Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt Chrisammesse 2012

Rottenburg, Dom St. Martin

Schrifttext: Jes 61, 1-3a.6a.8b-9 - Offb 1, 5-8 - Lk 4, 16-21

Liebe Mitbrüder im priesterlichen Amt und liebe Diakone,
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Die Missa Chrismatis ist ein einzigartiges liturgisches Ereignis. In Konzelebration mit dem Priesterkollegium vollzieht der Bischof innerhalb der Heiligen Woche anschaulich und sichtbar die Weihe der Öle. Sie, die heiligen Öle, werden geweiht für die Spendung der Sakramente, die sichtbaren Heils-Zeichen der Kirche. Gemeinsam mit den Priestern weiht der Bischof das Öl für die Kranken, das Öl für die Taufbewerber, das Öl für den Heiligen Chrisam, mit dem in Taufe, Firmung und Priesterweihe die Empfänger des Sakraments gesalbt werden. So ist also die Chrisammesse in ihrer Liturgie geprägt von der Weihe der Öle für die Spendung der Sakramente der Kirche in der ganzen Diözese. In der Chrisammesse wird die sakramentale Wirklichkeit der ganzen Kirche in besonderer Weise zum sichtbaren Ausdruck der Liturgie.

Dies hat für mich gegenwärtig eine besondere Bedeutung. Als „Unternehmen“ Kirche sind wir immer in Gefahr, uns zu verhalten wie bloß menschliche Einrichtungen. Aber Kirche ist ja nicht ein Verein, ein Zweckverband, bloß eine Vergemeinschaftung zugunsten von Werten oder Interessen. Kirche ist sakramental gestiftete Gemeinschaft, in der in sichtbaren Zeichen an uns Menschen zu unserem Heil gehandelt wird. Und zwar nicht von uns Menschen, sondern letztlich von Gott selbst, von dem alles Heil kommt und alles was ist, sein Sein hat.

Deshalb beten wir im Lobpreis und der Anrufung Gottes über dem Wasser bei der Weihe des Taufwassers in der Osternacht: „Allmächtiger, ewiger Gott, deine unsichtbare Macht bewirkt das Heil der Menschen durch sichtbare Zeichen.“ (Messbuch der Kar- und Osterwoche, S, 144). Sakramente sind sichtbare Zeichen der unsichtbaren Macht Gottes, die zum Heil der Menschen wirkt. Dass wir Sakramente spenden und gespendet bekommen, zeigt: Nicht wir Menschen bewirken das Heil durch unser Handeln, sondern „Gott wirkt alles in allen“ wie Paulus an die Korinther (1 Kor 12,6) schreibt.

In der Chrisammesse, liebe Brüder und Schwestern, wird eine neue Wirklichkeit aufgestoßen, die göttliche Dimension. Die Wirklichkeit des ‚Gottes für uns‘ tut sich vor uns und für uns auf, um uns zu berühren, ja uns neu zu erschaffen. In einer Zeit, wo alles als Produkt aus Menschenhand verstanden wird, wird das schnell vergessen. Wir beschädigen uns selbst, wenn wir meinen, alles sei aus unserem Machen hervorgegangen. Dass wir aber vor allem Beschenkte sind, dass uns vor allem gegeben ist, was uns leben lässt, das wird im Machbarkeitsrausch unserer Zeit verdrängt. Und der zeigt sich ja nicht nur im Großen, sondern der Machbarkeitsrausch zeigt sich schon im Kleinen, wo ich meine, alles selbst machen zu müssen, wo ich alles selbst tun will und Gott keine Chance zu Gnade und Barmherzigkeit geben kann und so dem Wirken des Gottesgeistes keinen Raum lasse.

Die Sakramente sind wirksame Zeichen, dass Gott an uns wirkt, dass wir uns nicht selber retten können, sondern dass Heil und Heilung letztlich von Gott kommen, dass er uns berührt – und dass wir, wo wir Spender der Sakramente sind, bloß seine Helfer sind. Bloß Helfer, aber doch - welch eine Berufung! - menschliche „Instrumente“ des Heils von Gott. Das geht über das Alltägliche, das Profane, hinaus, es wird aufgebrochen und verwandelt. Etwas ganz anderes als sonst bricht ein in unser Leben und in unser Zusammenleben!

Die sakramentalen Handlungen sind deshalb heilige Handlungen, weil sie nicht „selbst gemacht“ sind, sondern weil Gott als unsichtbare Macht hier an uns handelt: in sichtbaren, erfahrbaren und spürbaren Zeichen. Weil wir in diesen Handlungen von Gott „berührt“ werden, sind sie heilig: Sie sind nicht einfach aus und von dieser Welt, sondern von Gott in der heiligen Handlung für das Heil der Menschen gegeben. Was das Heil von uns Menschen wirklich bewirkt, ist das Unverfügbare, das von Gott Geschenkte! In der Sprache der Religion: das Heilige. Selten ist es geworden, dieses Wort! Und die Sache selbst?

Sakramente spenden und empfangen ist je heiliges Geschehen. In den Sakramenten wirkt Gottes Gnade durch des Menschen Hand und an seinem Leib in sichtbaren, erlebbaren Zeichen. Die Feier der Liturgie, der Sakramente, der Eucharistie, alles ist ein Konzert von Zeichenhandlungen, das zu einem einzigen sakramentalen Ereignis zusammenklingt, in dem wir Gott, den Heiligen, als den an uns Menschen Handelnden erleben, erfahren, spüren können: Ereignis des Heiligen mitten in dieser Welt, ein heiliges Spiel (1). Die Chrisammesse erinnert und vergegenwärtigt dies in der Weihe der heiligen Öle für die Spendung der Sakramente in besonderer Weise.

Wie anders können wir diesem Ereignis des Heiligen begegnen als mit dem, was wir Ehrfurcht nennen? Wo Gott, der Heilige aufscheint als der, der an uns Menschen zu unserem Heil handelt, da bleibt dem Men-schen nur Ehrfurcht vor dem, was von uns nicht ausgelotet werden kann, was im letzten ein Geheimnis, ein Mysterium, bleibt (2).

Ehrfurcht, noch ein seltenes Wort, aber auch eine geistliche und unseren Leib ergreifende Haltung: Ehrfurcht vor dem Leben, Ehrfurcht vor dem Anderen, Ehrfurcht vor dem mir Geschenkten, Ehrfurcht vor dem Heiligen, das sich in sakramentalen Zeichen und Handlungen zeigt und zugleich verbirgt. Kein Geringerer als Thomas von Aquin fasst dies in sein von tiefer Ehrfurcht geprägtes Gedicht, das wir oft singen: „Gottheit tief verborgen, betend nah ich dir. Unter diesen Zeichen bist Du wahrhaft hier. Sieh mit ganzem Herzen schenk ich dir mich hin, weil vor solchem Wunder ich nur Armut bin.“ (3) Wo Ehrfurcht fehlt, da fehlt die Aufmerksamkeit für das Heilige, für den Heiligen in der Welt. Ohne Sensibilität aber werden wir das Heilige nicht auf uns wirken lassen können. Seine heilsame Wirkung im sakramentalen Ereignis bleibt uns verschlossen, wir bleiben unberührt, heillos. Wo die Ehrfurcht vor dem Heiligen zerbricht, geht aber dem einzelnen Menschen Heilsames verloren und in einer Gesellschaft Wesentliches zugrunde (4).

Darf ich behutsam fragen, wo die Ehrfurcht lebt, wenn wir uns in Kirchen verhalten wie auf Marktplätzen oder in Konzertsälen? Leben wir noch die Zeichen, die den Ort des Heiligen ehren? Schweigen, Stille, Zeichen der Verehrung, das Beugen der Knie, das Zeichen des Kreuzes über unseren Leib? Leben wir die Zeichen der Ehrfurcht vor dem, was im sakramentalen Handeln der Kirche geschieht?

Das Buch der Weisheit weiß um die menschendienliche Kraft des Heili-gen. „Wer das Heilige heilig hält, wird geheiligt, und wer sich darin unterweisen lässt, findet Schutz.“ (Weisheit 6,10). Ist es alt-modisch geworden, das Heilige in leibhaftigen Zeichen zu verehren? Wundert es da noch, wenn wir uns schutzlos und ausgeliefert erfahren?

Liebe Mitbrüder im priesterlichen Dienst, die Chrisammesse mit ihren heiligen Handlungen kann uns die Dimension des Lebens neu erschließen: dem Heiligen Gott, der uns leben lässt und ewiges Leben schenkt, Verehrung zu erweisen.

Amen.

(1) Vgl. B. Lang, S. Zitat von Huizinga.
(2) Vgl. auch: Ehrfurcht, Theodor Steinbüchel, Stuttgart, Franz Mittelbach, 1946.
(3) Gesangbuch "Gotteslob" 546,1.
(4) Vgl. Ratzinger, Süddeutsche, 13.4.05, S. 8.

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