Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt Festgottesdienst zum 200. Pfarrgemeindejubiläum St. Eberhard Stuttgart

Stuttgart, Konkathedrale St. Eberhard

Schrifttexte: Jer 31,7-9; 1 Kor 2,4-9; Mk 10,46-52

Liebe Schwestern und Brüder,

die Eberhardskirche – seit über 25 Jahre zweite Bischofskirche unserer Diözese - kenne ich seit ich denken kann und ich – es war wohl Mitte der 50ger Jahre - zum erstenmal als Kind bewusst mit dabei war in der Großstadt „Zum Einkaufen“, wie man in meiner Familie sagte. Jedes mal, wenn wir hier waren, besuchten wir für eine Spanne Zeit St. Eberhard in der Königsstraße: Stille im Lärm nach dem Eintreten, Ruhe und ein wenig Erholung, Zeit für ein Gebet. - In einem weiten Raum an der geschäftigen Magistrale der Stadt: sich selber finden in der Kirche, in einem Raum, der Blick, Gedanken und Herz, auf eine Mitte lenkt, von der her einem Kraft zuströmt. - Schon früh lernte ich und erfuhr an Leib und Seele, was Kirche im Herzen der Stadt einem geben kann. Und vielleicht ist es einigen von Ihnen auch schon so ergangen wie mir ab und an, dass ich nicht nur selbst zu mir finden konnte, sondern irgendwie die Erfahrung machen durfte, selbst gefunden zu werden - von einem Anderen, der größer ist als ich – von Einem, der mich findet in meinen Fragen, in meiner eigenen Not und Sehnsucht – damit ich nicht verloren gehe. - Immer wenn ich seither in Stuttgart war und bin, besuche ich diese Kirche im Herzen der Stadt... So wie mir wird es in all den Jahren seit die Kirche hier ihren Ort hat, vielen ergangen sein und bis heute ergehen. Gefunden werden von Gott in der Kirche, das ist nicht das Schlechteste, was einem passieren kann: Gnade von Gott für uns ereignet sich da. So wird Kirche zum Herzen der Stadt.

Liebe Schwestern und Brüder! Die Kirchen in unserer Stadt haben offene Türen. Sie sind geöffnet für Menschen, die hoffen, dass sie hier zu sich selbst finden, vielleicht sich selbst wieder finden können. Sie sind offen für Menschen, die nach der Erfahrung verlangen, dass sie doch entdeckt werden und gefunden werden mögen von Dem Einen, damit sie nicht verloren gehen auf den Straßen dieser Stadt. Offene Kirche für Menschen, die hoffen, Gnade zu finden.

Zum Jubiläum 200 Jahre Pfarrgemeinde St. Eberhard in Stuttgart gratuliere ich herzlich und verbinde damit den Wunsch: lassen Sie, liebe Schwestern und Brüder, den Kirchen ihrer Stadt die Türen offen. Gehen Sie mit ihrer Kirche, mit ihrer Stadtkirche, ja mit unserer katholischen Kirche der Stadt Stuttgart so um, dass Menschen, die sich finden wollen, sich auch finden können, dass Menschen, die von Dem Einen entdeckt und gefunden werden möchten, um nicht verloren zu gehen, sich finden lassen können: Gnade erfahren. Gott trifft Menschen. - Was wir in den Worten der Lesung aus dem Propheten Jeremia gehört haben, zielt genau darauf, wenn der Prophet Den Einen Gott den Verlorenen versprechen lässt: „ICH bringe sie heim ... und sammle sie von den Enden. Darunter Blinde und Lahme, Umherirrende und Niedergeschlagene .... weinend kommen sie und tröstend geleite ich sie.“ (Jer 31,8.9a) - Damit diese Worte heute lebendig und wahr werden, braucht es geöffnete Kirchen, ja eine offene Kirche für alle, die sich finden wollen und in Ängsten sind verloren zu gehen oder gar schon Verlorene sind. So wird Kirche zum Herzen der Stadt! -

„Hab’ Erbarmen mit mir!“ (Mk 10,47.48) schreit der Blinde an der Straße der großen Stadt Jericho. - Auch einer, der in seiner Finsternis entdeckt werden und gefunden werden wollte, damit er nicht bei den Verlorenen vergessen werde. Und der um Erbarmen angerufene Jesus hört ihn, entdeckt ihn und fragt den, der aus Not schreit: „Was soll ich dir tun“ (Mk 10,51)? – Der um Erbarmen Angerufene hat ein Herz für den Schreienden, er erweist sich barmherzig. - Da ist das große Wort Barm-herzigkeit: ein erbarmendes Herz haben. – Barmherzigkeit sagen die, die unsere Gesellschaft analysieren, sei nicht hoch im Kurs. Für viele sei es ein Un-Wort. Barmherzigkeit sei als menschliche Grundhaltung unzumutbar. Die Zeiten sind halt härter geworden. Weicheier nennen manche Jugendliche ihre Kameraden, die nicht so hart sein wollen wie sie sind. Viele erleben aber am eigenen Leib Unbarmherzigkeit und erfahren sich als hilflose Verlierer. - Barmherzigkeit aber, das wissen die, die die Geschichte der ersten Christen, die Geschichte der jungen Kirche in den großen Städten der antiken Welt erforscht haben, Barmherzigkeit üben war das charakteristische Verhalten der ersten Christen, das „Alleinstellungsmerkmal“ sagen die modernen Profilberater dazu. Vor dem Christentum gab es in der antiken, heidnischen Welt keine Barmherzigkeit.

Erst das Christentum hat die Barmherzigkeit ins Römische Imperium im ersten Jahrhundert nach Christus eingepflanzt und das machtvolle Reich von innen heraus verwandelt. Das ist heute gesicherte historische Wahrheit. Wo also eine junge Kirche lebt, wie die ersten Christen ganz nah an ihrem Ursprung, da blühen Taten der Barmherzigkeit! Leben Sie, liebe Schwestern und Brüder, Kirche nahe am Ursprung, nahe an dem Ursprung, von dem die Heilige Schrift, das Wort des lebendigen Gottes an uns, Zeugnis ablegt!

Die katholische Kirche in Stuttgart ist 200 Jahre alt. Natürlich ist die Erinnerung an jenen 15. Oktober 1806, an dem König Friedrich I. nach der Neuordnung Württembergs auch der Katholischen Kirche im ganzen damaligen Königreich Religionsfreiheit gewährte, ein wichtiges kirchengeschichtliches Ereignis in der Ortskirche der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Mit Freude schauen wir auf dieses Datum zurück. Bis in diese Zeit lassen sich Spuren zurückverfolgen, Spuren auf denen die Katholische Kirche in Stuttgart zu dem geworden ist, was wir heute in vielfacher Weise erleben dürfen. Vieles, was gewachsen ist zum Wohl der Menschen und der Stadt, könnte ich nennen. Ich würde aber ein kein Ende mehr kommen.

Da ist das große Engagement der Katholiken in Stuttgart in der sozial-diakonischen Arbeit, in der Verwirklichung der christlichen Nächstenliebe im Zeichen der Barmherzigkeit. Warum sollten wir an einem solchen Tag, wie heute, auch nicht einmal daran dankbar erinnern? Es ist ein besonderes Werk der vielen katholischen Kirchengemeinden von Stuttgart, dass sie einen eigenen Caritasverband von Stuttgart gegründet haben. Er ist heute der größte Wohlfahrtsverband in der Stadt mit ca. 1500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und ca. 50 karitativen Einrichtungen. - Junge Kirche ist barmherzige Kirche. Leben Sie junge Kirche! Und wenn Anfang nächsten Jahres das Hospiz St. Martin seine Türe öffnet, liegt dies in der Spur einer diakonischen, den Menschen dienenden Kirche. Diakonische Kirche ist heute ohne große Worte eine glaubwürdige, eine missionarische Kirche, eine Kirche, die durch gute Taten zum Wohl der Menschen von selbst Zeugnis ablegt, von dem, was sie ist: Kirche Jesu Christi. Bleiben Sie diakonische Kirche und werden Sie es immer neu!

Das wünscht sich auch der Paulus von seiner Gemeinde der jungen Kirche in Korinth. Er bittet sie sich so zu verhalten, „damit Ihr die großen Taten dessen verkündet, der Euch aus der Finsternis in sein wunderbares Licht gerufen hat“(1 Petr. 2,9b), ruft er seiner Kirchengemeinde zu. Christen leben im göttlichen Licht und leuchten deshalb in die Welt.

Und so kann ich noch einen dritten Wunsch äußern an diesem Jubiläumstag. Liebe Schwestern und Brüder, lebt selbstbewusst Kirche Jesu Christi. Nicht stolz, aber auch nicht verschämt. Seid Euer selbst bewusst! Schaut auf Eure Berufung, und lasst euch nicht in Nischen abstellen. Christen müssen sich nicht, nein, sie dürfen sich nicht verstecken! Stellt euer Licht nicht ins Eck oder unter ein Gefäß, damit es ja niemand sieht, sondern, stellt euer Licht auf den Leuchter: – Aber nicht, damit sie euch sehen und loben - das wünschen sich die Imagepfleger und Werbestrategen. Bei euch soll das nicht so sein. Vielmehr: stellt euer Licht auf den Leuchter, „damit die Menschen eure guten Taten sehen, und sie euren Vater im Himmel loben!“ ... damit die Menschen sich finden lassen können und Gott loben, dass er heute unter den Menschen und durch Menschen so großes tut und heilsam handelt. Kirche sein in dieser Stadt, so Kirche sein, dass sie die Menschen zum Lobe Gottes bewegen kann – darin liegt wohl ihr größtes Gut. Danken wir Gott und loben wir ihn ob seiner großen Taten, die mitten unter uns geschehen. Die Musik, die in St. Eberhard einen so hohen Rang hat, stammt aus dieser Quelle. Feiern wir freudig Eucharistie, die Gegenwart des liebenden, barmherzigen Jesus Christus, der uns in sein wunderbares Licht gerufen hat. Amen.

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