Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt Chrisammesse 2013

Rottenburg, Dom St. Martin

Schrifttext: Jes 61, 1-3a.6a.8b-9 - Lk 4, 16-21

Liebe Mitbrüder im priesterlichen Amt, liebe Diakone, liebe Ölboten
liebe Schwestern und Brüder im Glauben!

Die Chrisammesse ist eine Feier der Zeichen, der heiligen Zeichen. In Zeichen vollzieht sich das Heilshandeln Gottes an uns Menschen in dieser Welt. Heilige Zeichen sind Zeichen des Heils: Zeichen der Heiligung und Heilung des Menschen in seiner Not, in seiner Bedürftigkeit und in seinen Verlorenheiten. Zeichen sind sichtbare Zeichen für eine unsichtbare Wirklichkeit. Die zunächst unsichtbare frohe Botschaft an uns: "Gott liebt die Menschen und ist ihnen nahe", diese frohe Botschaft wird mehr als mit tausend erklärenden Worten durch sprechende Zeichen sichtbar und für den Menschen leibhaftig erfahrbar: wie die Salbung mit heiligem Öl, das Kreuz auf der Stirn, das Halten der Hände, das Empfangen des Leibes Christi oder die Zeichen der Weihe. Zeichen sind lebendige und wirksame Medien religiöser Botschaften und Ereignisse. Zeichenhaftigkeit und Sakramentalität unserer katholischen Kirche hängen zuinnerst zusammen. Zeichen sind in unserer Zeit der Wortschwalle, des Informationsoverkills und des Nachrichtenstakkatos wichtiger denn je.

So ist es ein Zeichen der Zeit, dass wir in einer Zeit der Zeichen leben. Die Verkündigung der Frohbotschaft durch sichtbare, heilsame Zeichen in der katholischen Kirche ist moderner und zeitgenössischer als wir denken. Setzen wir die richtigen, die evangeliumsgemäßen, die geistgewirkten Zeichen einer missionarischen Kirche im Interesse der Heilung und Heil suchenden Menschen.(1)

Die letzten Tage sind in unserer katholischen Kirche eine Zeit voller Zeichen, voller heilsamer, sprechender, evangelisierender Zeichen! Wir haben einen neuen Papst. Papst Franziskus – wer hätte das gedacht!

Dieses außerordentliche Ereignis zeigt uns und aller Welt: die katholische Kirche ist immer wieder neu für Überraschungen gut. Der Heilige Geist bewirkt nicht die Verlängerung des Gewohnten und setzt nicht unseren Spekulationen sein Krönchen auf. Gottes Geist wirkt unerwartet anders, überraschend, neu!

Ein erstes starkes Zeichen ist die rasche Einigung der Kardinäle gerade auf diesen Mann. Ein gutes Zeichen. Die Kardinäle haben sich nicht nach endlosen Wahlgängen nolens volens auf ihn als Kompromisskandidaten geeinigt. Nein, unvorhergesehen schnell gerade er, der Kardinal von Buenos Aires: Jorge Mario Bergoglio.

Niemand hatte Jorge Mario Bergoglio als neuen Papst auf dem Schirm! Schon sein erstes Auftreten auf der Loggia beim „Habemus papam“ hat mich tief beeindruckt. Ein bescheidener Mann in einfacher, weißer Soutane. Mit jeder Bewegung, mit jeder Geste, bringt er das vorgesehene Zeremoniell durcheinander. Die Gesten, die Worte, der Ablauf, sind ganz er selbst. Er tritt authentisch auf. Das Rituelle verschluckt nicht den Menschen und verwischt, wer er ist. Seine Person drückt sich im Verhalten aus. Wie er sich uns zum ersten Mal zeigte, war ein eindrucksvolles, zu uns sprechendes Zeichen!

Und es geht weiter mit den Zeichen: Der Neue ist der erste Papst der katholischen Kirche, der nicht aus Europa kommt. Er kommt aus Lateinamerika, aus dem Kontinent, in dem anteilmäßig 40 Prozent der Katholiken der Universalkirche leben. Aus einem Kontinent, wo sich im christlichen Glauben Entscheidendes, ja Dramatisches, abspielt. Ein Zeichen für die Weltkirche. In Lateinamerika haben die historischen Bischofskonferenzen Medellin 1968 und Puebla im Jahr 1979 die Millionen Armen dieses Kontinents in die Mitte der Verkündigung, der Pastoral gestellt. Von den Armen her wird dort die Pastoral gestaltet. - Unsere Diözesansynode 1985/86 hat sich davon inspirieren lassen und im theologischen Grundlagenpapier die besondere "Option für die Armen" formuliert und eingefordert.(2)

Der neue Papst kommt aber nicht nur aus Lateinamerika. Er redet nicht nur von den Armen. Er ist ein Anwalt der Armen. So wurde er schon als Kardinal von Bouenos Aires genannt: "Anwalt der Armen" – auch weil er oft und oft in die Elendsviertel zu den Ärmsten der Armen ging und ihnen in Echtzeit haut-nahe war. Dieser Papst steht ganz offensichtlich für eine diakonische katholische Weltkirche, die sich inspirieren lässt von der Botschaft Jesu Christi. Im Lukasevangelium sagt er von sich: "Ich bin gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist." (Lk 19,10) Und in der Synagoge von Nazareth macht er sich die Worte des Propheten Jesaja zu eigen: "Der Geist des Herrn ruht auf mir ... . Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine gute Nachricht bringe ... damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze ..." (Lk 4,18). Lesung und Evangelium der Chrisammesse verkünden dieses Ereignis.(3)

Wenn wir unsere Ortskirche als diakonische Kirche verstehen, dann wollen wir in dieser Spur ausdrücken und realisieren: dass die Sorgen und Nöte, insbesondere der "Armen und Bedrängten aller Art" wie es das Zweite Vatikanum in seiner Pastoralkonstitution Gaudium et Spes formuliert (GS 1,1) auch die Sorgen und Nöte des Volkes Gottes, der Getauften und Gefirmten von Rottenburg-Stuttgart sind.

Franziskus, der Papst, weiß, dass es hierbei nicht nur um die im materiellen Sinn Armen geht. Bei seiner ersten politischen Ansprache vor Diplomaten aus aller Welt sagte er, dass es ihm bei den Armen auch um die "geistliche Armut unserer Tage (geht), die ganz ernstlich auch die Länder betrifft, die als die reichsten gelten."(4) Jorge Mario Bergoglio, der Kardinal aus Buenos Aires, gibt sich den Namen Franziskus: ein weiteres, ein anstößiges Zeichen!? Das ist einmalig in der ganzen 2000-jährigen Papstgeschichte seit Petrus. Wer den Heiligen Franziskus kennt, wird sofort wissen, wer und was sich mit diesem Namen verbindet: der arme Franziskus, der sich besonders den Kranken und den Armen zuwendet – aus seiner Christusverbundenheit!

Als der Name des neuen Papstes auf der Loggia ausgerufen wurde: "Francesco!", da regte sich in mir für einige Sekunden ein verdutztes, ungläubiges Gefühl. Hatte ich mich verhört? Aber dann kam Staunen und Faszination auf! Der 266. Papst wählt den Namen des Heiligen Franziskus. Noch nie hat ein Papst sich so genannt und deshalb ist glasklar: Jorge Mario ist ein Mensch, ein Christ, ein Priester, ein Bischof, der sich als Papst in die Spur des Heiligen Franz von Assisi stellt, des Poverello, des Minderbruders. Wir kennen das Leben des Heiligen Franz. Viele von uns waren schon in Assisi auf seinen Spuren unterwegs.

Franziskus selber wird in seiner Zeit die Ikone Jesu Christi genannt. Der neue Papst stellt sich in diese Spur des Franziskus und damit in die Spur dessen, dem er in besonderer Weise nachzufolgen hat und nachfolgen will: Jesus Christus, der gekommen ist zu suchen und zu retten, was verloren ist (vgl. (Lk 19,10). Das ist ein ungeheures Zeichen, das wir noch in seiner ganzen Tiefe und Wirkung auszuloten haben. Ein Zeichen für eine in diesem Sinne christuszentrierten Pastoral. Sein Geist, der Geist des Jesus aus Nazareth, soll uns leiten und erfüllen. Aus seinem Geist, aus dem Geist Jesu Christi, wollen wir Kirche gestalten.

Unser Dialog- und Erneuerungsprozess steht unter der Überschrift "Erneuerung in der Kraft des Heiligen Geistes". "Erneuert euren Geist und Sinn und zieht den neuen Menschen an: Jesus Christus." (vgl. Eph 2,23) Franziskus, der Papst, rief am vergangenen Mittwoch auf dem Petersplatz bei seiner Amtseinführung uns allen zu: "Der Heilige Geist ist die Quelle der Inspiration. Er stiftet die Einheit dieser Vielfalt in der Kirche, keine Einförmigkeit, sondern Harmonie. Der Heilige Geist ist die Seele der Kirche." Diese Seele, der Gottesgeist, soll dem Körper Kirche Form und Gestalt geben.

Die ersten Worte, die wir von Jorge Mario aus Buenos Aires hören, sind wieder eine Überraschung. Er sagt, seine Mitbrüder, die Kardinäle, hätten ihn von weit her geholt, um Bischof von Rom zu werden. Dieses, sein neues Amt, Bischof von Rom zu sein, betont er in wenigen, einfachen Worten sehr stark. Erst dann spricht er davon, dass er in der Weltkirche den Vorsitz in der Liebe innehabe: als Bischof von Rom. - Nicht der gewählte Papst ist auch noch Bischof der Diözese Rom, sondern als der soeben gewählte Bischof von Rom ist er Papst der Weltkirche. Das habe ich, wenn ich mich recht erinnere, in dieser deutlichen Weise und das auch noch beim allerersten Auftritt so noch nicht gehört. Und er hat es gleich ganz praktisch vorgeführt. Ist damit nicht ein Zeichen gesetzt für die Bedeutung der Ortskirchen, für eine neue Kollegialität der Bischöfe untereinander und in und mit der Weltkirche?

Seine ersten, eindrucksvollen Worte sind: "Und nun beginnen wir diesen Weg – Bischof und Volk – den Weg der Kirche von Rom, die den Vorsitz in der Liebe führt gegenüber allen Kirchen; einen Weg der Geschwisterlichkeit, der Liebe, des gegenseitigen Vertrauens. Beten wir immer füreinander. Beten wir für die ganze Welt, damit ein großes Miteinander herrsche."(5)

Und dann hat sich Franziskus unter das Gebet des Volkes Gottes gestellt. "Bevor ich euch segne, habe ich den Wunsch, dass ihr für mich betet." Und er verneigte sich in Stille. Das Beten füreinander in Stille auf dem Petersplatz – einige Sekunden nur und doch ein starkes Zeichen zum Auftakt dieses Pontifikats. Hier schon zeigt er die Geschwisterlichkeit, von der er gesprochen hat. In den folgenden Tagen hat er jenseits all des Zeremoniellen die Menschen mit seiner Nähe überrascht: Ein Papst, den Menschen nahe! Viele eindrucksvolle Zeichen der Nähe und der Erneuerung der Kirche hat er noch gesetzt in den ersten wenigen Tagen. Zeichen für eine pilgernde Kirche, für eine schöpfungsfreundliche Kirche, für eine barmherzigere Kirche.

So will er die Kirche von Rom evangelisieren. Auch eines seiner ersten Worte. Selbstevangelisierung als Quelle einer missionarischen Kirche.

Papst Franziskus sprach auch gleich noch von der Bewahrung der Schöpfung: ein ebenso hochaktuelles, höchstbrisantes, die ganze Menschheit sehr betreffendes Thema. Hier geht es um unsere Existenzfrage. Ich wage es eigentlich gar nicht zu sagen: Franziskus, ein ökologischer Papst? - Natürlich, wenn wir dabei von Franz von Assisi her denken und handeln, ist da mehr als technologische Ökologie gemeint. Bewahrung der Schöpfung meint ja, der ganzen Schöpfung Gottes zugewandt sein und das nicht nur in theologischen Formeln, sondern ganz konkret in einem die Schöpfung, unsere Erde, unsere Umwelt erhaltenden Handeln, als schöpfungsfreundliche Kirche. Auch hier haben wir von Franz von Assisi und dem Papst Franziskus Rückenwind für den pastoralen Kurs unserer Ortskirche!

Mich hat auch aufhorchen lassen, dass der Papst vom Camino gesprochen hat, den er jetzt geht und begeht. Er will "den Weg nach vorne gehen". Weg, Camino, verbindet sich im Spanischen, seiner Muttersprache, mit dem Pilgerweg. Franziskus deutet mit dem Wort Camino an, dass er als Pilger unterwegs sein will mit einer pilgernden Kirche. In der großen Verantwortung in der er steht gegenüber der Weltkirche will der doch als Pilger unterwegs sein. Auch das ist ein großes Zeichen. Pilgernde Kirche sein, nicht societas perfecta, nicht statisch und wohl eingerichtet, sondern dynamisch in der Zeit dieser Welt, Kirche in Bewegung auf Jesus Christus hin, das ist ein wesentliches Element auch der Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils.(6)

Auch was Fanziskus im Zusammenhang mit Geschwisterlichkeit schon auf der Loggia kurz angesprochen hat, ist eine deutliche Anknüpfung an das Konzil. In der Sprache des Konzils heißt Geschwisterlichkeit, Communio, Gemeinschaft der Gläubigen. Und da knüpft er auch an Worte Benedikts XVI. an: Wir sind eine Gemeinschaft, vom Heiligen Geist geführt, in der Kirche von Brüdern und Schwestern, und die Personen, die Menschen, nicht die Institution, stehen in der Mitte. Einmal ruft Benedikt seinen Zuhörern zu, besonders gegenüber den Jugendlichen "authentische Zeugen zu sein und nicht bloße Austeiler von Regeln und Informationen."

Beim Angelusgebet am Sonntag nach seiner Wahl sprach Franziskus dann davon, dass ein Mehr an Barmherzigkeit die Welt zum positiven verändern könne. Wenn er so von dem Mehr an Barmherzigkeit spricht, dann denkt dieser Papst von den Personen und ihren Lebensgeschichten her. Wenn wir uns in unserer Ortskirche einen barmherzigeren Umgang mit Menschen in oft sehr schwierigen Lebenssituationen wünschen, dann suchen wir nach diesem Mehr an Barmherzigkeit.

Liebe Mitbrüder, liebe Schwestern und Brüder, Papst Franziskus macht auf mich den Eindruck eines aus innerer Souveränität her lebenden Menschen. Er wird geleitet von einer tiefen Frömmigkeit und Spiritualität, die aus dem Geist Jesu Christi herauswächst.

Ich wünsche mir, dass er mit dieser Botschaft, mit seinen eindrucksvollen Zeichen, die er zum Auftakt seines Pontifikats gesetzt hat, - und dies ist eine starke, hoffnungsvolle Botschaft an die Menschen dieser Welt! - dass Franziskus mit der römischen Kurie zurechtkommt. Ich hoffe, dass alle in der Kurie dieses Signal verstehen und sich diesem Camino, dem Pilgerweg der Kirche, anschließen. Dann wird viel von dem, was wir gehört haben und unsere Kirche gestört und verstört hat, nicht mehr geschehen.

Ich vertraue darauf, dass Papst Franziskus durch seine innere geistliche Kraft die Autorität gewinnen wird, dass er die römische Kurie von innen her führt. Natürlich müssen dann auch im Außen Entscheidungen geschehen, die durchgesetzt werden wollen. Aber die Akzeptanz einer Autorität, die eine solche Spiritualität und ein solch klares Programm ausstrahlt, diese Autorität wird er sicher gewinnen. Das wünsche ich ihm und dafür bete ich.

Wir leben in einer Zeit der Zeichen. Setzen wir selbst Zeichen, die glaubwürdig das ausdrücken und bewirken, was die Botschaft Jesus Christi an uns erreichen will. Wirksame Zeichen dafür, was die frohe Botschaft vom Heil für die Menschen, vom Suchen und Retten der Verlorenen wirklich uns allen gebracht hat und jeden Tag aufs Neue bringen will. Setzen wir einzeln und gemeinsam wirksame Zeichen der rettenden Botschaft, die wir den Menschen innerhalb und außerhalb unserer Kirche schuldig sind.

Amen.


(1) „Sie wissen, dass die Kultur bestimmte Leitbilder schafft, dass diese Leitbilder das Verhalten bestimmen, dass Verhalten eine Sprache ist und dass in einem historischen Moment, wo die verbale Sprache immer mehr im Konventionellen erstarrt und völlig steril (sprich: technisch) wird, die Sprache des körperlich mimischen Verhaltens umso ausschlaggebender wird.“ Pierre Paolo Passolini, Freibeuterschriften, Berlin, 1978, S. 43

(2) vgl. unser weltkirchliches Engagement als Diözese und durch die Kirchengemeinden und die Option für die Armen der Diözesansynode 1985/86 unter dem Stichwort: „Anders leben, damit andere überleben!“, Diözesansynode 1985/86, I,28

(3) Auf die Frage Johannes des Täufers, ob er der verheißene Messias sei, lässt Jesus durch seine Jünger als bestätigendes Zeichen antworten: „den Armen wird das Evangelium verkündet.“ (Mt 11,5) – Von daher versteht und verwirklicht sich die diakonische Kirche!

(4) vgl. Tagespost, 23.3.2013, S.1

(5) auch abgedruckt auf dem Erinnerungsbild zur Wahl Franziskus‘ am 13. März 2013

(6) Lumen gentium, 48,3: ecclesia peregrinans

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