Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK)

Stuttgart, St. Eberhard

Liebe Schwestern und Brüder,

der Theologe, Missionar und Arzt Albert Schweitzer beschrieb den Apostel Paulus folgendermaßen: ‚Es eignen ihm eine Tiefe und Sachlichkeit, die uns in ihren Bann zwingen. Das Feuer des urchristlichen Glaubens schlägt aus ihm in den unsrigen hinein. Ein Erleben mit Christo als dem Herrn des Reiches Gottes spricht aus ihm, das uns in die Bahn des gleichen Erlebens reißt.‘

Ich möchte versuchen, diese sehr dichten Sätze Schweitzers in mehreren Schritten zu erschließen.

Da ist zunächst das Porträt des Paulus als eines Mannes, der durch die Kombination von Sachlichkeit und Tiefe gekennzeichnet ist. Wir haben im Bericht der Apostelgeschichte eben eine eindrucksvolle Beschreibung davon gehört. Paulus bezeichnet sich selber in ruhigen Worten und gewählten Sätzen als jemanden, der ‚Eiferer für Gott‘ genannt werden kann. Und dies wohlgemerkt von Natur aus, vor und nach seiner Bekehrung: Saulus wie Paulus mit dem gleichen vollen Einsatz. Für die Sache, von der er völlig überzeugt ist, setzt Paulus sich ein, mit ganzem Herzen, seiner ganzen Kraft und voller Eifer. So streitet er eifrig bis hin zum Fanatismus und mit letzter Entschlossenheit, die Anhänger jenes neuen ‚Weges‘, wie er es nennt, zu verfolgen.

Und dann das: Vor Damaskus kommt es zu der Begegnung, zu der Erfahrung, die sein Leben radikal, bis in die Tiefe verändert. Es schlägt wie ein Blitz in ihn ein, mehrfach betont die Schilderung die Erfahrung des Lichts, das ihn so sehr erleuchtet, dass er zunächst wie ein Versehrter vom Ort des Geschehens geführt werden muß. Was aber macht die Gewalt dieser Erfahrung aus? Paulus scheut sich nicht von seiner Erfahrung zu sprechen, den anderen Menschen sein Erlebnis weiterzuerzählen. Er weiß: Glaube stiftet an zum Mitglauben, der Mut, von eigenen Erfahrungen zu erzählen reißt wiederum andere mit, zu ihrer eigenen Glaubensgeschichte aufzubrechen.

Schauen wir also genauer hin, was Paulus von seiner Erfahrung zu berichten hat. Da ist zunächst jenes Licht, das ihn schier zu Boden wirft. Nehmen wir ganz ernst, dass die Geschichte am Mittag spielt: Das ist keine Versenkung ins mysteriöse Dunkel, sondern vielmehr eine taghelle Mystik, Schweitzer spricht richtig von Tiefe und Sachlichkeit. Christlicher Glaube steht dem Licht des Tages offen gegenüber, er muß das Auge der Vernunft nicht fürchten, den Anfragen unseren Verstandes durchaus nicht ausweichen.

Und jetzt nimmt sich Paulus sehr ausführlich Zeit, um fast wie in einer Reportage das Gespräch wiederzugeben, das er mit der lichten Stimme führt. Paulus lernt im Licht denjenigen kennen, den er zuvor als den ‚Weg‘ bezeichnet hatte. Paulus begreift schlagartig, besser natürlich blitzartig, dass er dem Auferstandenen selbst gegenübersteht. Paulus läßt sich ganz in Anspruch nehmen, wobei die Apostelgeschichte hier sehr genau festhält, dass in Jesus seine Botschaft und Gottes Willen ineins fallen. Auf Paulus‘ Frage, was er tun solle, antwortet der Auferstandene: ‚Steh auf, geh nach Damaskus, dort wird dir alles gesagt werden, was du nach Gottes Willen tun sollst.‘

Paulus begreift zwar sofort, dass Jesus Christus selbst ihm begegnet, für die andere entscheidene Einsicht benötigt er dann jemanden, der ihm die Erfahrung erschließt. Und auch diesen zweiten Schritt beschreibt die Apostelgeschichte sehr genau, sorgt sie doch erst wie die zweite Seite einer Medaille dafür, dass die Münze auch einen bleibenden Wert erhält. ‚Ein gewisser Hananias‘, so heißt es, sorgt dafür, dass er wieder sehen kann, genauer müßte man wohl sagen: Paulus gehen Augen auf, die er zuvor gar nicht gehabt hat. Hananias erschließt ihm, dass in Jesus Gott selbst zu ihm gesprochen hat. Im Auferstandenen wird bewahrheitet, was Jesus von sich gesagt hatte: ‚Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.‘ In ihm fallen Botschafter und Botschaft zusammen, er erzählt vom Reich Gottes und bricht es gleichzeitig an. Von daher hat Albert Schweitzer das größte Recht, das ‚Erleben mit Christo mit dem Herrn des Reich Gottes‘ gleichzusetzen.

Liebe Schwestern und Brüder, hier brennt das ‚Feuer des urchristlichen Glaubens‘: Paulus erfährt vor Damaskus, was die Menschen in der Begegnung mit Jesus Christus erlebt und worüber die Evangelisten ihre frohe Botschaft erzählt hatten. Jesus Christus ist der glaubwürdige Botschafter vom Reich Gottes, weil er die Botschaft zugleich Wirklichkeit werden läßt. In Jesus ist Gottes Nähe für den Menschen heilsam nahe gekommen.

Jetzt geht Hananias aber noch einen letzten Schritt weiter und zeigt die nötige Konsequenz aus dieser Gotteserfahrung, die Paulus gemacht hat. Wer erkannt hat, dass Gott selbst durch Jesus Christus erfahrbar Mensch geworden ist, der kann mit diesem Wissen nicht stumm für sich allein weiterleben, als wäre nichts verändert. Nein, diese Wahrheit drängt zum Aufbruch: ‚Du sollst vor allen Menschen sein Zeuge werden für das, was du gesehen und gehört hast.‘

Und dies ist der letzte Gedanke, den ich den dichten Sätzen Albert Schweitzers entnehmen möchte, denn er betont ihn unübersehbar: Die Erfahrung des Paulus zwingt uns durch seine Weitergabe ‚in ihren Bann‘, sein von ‚Feuereifer‘ erfahrener Glaube steckt uns regelrecht an, er ‚reißt uns in die Bahn des gleichen Erlebens‘. Das ist die zweite, ebenso entscheidende Botschaft, die uns Paulus mit auf unsere Wege gibt: Frohe Botschaft läßt einen nicht ruhen, sie treibt einen an, aufzustehen, aufzubrechen, Zeuge zu sein für die Erfahrung Gottes und dabei andere mitzunehmen. In dem Maße, in dem wir es wagen, anderen von Gott zu erzählen, wie er in Jesus erfahrbar geworden ist, in dem Maße werden wir selbst zu glaubwürdigen Zeugen und Zeuginnen, die andere auf den Weg einladen.

Die heilsame Nähe Gottes breitet sich so spürbar für Welt und Menschen aus, ganz so, wie es das heutige Evangelium zugesagt hatte: ‚Geht hinaus in die ganze Welt, und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen. (...) In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben, sie werden in neuen Sprachen reden; wenn sie Schlangen anfassen oder tödliches Gift trinken, wird es ihnen nicht schaden; und die Kranken, denen sie die Hände auflegen, werden gesund werden.‘

Was für eine Erfahrung.

Amen.

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