Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt beim Festgottesdienst der Verbände

Stuttgart, St. Eberhard

Liebe Schwestern und Brüder,

‚Heute hat sich das Schriftwort erfüllt‘!

Das ist fulminant, selbst- und Gottes bewußt vorgetragen und auf den Punkt gebracht die frohe Botschaft.

Zum Zeitpunkt dieses Auftritts in der Synagoge ist nach Auskunft des Evangelisten Lukas noch nicht so viel passiert. Lukas hatte von der Geburt und von Jesu Stammbaum berichtet, er hatte von Johannes dem Täufer erzählt und schließlich von der Zeit Jesu in der Wüste und seiner Versuchung durch den Teufel.

Und nun das: ‚Heute hat sich das Schriftwort erfüllt!‘ Zurecht werden da die Zeitgenossen skeptisch und fragen nach: ‚Ist das nicht der Sohn Josefs?‘ Das hätten wir auch gefragt und fragen es im Grunde bis heute. Es geht dabei um nicht mehr und nicht weniger als das unbegreifliche Wunder der Weihnacht, dass Gott Mensch geworden ist. In Jesus fallen Gottes und der Menschen Sache ununterscheidbar zusammen. Jesus bringt in wenigen Worten zum Ausdruck, was die Evangelien als Frohe Botschaft erzählen wollen, was die Kirche dann durch die Jahrhunderte weitergegeben hat: Das Warten auf den Messias, das die Propheten noch so sehnsüchtig und in mitreißenden Bildern ausgemalt haben, dieses Warten hat ein Ende: Ich bin es! Heute hat es sich erfüllt.

Aber mehr noch: Jesus zeigt nicht nur sich als die Erfüllung der zugesagten Verheißung, nein, er macht dies auch noch ganz konkret. Jesus sagt nicht nur, dass in ihm Botschafter und Botschaft eins werden, dass in ihm Reich Gottes angebrochen und spürbar da ist. Er buchstabiert dies auch ganz konkret durch. Auch wenn er sich dabei der prophetischen Worte seiner Tradition bedient, so ist doch unübersehbar: Der Anbruch des Reich Gottes hat mit dem Zustand der Welt zu tun. Wo Gott in die Welt kommt, ist nichts so, wie es vorher war: ‚Den Armen wird die gute Nachricht gebracht, Gefangenen wird die Entlassung verkündet, Blinde erhalten ihr Augenlicht zurück, Zerschlagene werden in Freiheit gesetzt, die Zeit der Gnade bricht an!‘ Jesus bringt frohe Botschaft und er selbst ist der Anfang: Heute hat sich das Schriftwort erfüllt. Keine Vertröstung auf Übermorgen oder auf ein Jenseits: Heute! Ganz konkret, an seinen Wirkungen spürbar und nachprüfbar.

Und wir? Christen nennen wir uns, bekennen uns zu seinem Namen, sehen uns in seiner Nachfolge. Wagen wir es denn auch wirklich, zu sein, was wir glauben? Leben wir, was wir im Zeugnis unserer Hoffnung bekennen? Machen wir ernst damit, das ‚Heute Gottes‘ anbrechen zu lassen? Arbeiten wir daran mit, den Anbruch des Reich Gottes mitten in unserer Welt konkret werden zu lassen?

Sicher: Wir sind nicht Jesus, sehen uns oft schon überfordert mit dem Anspruch, Töchter und Söhne Gottes zu sein. Aber mogeln wir uns nicht oft allzu leicht und schnell am Anspruch vorbei, vor den uns die Nachfolge Jesu stellt?

An den beiden Dimensionen des heutigen Evangeliums kommen wir nicht vorbei, da mögen wir noch so spitzfindige Auslegungen und Ausflüchte bereitlegen: Reich Gottes beginnt heute. Und: Reich Gottes hat mit dem Zustand der Welt zu tun. Wir kommen an der Wahrheit des Evangeliums nicht vorbei, aber: Die Wahrheit des Evangeliums befreit uns doch auch dazu, anzufangen, Reich Gottes mitten unter uns, hier und heute, in der Welt und für die Welt wirklich werden zu lassen. Die Aussage: ‚Heute hat sich das Schriftwort erfüllt‘, sie ist doch die große Einladung an uns, umzukehren, nachzufolgen, Frieden und Gerechtigkeit werden zu lassen.

Die Lesung des Propheten Jesaja hatte uns die Dimensionen dieser Zeit des Heils in wunderbaren, schier unglaublichen Bildern ausgemalt: Das Reich des Messias wird Wolf und Lamm beieinander wohnen sehen. Und nun, heute das: ‚es hat sich erfüllt‘.

Ein Blick auf die Welt und ihre Lage ernüchtert uns: Wie sieht es denn aus? Wohl doch nichts mit dem angebrochenen Reich Gottes, weit entfernt das Gnadenjahr des Herrn.

Vielleicht machen wir nicht genügend ernst mit unserem Christsein, haben wir nicht den Mut, das Heute Gottes auch tatsächlich und in unserer Zeit Wirklichkeit werden zu lassen.

Nehmen wir die jesajanische Prophetie auf und die Zusage Jesu ernst: Nehmen wir sie als ganz konkreten Auftrag zu handeln. Fangen wir gemeinsam an. die Zukunftsmusik des Jesaja in unser Heute zu holen.

Das klingt dann so: ‚Er richtet nicht nach dem Augenschein, nicht nur nach dem Hörensagen entscheidet er, sondern er richtet die Hilflosen gerecht und entscheidet für die Armen des Landes ...‘ Ja, tun wir das, lassen wir frohe Botschaft spürbar werden.

Glauben wir der verheißungsvollen Zusage Jesu und trauen wir der Wirklichkeit unseres Glaubens. Dann erweist sich der Frieden als Frucht der Gerechtigkeit, und bald heißt es von unserem Heute: ‚Das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie das Meer mit Wasser gefüllt ist.‘

 

Amen.

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