Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt im Festgottesdienst 800 Jahre Kirchbau St. Moriz

Rottenburg, St. Moriz

Schrifttexte: Wsh 3,1-9; Mt 10,28-33

Liebe Schwestern und Brüder,

der lang erwartete Tag ist da, wo wir gemeinsam den 800. Jahrestag der urkundlichen Erwähnung von St. Moriz feiern können. Und obgleich nachweisliche Spuren der Geschichte sogar noch um Jahrhunderte weiter zurückreichen, erinnert uns doch auch schon jenes Datum 1209 daran, wie weit die Wurzeln der Geschichte der Kirche hier in Rottenburg zurückreichen. Auf tief in die Geschichte reichende Säulen können wir aufbauen. Das hilft uns in unserem Mühen heute, in Verantwortung vor Gott und den Menschen Kirche Jesu Christi zu sein und zu gestalten. Die lebendigen Spuren der Geschichte, die wir hier in St. Moriz sehen, spüren und heute vergegenwärtigen, erinnern uns an Grundbestimmungen, die unser Leben als Christen ausmachen.

Da ist vor uns gestellt der Heilige Mauritius, der als Patron dieser Kirche das Ziel unzähliger Pilgerreisen war. Die Erinnerung an ihn verweist uns darauf, dass Christsein immer mit der Bereitschaft zu tun hat, für die Überzeugung seines Glaubens hinzustehen und im gegebenen Fall Widerstand zu leisten gegen Terror und Gewalt, gegen Ungerechtigkeit und Unrecht. Als getaufter Christi weigerte sich im dritten Jahrhundert Mauritius zusammen mit seiner Legion dem Befehl des römischen Kaisers zu folgen, die Christen zu verfolgen. Er verweigerte sich, den heidnischen Göttern und dem Kaiser zu opfern, das hat ihm und seinen Gefährten das Leben gekostet. Märtyrer des Widerstands sind sie so geworden.

Der Heilige Mauritius und seine Gefährten zeigen uns die Widerstandskraft, die aus dem christlichen Glauben stammt. In dieser Tradition der Standhaftigkeit lebte und handelte in seiner Zeit Eugen Bolz, der aus St. Moriz stammt und hier zur ersten Heiligen Kommunion ging. Im Gefängnis in Plötzensee hat er aus der Hand seiner Frau die letzte Heilige Kommunion empfangen: Sakrament der Kraft im Widerstand. Er widerstand in dunkler Zeit unserer Geschichte entschieden und stark im Glauben den heidnischen Caesaren des Nationalsozialismus, Mächten von Unrecht, Gewalt und Terror. Er ist Zeuge der lebendigen Widerstands-Tradition, die uns schon im Heiligen Mauritius begegnet. In glaubender Hoffnung dürfen wir gewiss sein, dass, wie es der Prediger der Weisheit geschrieben hatte, diese Glaubenszeugen Mauritius und Eugen Bolz „beim Endgericht aufleuchten werden wie Funken, die durch ein Stoppelfeld sprühen“ (Wsh 3,7). Zugleich aber erinnern uns gerade diese Glaubenszeugen, die auch den Einsatz ihres eigenen Lebens nicht gescheut haben, daran, mit welch großem Auftrag auch wir heute berufen sind.

Liebe Schwestern und Brüder, gerade der Glaubenszeuge Mauritius ruft uns zusammen mit Eugen Bolz heute in die Mitte unseres tatkräftigen Bekenntnisses als Kirche Jesu Christi. Als Getaufte sind wir berufen und gesandt. Berufen sind wir, mit unserem ganzen Leben glaubwürdig Zeugnis abzulegen von der Kraft unseres Glaubens, der verändernden Praxis unserer Liebe und der mitreißenden Zuversicht unserer Hoffnung. Dies ohne Furcht zu leben, ruft uns im heutigen Evangelium Jesus selbst in seiner Aussendungsrede zu: „Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten, die Seele aber nicht töten können.“ (Mt 10,28) ‚Fürchtet euch nicht!’ Genau darum geht es und der Evangelist Matthäus unterstreicht diesen Zuruf Jesu noch durch Wiederholung: Und fürwahr hatten schon die Jünger zur Zeit Jesu konkreten Anlass, um Leib und Leben zu fürchten, wie es auch der Heilige Mauritius und seine Gefährten hatte. Den Jüngern würde es nicht besser gehen als ihrem Meister.

In dieser Weise sind wir heute –zumindest hierzulande- nicht in Gefahr, für das Bekenntnis unseres Glaubens bedroht oder gar verfolgt zu werden. Vielleicht, so frage ich mich manchmal, liegt das aber auch daran, weil unser Zeugnis zu oft zu wenig entschieden, zu angepasst und weltförmig geworden ist. Statt das Evangelium auf Sparflamme zu kochen und für uns zu behalten, gilt doch auch uns heute die Aufforderung, die der Herr selbst an seine Jünger richtete: Sie sollen furchtlos davon reden, wer ihr Herr ist und an wen sie glauben. Diese Aufforderung zur Furchtlosigkeit, liebe Schwestern und Brüder, behält auch für uns ihre Gültigkeit: Angesichts all dessen und derer, was sich als Herr über uns aufspielt, sollen wir furchtlos daran festhalten, das Evangelium von der Treue und Liebe Gottes zu leben und zu verkündigen.

Und da gibt es durchaus Anlass, dass wir uns gerade an einem solchen Festtag wie dem 800-jährigen Jubiläum von St. Moriz selbstkritisch fragen: Woran hängen wir unser Herz, geht es uns zuerst und zuletzt um unsere physische Existenz, unsere materielle Sicherheit und unser gesellschaftliches Fortkommen – oder begreifen wir, dass es hier um unser ganzes Leben geht? Natürlich gibt es Gefährdungen unseres Wohlstands, die uns Sorgen machen, es gibt vielleicht Einschränkungen lieb gewordener Gewohnheiten oder gar Bedrohungen unserer materiellen Existenz. Zu Recht machen wir uns darum Sorgen. Aber viel wichtiger ist es doch wahrzunehmen, dass es auch die Bedrohung gibt, unsere Selbstachtung, unsere Verbindung zu Gott zu verlieren, das, was die christliche Überlieferung das Seelenheil nannte. Wenn wir nur das Überleben sichern und dafür das Leben opfern, haben wir nichts gewonnen. Denn selbst wenn einer unsere physische Existenz auslöschen kann, in der Verbindung zu Gott ist unser ganzes Leben, die Seele als Einheit unserer ganzen Existenz, über alle Grenze des Todes hinaus bewahrt.

Dieses Zeugnis unseres Lebens sind wir uns selbst, sind wir den Menschen und sind wir Gott selbst schuldig: "Fürchtet euch nicht!" Wenn wir so Zeugnis geben von unserem Glauben, wenn wir voll Hoffnung mit Zuversicht Zeichen für das Reich Gottes setzen und wenn wir schließlich ganz konkret mit der Liebe leben, die er uns aufgetragen hat, dann wird auch durch uns, ja durch uns hier in St. Moriz, sichtbar, wohin Gott in seiner zuvorkommenden Gnade diese Welt führen will. Denn des dürfen wir sicher sein: Er kennt all unsere Pfade, denn ‚sogar die Haare auf dem Kopf hat er alle gezählt.’ (Mt 10,30)

Liebe Schwestern und Brüder, ich hatte begonnen mit einer Erinnerung an jenes Jahr 1209, über das es die erste urkundliche Erwähnung von St. Moriz gibt. Die älteste baulich nachweisbare Anlage am Platz des heutigen Gotteshauses entstand im 1. Viertel des 13. Jahrhunderts; Chronisten des 17. Jahrhunderts nennen dafür das Gründungsjahr 1209. Doch die Wurzeln der St. Morizkirche reichen noch wesentlich weiter in die Kirchengeschichte zurück, wohl bis ins 10. Jahrhundert. Damals schenkte der Bischof Ulrich von Augsburg den Ortsherren von Rottenburg und Ehingen Reliquien des heiligen Mauritius und seiner Gefährten. Sie wurden rasch Ziel einer Wallfahrt, die letztlich den Bau des Gotteshauses von 1209 erforderlich machte. Schon um das Jahr 1000 herum, also lange vor der bekannten Wallfahrt ins Weggental, entstand hier auf dem Boden von St. Moriz die Wallfahrt zu den Reliquien des heiligen Mauritius und seiner Gefährten von der Thebäischen Legion. Und dies ist die letzte Spur, die ich der Geschichte der St. Morizkirche entnehmen und für uns heute heranziehen möchte: Wallfahrten sind eine Tradition, die aus dem Innern des Glaubens entstehen und die uns auf unserem Pilgerweg durch die Zeit daran erinnern, wer wir als Kirche Jesu Christi sind.

Die Pilger früherer Jahrhunderte erhofften sich von St. Mauritius, wie es in alten Wallfahrtsbüchlein heißt, „absonderlichen Beystand in den Gefahren des Leibs und der Seelen, gewissere Hilf in Sachen wie den zeitlichen Wohlstand betreffend, als auch das ewige Heyl belangend“, aber auch „Hilfe in Feuersnöthen wider die Brunst“. Gerade so werden wir also durch die alte Tradition der Wallfahrt zum Heiligen Mauritius daran erinnert, dass wir als Kirche eine Weggemeinschaft sind, die mit einem festen Ziel unterwegs ist. Als Christinnen und Christen wissen wir, woher wir kommen und wir glauben, wohin wir gehen. In unserem Leben, unserem Glauben und in der Praxis unseres Lebens sind wir als Zeugen der Frohen Botschaft unterwegs. Wir sind eingeladen, auch den Menschen unserer Zeit glaubwürdig und anstiftend Zeugnis zu geben von der Hoffnung, die uns bewegt. Wir sind berufen, durch die heilsame Art, unser Leben bewusst, verantwortungsvoll und einladend als Gemeinde zu gestalten, auch für die Welt von heute ein Zeichen der Hoffnung zu setzen.

Wir haben viel von den Spuren gehört, die es über die Entstehung dieser Kirche St. Moriz in Rottenburg-Ehingen gibt. Es sind eindrucksvolle Berichte, wie ein solch markanter Ort des Glaubens entsteht, wie er wächst, sich verändert im Lauf der Jahrhunderte und wie er die Zeichen geschichtlicher Veränderungen an sich trägt. So entstand ein Gotteshaus, das bis heute für Gottesdienstbesucher ebenso wie für andere Besucher ein eindrucksvolles Zeugnis einer langen Glaubenstradition darstellt. Doch viel schwieriger noch, als solch eine steinerne Kirche zu errichten, ist es, das Haus einer lebendigen Gemeinde zu bauen. Lassen Sie uns dieses wunderbare Jubiläum nutzen, um neu darüber nachzudenken, woraus wir in Zukunft als Kirche leben wollen.

Nur von Gott her, der die Welt erschaffen hat und erhält, nur in Jesus Christus, der Herr und Ziel aller Geschichte ist, und nur in der Kraft des Heiligen Geistes, der uns Gemeinschaft untereinander und mit Gott schenkt, der uns belebt und erneuert, sind wir auch heute und morgen als Kirche zeitgemäß und zukunftsfähig. Unser Glaube muss zeitgemäß sein, das heißt, er muss eine Antwort auf die Probleme und Fragen unserer Zeit zu geben versuchen. Dann aber dürfen wir leben in einer ‚Hoffnung voll Unsterblichkeit’ (Wsh 3,4)

Amen.

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