Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt im Ökumenischen Gottesdienst zum Jubiläum 900 Jahre Kloster Lorch

Lorch

Schrifttext: Spr 2,1-9; Mt 19,27-29

Liebe Schwestern und Brüder in Christus,

Freut euch alle und singt mit Schalle, so hatte es im wunderbaren Chorgesang von Bach geheißen, und wann sollte dies gelten, wenn nicht an solch herausragendem Tag? Das Kloster Lorch, eines der frühesten und wichtigsten Klöster der Staufer, feiert das 900. Jubiläum seiner Gründung.

Doch ist es gerade an diesem Tag gut, sich heute zum Gottesdienst zu versammeln, uns gemeinsam und einander daran zu erinnern, was denn das Zentrum des Klosters, der Grund der Kirche und die Mitte unseres Glaubens ist. So möchte ich die Stunde nutzen, Sie und mir dieses Zentrum, jenen Grund bewußt zu machen, der uns - weit über die Feierstunde hinaus - trägt und leben läßt. Wir können dies, indem wir auf eine lange Geschichte zurückblicken, uns erinnern an Wegmarken und Wendepunkte, indem wir lernen aus der Geschichte für Gegenwart und Zukunft. Ich möchte diese Besinnung mit einer kurzen historischen Erinnerung beginnen, denn jede Geschichte braucht auch immer Menschen, die handeln, die aufbrechen und sich zu Taten entschließen. Menschen sind nötig, die aus ihrer Überzeugung heraus beginnen, ihr Leben entsprechend zu verändern.

Im Jahr 1102 waren es Benediktinermönche, die nach der Gründung durch Friedrich I. von Schwaben ein Kloster wohl anstelle einer Burg errichteten. Im Zeitalter unsrerer aufgeklärten Moderne vergessen wir leicht, dass die Klöster und Ordensgemeinschaften durch ihren Einsatz viele Schriften und mit ihnen unsere Kultur erhalten und gestaltet haben. Die biblischen Schriften, patristische Werke, liturgische Bücher, Gesetzessammlungen, Werke aus Philosophie, Geschichte und Dichtung wurden bewahrt und durch eine neue malerische Schriftkultur übertragen.

Unsere philosophischen, theologischen oder etwa ethischen Diskussionen könnten nicht auf Niveau geführt werden, wenn nicht vor allem benediktinische Mönche Tradition im guten Sinn, nämlich Überlieferung konkretisiert hätten. Was wäre ein philosophischer Grundkurs ohne die Kenntnis der Schriften des Aristoteles? Und wie wäre in unserer Zeit ein interreligiöser Dialog mit dem Islam möglich ohne die Werke des Averroes, den wir durch die Schriftkultur der Klöster als Avicenna kennenlernen und studieren können.

Dieser Hinweis auf die Praxis klösterlichen Lebens läßt uns aber noch einen weiteren Schritt zurück in die Vergangenheit gehen, um die Gegenwart zu verstehen und für die Zukunft zu lernen. Die Regel des Benedikt erinnert uns mit dem Kernpunkt "Ora et labora" daran, dass christliches Leben durch Bindung an Gott und leidenschaftlichen Einsatz für die Welt zugleich bestimmt wird. Die Besinnung auf den Ursprung des Klosters Lorch erinnert uns an das Leben der Christen in konsequenter Nachfolge Jesu. Nun soll nicht die benediktinische Regel bis ins Kleinste hier vorgestellt werden, zumal sie Benedikt selbst mit folgenden Sätzen beschließt: "Wer aber im klösterlichen Leben rasch zur Vollkommenheit gelangen will, den verweisen wir auf die Lehren der heiligen Väter: ... Ist denn nicht jede Seite und jedes von Gott beglaubigte Wort des Alten und Neuen Testamentes eine gerade Richtschnur für das menschliche Leben?"

Wir werden also bei unserem Rückblick auf den Ursprung von Kloster Lorch zurückverwiesen, noch einen Schritt weiter zurück zu fragen und Antwort zu suchen im Wort der Bibel. Und wenn wir die Schrifttexte des heutigen Tages nochmals bedenken, dann scheinen sie auf geheimnisvolle Weise miteinander und vor allem mit uns zu sprechen. Da ist zunächst der weisheitliche Abschnitt aus dem Buch der Sprichwörter, wo es heißt: "Wenn du meine Worte annimmst und meine Gebote beherzigst ... dann wirst du die Gottesfurcht begreifen und Gotteserkenntnis finden." (Spr 2,1.5)

Achten wir genau darauf, wie sorgfältig und differenziert der Verfasser des Textes seine Verheissung formuliert. Da wird kein plumper Tun-Ergehen-Zusammenhang aufgebaut nach dem Motto: Tu dies und du bekommst das. Nein: Da geht es zunächst darum, Wort Gottes anzunehmen, es im wahrsten und tiefsten Sinn zu beherzigen, das heißt, es zu seinem Herzen zu nehmen, sein Herz, seine Mitte darauf auszurichten. Wenn man das aber tut, wird, so fein tastet sich der Autor voran, ein allmähliches "Begreifen der Gottesfurcht und Finden der Gotteserkenntnis" geschehen. Zwei Dinge sind mir wichtig: Die beherzte Annahme des Wortes Gottes und das dem angemessene konkrete Handeln in der Welt wird in Zusammenhang gebracht mit dem Verstehen, ja mit der Nähe Gottes.

Und zweitens läßt der Dichter keinen Zweifel daran, dass der Gläubige auf diesem Weg nicht allein ist, sondern Gott selbst ihn dabei begleitet und behütet. In dieser zuversichtlich stimmenden Zusage dürfen wir Christen noch einen Schritt weitergehen. Im Glauben, dass in Jesus Christus dies Wort Gottes Mensch geworden ist, lesen wir die Texte des Alten Testamentes mit neuen Augen und schauen zudem in den Abschnitt des Evangeliums, den wir eben gehört haben.

Und fast scheint es so, als würde Jesus die Verheißung des Alten Bundes aufnehmen und als Hoffnungsperspektive in die Zukunft richten. Dabei aber verändert er die Aussage um einen entscheidenden Inhalt, indem er sich selbst als das Wort Gottes schlechthin präsentiert. Und dann wird die Gruppe, die "Gottes Wort annimmt" zu denen, die "mir nachgefolgt sind". Die Aufforderung, "die Gebote zu beherzigen" wird ganz konkret im Ruf, "um meines Namens Willen alles zu verlassen". Und dies, so dürfen wir wohl fortfahren, frei zu sein für das Reich Gottes und so alles zu gewinnen. In diesem kleinen Abschnitt aus dem Matthäusevangelium zeigt Jesus sich selbst als den Menschen, der Wort Gottes konkret für andere lebt, und der die Menschen, uns alle, einlädt und auffordert, ihm entsprechend nachzufolgen.

Lesen wir die beiden Schrifttexte so zusammen, dann lernen wir: In Jesus fallen Gottes und der Menschen Sache ununterscheidbar zusammen, in ihm sagt Gott uns zu: Ja, Mensch, ich bin ganz bei dir. Beherzige meine Worte, nimm zuerst und zuletzt mein tiefstes, mein schönstes Wort dir zu Herzen und folge ihm nach. Deshalb haben wir Grund und Auftrag, den Boden unter den Füßen und die Kraft des Handelns, auch selbst ganz für andere Menschen da zu sein.


Liebe Schwestern und Brüder, ich bin weit zurückgegangen in dieser festlichen Stunde, und doch sind wir, ausgehend vom Kloster hier in Lorch und seiner Geschichte eingekehrt in der Mitte unseren Glaubens. Es ist gut, dass uns der heutige Festtag hier zusammenführt. Es ist ein sehr angemessener Anlaß, uns diese erste und letzte Wahrheit unseren Glaubens und Lebens neu bewußt zu machen. Bei allen bestehenden Unterschieden und auch manchen strittigen Differenzen eint uns doch zutiefst der gemeinsame Glaube an den lebendigen Gott Jesu Christi. In dessen Geist haben wir uns in ökumenischer Einheit heute versammelt. Er ist die Mitte und Kraft unseres Glaubens, der uns handeln läßt.

 

Amen.

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