherzigen Vater ist ein Gleichnis, in dem die entscheidenden Wendepunkte immer dann passieren, wenn Menschen aufbrechen. Da ist zunächst der Aufbruch des unzufriedenen jungen Mannes, der weggeht, im fremden Land sein Erbteil durchbringt und sich schließlich reumütig auf den Heimweg macht. Und diese Stelle beschreibt der Evangelist nun sehr genau: ‚Dann brach er auf und ging zu seinem Vater. Der Vater sah ihn schon von weitem kommen, und hatte Mitleid mit ihm. Er lief dem Sohn entgegen, fiel ihm um den Hals und küsste ihn.’ Bevor irgendetwas gesagt wird, ist das Entscheidende längst geschehen: Die Fähigkeit des Mitleids beflügelt den Vater geradezu, mit weit offenen Armen dem Sohn entgegen zu gehen und Liebe Tat werden zu lassen.

Jesus erzählt Gleichnisse, wie Gott für uns Menschen ist, und er erzählt in diesen Gleichnissen zugleich von sich selbst, er erzählt davon, wie und dass Solidarität geht: Wie der Vater dem verlorenen Sohn freudestrahlend entgegengeht, wie er sich ihm zuwendet und ihn wieder in die Mitte der Menschen führt und ihn zur Feier des Lebens einlädt: So geht Jesus dem Verlorenen entgegen, sucht, will finden, will heimbringen. Das ist gemeint, wenn Jesus sagt: Ich bin der Weg.

In Jesu Wort und Tat spiegelt sich sein Bild von Gott, dessen Liebe ohne Maß ist. Gottes Liebe, der dem Menschen in schier närrischer Liebe wieder und wieder nachgeht, um ihn zu retten. In Jesu Person ist Gott gegenwärtig, der Verlorenem, Verirrtem, Bedrohtem nachgeht, unermüdlich sucht, bis er schließlich findet und es voller Freude heimbringt und ein Fest feiert. Durch die menschlichen Gesten und Gebärden Jesu wird Gottes Handeln am Menschen ganz gegenwärtig.

Und so gilt es auch heute, liebe Schwestern und Brüder! Denn in „menschlichen Gebärden bleibt Gott den Menschen nah“ (GL Nr. 639,4), eine mich immer wieder anrührende Formulierung in einem unserer Kirchenlieder. Seien wir sensibel, schenken wir Aufmerksamkeit und Sympathie, die Fähigkeit mitzuleiden, loszugehen dort, wo es Not tut: Denn Christen werden in der Nachfolge Jesu so wie er.

Jesus Christus ruft uns zusammen an seinen Tisch und lässt uns gleich aufbrechen. Er gibt uns die Kraft für den Weg. Kirche ist Gemeinschaft! Kirche ist Weggemeinschaft: Kirche lebt den Weg Jesu als Weggemeinschaft.
Was für eine treffende Beschreibung von uns als Christenmenschen, als christliche Gemeinde und als Kirche: Das sind in der Nachfolge Jesu Menschen, die als Barmherzige den Verlorenen liebevoll entgegengehen und ohne große Worte Taten sprechen lassen, Lasten mittragen und dem Gefundenen einen neuen Ort schenken, an dem sich gut leben lässt. An solchen Orten und zu solchen Zeiten ereignet sich auch hier und jetzt der Anbruch des Reiches Gottes mitten in unserer Welt. Alles andere ist dagegen zweitrangig, denn wo das geschieht, ist der Kern der Frohbotschaft schon da. Das wäre eine wundervolle Botschaft des heutigen Tages, dass unsere Kirche eine Gemeinschaft ist, die vom Geist Jesu Christi so bestimmt ist, dass anderes, menschliches Leben möglich wird. Kein Mensch darf da verloren gehen und müssten wir ihm noch so weit entgegenkommen oder hinterher gehen, ihn mittragen und stützen.

Deshalb ist es auch für uns nötig und möglich, uns darauf zu besinnen, was Nachfolge Jesu in unserer Zeit heißen kann. Das kann an den verschiedenen Orten, an denen wir stehen, ganz unterschiedlich sein, und wir haben als Christenmenschen die Freiheit und die Herausforderung, jeweils die Zeichen der Zeit wahrzunehmen und dann im Geist Jesu entsprechend zu handeln. Und dieses Handeln wird sicher die verschiedensten Gestalten haben, immer aber, und da ist uns Jesus aus Nazareth Bruder und Lehrer, immer aber heißt Nachfolge Jesu bedingungsloser Einsatz für das Leben, gerade auch für das Leben, wo es schwach, bedroht, behindert und gefährdet ist. Christliches Leben fragt nicht zuerst, was nützt es mir, was bringt es meiner Gruppe, sondern, was kann ich für den anderen tun, wo kann ich für Menschen, die es nötig haben, der Nächste sein.

Dann aber spüren Menschen ganz konkret und nicht nur in Schwäbisch Gmünd: ‚Das Alte ist vergangen, Neues ist geworden.’
Amen.

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