Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt im Pontifikalamt am 20. Todestag von Bischof Dr. Moser

Rottenburg, Dom St. Martin

Schrifttexte: Apg 2,14-41; Joh 10,1-10

Liebe Schwestern und Brüder,


‚Ut habeant vitam’ - ‚damit sie das Leben haben!’ - Mit diesem Wahlspruch hat Bischof Dr. Georg Moser seinen bischöflichen Dienst überschrieben. ‚Ut habeant vitam’: damit hat er in verdichteter Weise seine Sendung und seinen Dienst als Bischof zusammengefasst. Dieses Wort führt uns zugleich in die Mitte der Frohbotschaft und auf das Wesentliche der Berufung zum Christsein.

Bischof Georg selbst hat seinen Wahlspruch nach seiner Ernennung zum Weihbischof 1970 folgendermaßen erschlossen: „Das Motto“, schreibt er, „ist aus einem Satz aus dem Johannesevangelium entnommen, in dem das Bild vom guten, wahren Hirten überliefert wird: ‚Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und überfließende Fülle haben.’“ Zwei Dinge sind für Bischof Moser gleich zu Beginn wichtig: Zuerst die grundlegende Orientierung des christlichen Lebens und Glaubens an der Hirtengestalt, wie sie Jesus Christus dargestellt und vorgelebt hat. Und dann, dass durch die Gestalt des Hirten zugleich die maßgeblichen Konturen für das christliche Verständnis eines ‚Lebens in der Fülle und aus der Fülle’ deutlich wird. - Folgen wir am heutigen Tag der Spur, die Bischof Moser bereits durch seinen Wahlspruch ausgelegt hatte.

Als achtes Kind einer Handwerkerfamilie in Leutkirch wurde Georg Moser 1923 geboren. Durch seine Herkunft aus der damals bäuerlich geprägten und zugleich wunderbaren Kulturlandschaft des Allgäu, war er mit dem biblischen Bild des Hirten gut vertraut.
Im Alten Testament ist der Hirt das Symbol der unentwegten schützenden und leitenden Sorge Gottes für die Menschen.

Es ist Gott, der den Propheten Ezechiel über seine Beziehung zu den Menschen sagen läßt: „Ich will ihr Hirt sein und für sie sorgen, wie es recht ist“ (Ez 34,16). Und beim Propheten Jesaja hören wir über den Gott Israels: „Wie ein Hirt führt er seine Herde zur Weide, er sammelt sie mit starker Hand.“ (Jes 40,11). An dieses Bild knüpft Jesus von Nazareth an. Gottes Hirtenliebe hat in Jesus ganz kon-krete Züge angenommen. Er konnte zurecht von sich sagen: „Ich bin der gute Hirt“ (Joh 10,11). In der damaligen Umwelt Jesu wussten die Zuhörer, was er damit meinte: Ihr könnt mir vertrauen, ich will euch Gutes, ich lasse euch nicht allein, ich stehe für euch ein. Ich führe euch zu der Quelle, aus der wir leben.

Jesus greift im Bild des Hirten das Urbedürfnis von uns Menschen nach Gewissheit und Orientierung, nach guter Leitung und solidarischer Gemeinschaft auf. Gott liegt alles an uns Menschen. Er liebt uns, wie ein guter Hirt seine Schafe liebt. Gerade den Verlorenen geht Jesus nach. Er ruht nicht, bis er sie gefunden hat. Und wenn er sie gefunden hat, nimmt er sie voll Freude auf (Lk 15,4f).

Wie weit dieses Einstehen Gottes für uns Menschen geht, hat uns Jesus durch seinen Tod gezeigt. Jesus liebte die Menschen, gerade die Verlorenen, ohne Rücksicht auf die eigene Person. Seine unerschütterlich treue Liebe zu Menschen wird ihn schließlich das Leben kosten. Das hat ihn nicht gehindert die Sünder zu lieben. Jesus hat als der gute Hirt das Heil, das Wohlergehen, das gute und wahre Leben, das ewige Leben der Menschen im Auge. Er liebt sie so, dass er schließlich sein Leben für sie hingibt.

Nichts, auch nicht die Bedrohung mit dem Tod, hält ihn ab, sich für die Menschen, für die Sünder, die Armen, die Schwachen aktiv einzusetzen, ihnen hilfreich und heilsam zu begegnen. Mit seinem Tod am Kreuz hat er dafür bezahlen müssen. Gott hat ihn deshalb auferweckt, weil in ihm sein Hirtesein bleibend Gestalt geworden ist! Jesus der gute Hirte, sorgt bleibend und beständig für uns, selbst über Sterben und Tod hinaus.

Mit der Entscheidung für seinen Wahlspruch aus dem Johannesevangelium knüpfte Bischof Dr. Moser an diese Gedanken an und stellte seinen Dienst als Bischof, sein bischöfliches Amt ausdrücklich in die Nachfolge des guten Hirten Jesus Christus. Das Leben als Christ soll auf diesem Weg gekennzeichnet und zu erkennen sein als bewusst gestaltete und konkret gelebte Hirtensorge der Menschen miteinander und füreinander.

Liebe Schwestern und Brüder,

um der Mitte des heutigen Evangeliums und zugleich der Gestalt von Bischof Dr. Moser noch näher zu kommen, gehen wir noch einen Schritt weiter. Aus dem Zusammenhang des Evangeliums entschied sich Bischof Georg für den Teilsatz als Wahlspruch: ‚Ut habeant vitam’: ‚damit sie das Leben haben’. In der Gestalt des guten Hirten, wie sie in Jesus Christus leibhaftiges Leben geworden ist, zeigt sich, was den christlichen Begriff des Lebens, eines Lebens in Fülle ausmacht. In seiner eigenen Auslegung des Wahlspruches geht Bischof Moser eben darauf ein. Indirekt bekommen wir so auch ein deutliches Selbstporträt, wie er seinen Dienst als Bischof verstanden und ausgeübt hat. Er schreibt: „Dieses Leben ist nicht ein unbestimmter, romantischer Begriff; es ist Kennzeichen, Wirklichkeit und Gabe Gottes. Und Er ist der Lebendige und Leben Schenkende und er will, dass wir das Leben in Fülle erben. (...) Wo das erkannt wird, dort wird letztlich erst vernehmbar, was Leben überhaupt ist.

Durch Jesus Christus, den Auferstandenen, ist es uns in letzter Gültigkeit erschlossen. Er hat uns das ‚ewige Leben’ eröffnet, das nicht etwa ein Anhängsel an die jetzige Existenz ist, sondern eine neue Qualität unseres Seins. Diese Wahrheit will konkret werden mitten in unserer Welt; indem das erhellende Wort vom Leben zum Licht, zur Weite, zur Kraft und zum Trost für den Menschen der Gegenwart wird. (...) In diese Wirklichkeit hinein muss das Angebot für ein Leben gemacht werden, dessen Aufschwünge nicht in Enttäuschung zurückfallen. Darin sehe ich die Aufgabe der Kirche, dieses befreiende Angebot für ein neues, bis ins letzte sinnträchtige Leben zu vermitteln.“ (zit. nach: Ein Lebensbild. Bischof Dr. Georg Moser 1923-1988, 46)

Liebe Schwestern und Brüder, zeitlebens hat sich Georg Moser bemüht, eben diesem Anspruch gerecht zu werden, diese kirchliche Grundaufgabe auszufüllen und mitten in der Welt mit geeigneten Mitteln zu gestalten.

Sein eigenes Bischofs-Leben ist der lebendige Kommentar dieser, seiner eigenen Worte.
Schauen wir ein letztes Mal in den Text des Evangeliums und fragen nochmals, was genau mit diesem ‚Leben in Fülle’ beschrieben ist. Denn ein Leben, das in der Nachfolge Jesu Christi, in der gnadenreichen Zuwendung der Liebe Gottes und in der Kraft seines beflügelnden Heiligen Geistes gestaltet wird, das gewinnt schon hier und jetzt Anteil an der reichen Fülle. Die überreiche Fülle dieses von Gott kommenden Lebens, die Nähe Gottes als seine heilsame Zuwendung hebt die letzte Wendung des Wortes im Johannesevangelium hervor: ‚damit sie das Leben im Überfluss haben’. Die Steigerung meint dabei nicht etwas, das mehr wäre als Leben, sondern das Leben in seiner vollkommen Art: das ewige Leben.

Das Leben in Fülle ist dabei keineswegs eine Vertröstung auf ein Jenseits im Unterschied zum jetzigen, von Jesus geschenkten Leben. Im Gegenteil: Es geht um dieses Leben in seiner unzerstörbaren, sogar den Tod überwindenden Kraft: Leben in Fülle, die Erschließung des Lebensraumes Gottes im Leben, das nach seiner Vollendung in der Gegenwart Gottes strebt!

Dieses Leben in der Fülle ist das uns und allen zugesagte Heil Gottes, das uns in unüberbietbarer Weise in Jesus Christus konkret und erfahrbar begegnet ist. Bischof Dr. Georg Moser hat sich der Verkündigung dieses Lebens zeitlebens in seinem Handeln verpflichtet gesehen. In seiner Spur sind auch wir heute gerufen, an den gegebenen Orten die frohe Botschaft anderen Menschen weiter zu geben und so Menschen, unserer Gesellschaft, der Welt und der ganzen Schöpfung selbst heilsam zu sein.

Amen.

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