Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt in den Gottesdiensten zur Verleihung der Missio 2002

Stuttgart

Schrifttext: Ex 19,2; Mt 9,36 – 10,8

Liebe Schwestern und Brüder!

Was für eine treffende Geschichte für den heutigen Anlaß. Wir hörten gerade eine Aussendungsgeschichte: Wie geschrieben für den festlichen Tag, an dem sie offiziell gesandt werden, im Auftrag der Kirche Religionsunterricht zu geben, sich in das große Abenteuer hineinzubegeben, in den Schulen der heutigen Zeit die alte Geschichte zu erzählen.

Immer wieder neu. In immer wieder neuen Anläufen, mit immer wieder neuen Einfällen, pädagogischen Methoden, mit Erzähltalent oder medialer Unterstützung, mit erfahrungsbezogenem Ansatz und mit der schlichten Weitergabe von Wissensinhalten. Die alte Geschichte in immer wieder neuen Geschichten erzählen. Die eine Botschaft, die Grund unserer Hoffnung ist, auf vielfache Weise zu vermitteln versuchen.

Und nun wird uns also heute dieser Text gesagt, er wird uns zugemutet in beiden Bedeutungen des Wortes: Er ist eine Zumutung, an dessen Verständnis wir uns abmühen müssen, er ist aber auch ein regelrechter Mutmacher, der ihnen mit auf den Weg gegeben wird.

Der Text zeichnet ein treffendes Porträt des Mannes aus Nazareth, der im Zentrum der Frohbotschaft, im Zentrum unserer Verkündigung, in der Mitte unseres Lebens steht. Da heißt es gleich zu Beginn: ‚Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen.‘ Ein Kernsatz der Botschaft Jesu und zugleich der Inbegriff seines Lebens ist das Mitleid, Mit-Leiden, Sympathie. Jesus lebt den Menschen glaubwürdig vor, wie das gehen kann, dass sie einander als Geschwister wahrnehmen. Er verkündet nicht nur den Anbruch des Reich Gottes, er handelt entsprechend, er buchstabiert ganz konkret durch, was Sympathie heißt: Mit-Leiden, die Fähigkeit, anderes Leiden so als eigenes Leid mitzufühlen, dass man darangeht, es gemeinsam zu ändern, fremde Lasten mit zu tragen, weil die Trennung in Anderes und Eigenes als überholt durchschaut ist.

Wenn wir - mit Johann Baptist Metz- davon ausgehen, dass Compassion ein Schlüsselwort des Christentums ist, dann liegt hier ein zentraler Inhalt heutigen Unterrichts modellhaft vor: Empfindlichkeit für das Leid der anderen und daraus erwachsene soziale Sensibilität enthält alles, was das Christentum der Welt zu geben hat. Eine aktive Toleranz aber, die für jede plurale Gesellschaft unabdingbar ist, ist nur möglich, wo beides gelingt: Orientierung für den Einzelnen ebenso wie die Förderung einer Kultur der Wertschätzung und Anerkennung von Anderem. Anerkennung des Anderen, die Anleitung, Fremdes und Fremde zu verstehen, und die Fähigkeit zum Dialog untereinander und besonders auch in der multikulturellen Gesellschaft sind die zentralen Bildungsinhalte für unsere Zeit.

Dabei geht es nicht darum, unser Eigenes aufzugeben und verschwimmen zu lassen, denn es gilt, mit einem Wort von Hermann Hesse: Gestaltlose Schatten begegnen sich nicht. Es geht also gerade um die Entwicklung und Konturierung von Gestalt und Inhalten.

Eine zentrale Kontur ist dabei Sympathie, das ‚an die Stelle des anderen Treten, Stellvertretung das Tu-Wort, was Jesus Christus so charakterisiert wie nichts sonst. Ein Tu-Wort, dass er so glaubwürdig verkünden kann, weil er es mit seinem Leben erfüllt. Behalten wir diesen Kern der jesuanischen Frohbotschaft stets auch in der Mitte unserer Verkündigung: Jesus der glaubwürdige Hirte, der die Menschen ansieht, Mitleid mit ihnen hat, an ihre Stelle tritt und entsprechend handelt. Nehmen wir beide Akzente seines Lebens an: die Einheit von Worten und Taten und die Sympathie mit dem Leben, das Mitleiden als Lebensmaxime schlechthin.

Weil es im Religionsunterricht um persönliche Orientierung und Identitätsfindung geht, kann er nur von Personen unterrichtet werden, die christliche Religion auf Grund eigener Erfahrung darstellen können, die ihre Worte durch eigenes Leben glaubwürdig konkretisieren.

Jesus, der gute Hirte, sendet die Jünger und Jüngerinnen als Hirten unter die Menschen. Die beiden großen Sätze des heutigen Evangeliums gehören zusammen: ‚Als er die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen.‘ Und: ‚Geht und verkündet: das Himmelreich ist nahe.‘ Jesus traut den Jüngern zu, als Hirten unter die Menschen zu gehen, sie zu lehren, auf heilsame Weise ihr Leben zu teilen. Denn das macht Jesus sogleich deutlich: Die Verkündigung der Botschaft Jesu hat nicht nur mit gut gewählten Worten zu tun: ‚Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus.‘ Glaubwürdig wird Verkündigung durch das Leben, das dieser Botschaft entspricht. Ein moderner Ansatz ganzheitlichen Unterrichts findet sich in der jesuanischen Einheit von Wort und Tat längst vorgezeichnet.

Jesus traut es ihnen zu, Mitarbeiter für die große Ernte zu sein. Umgekehrt gedacht: Wenn ich an manchen Bericht unserer Zeit denke, wenn ich mir die Situation in den Schulen vorstelle, dann scheint es mir fast ein Blick ins Lehrerzimmer zu sein, wenn es heißt: ‚sie waren müde und erschöpft.‘ Aber so ist es nicht, auch dies ist die Aussage des Textes: Die Jünger dürfen sich die Übernahme des Auftrags zutrauen, so verzagt und zweifelnd sie an manchen Tagen sein mögen. Sie dürfen sich im Vertrauen aussenden lassen, dass der, der sie schickt, auch mit ihnen ist. Das ist die gute Nachricht für uns.

Und noch eins gibt uns der Text mit auf den Weg: Jesus verleiht seiner Botschaft durch sein Leben ein glaubwürdiges Profil. Und so tut es das heutige Evangelium dann ausführlich auch mit den Jüngern: Es nimmt sich die Zeit und gibt den Raum, sie beim Namen zu nennen und ein Porträt von ihnen zu entwerfen. Wenn Sie hier gleich namentlich aufgerufen werden und nach vorne kommen, nehmen wir bewußt genau diesen Modus auf: Denn Menschen, die im Namen Jesu, mit seiner Botschaft gesandt sind, das sind keine konturlosen Schatten. Christen sind Zeitgenossen, die mit ihrem Profil erkennbar sind, Menschen, die durch ihr Leben und ihre Botschaft der Zeit ein glaubwürdiges Zeichen der Hoffnung geben.

Liebe Schwestern und Brüder: Unsere Zeit hat dieses Zeichen bitter nötig. Schauen wir in die Gesichter von vielen, gerade auch manchen jungen Menschen. Oft trauen sie unserer Zeit, unserer Gesellschaft, der Zukunft und auch sich selbst nicht viel zu. Viele sind resigniert, ohne Perspektive und Orientierung, ehe sie ihren Lebensweg noch richtig begonnen haben: sie sind ‚müde und erschöpft‘. Die Welt, die Menschen brauchen keine Verdoppelung ihrer Resignation und Hoffnungslosigkeit. Sie brauchen dringend das Zeugnis unserer gelebten Hoffnung. Sie brauchen die widerständige Erfahrung einer frohen Botschaft vom Leben, das ihrem Leben Sinn und Orientierung geben kann. Ein profilierter, konturenreicher Religionsunterricht leistet seinen Teil dazu.

Schließen möchte ich mit einem Text von Hanns Dieter Hüsch, der das zuvor Gesagte auf eindrucksvolle Weise verdichtet. Er versucht, die eine Botschaft auf wieder eine neue Art weiter zu geben. Das Gedicht enthält zugleich meinen Wunsch an Sie, den ich Ihnen mit der Missio mit auf den Weg geben möchte:

‚ihnen doch immer wieder

die Geschichte erzählen

die brennende Geschichte

von Hoffnung und Protest

ihnen doch immer wieder

vor Augen malen

das Bild

einer blühenden Erde

nicht den Fakten

sondern Gott

das letzte Wort lassen

dem Gott der Väter

der auch ein Gott

der Kinder ist.‘


Amen.

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