Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt in der Osternacht 2003

Rottenburg, Dom St. Martin

Schrifttexte: Gen 1-2,2; Ex 14,15-15,1; Jes 55,1-11; Röm 6,3-11; Mk 16,1-7

Liebe Schwestern und Brüder!

Wir haben die brennende Osterkerze in den dunklen Dom hereingetragen und unsere Kerzen entzündet. Das im Dunkeln sich ausbreitende Licht erfüllte uns mit Freude. Und die Freude mündete ein in den österlichen Jubelgesang über „Christus das Licht“. Über Christus, „der in dieser Nacht die Ketten des Todes zerbrach“ (Exultet), wie das Osterlob jubelt. Der freudige Ruf über „unseren Herrn Jesus Christus, der von den Toten erstand“ (Exultet), pflanzte sich fort in das österliche Halleluja: Freude über Freude. Er, Christus, ist auferstanden! (Mk 16,6c)

Doch eigenartig: von den Frauen, die zum erstenmal die Botschaft hören, dass er lebe, wird ähnliche Freude nicht berichtet! Die drei Frauen, die zum Grab gekommen waren, sie erschrecken zutiefst. Als der Bote der Auferstehung ihnen die frohe Botschaft verkündet, „Er ist auferstanden!“ und sie sehen, dass er nicht hier ist, hören wir von Markus: „Da verließen die Frauen das Grab und flohen, denn Schrecken und Entsetzen hatte sie gepackt.“ (Mk 16,8) Schrecken und Entsetzen ob der Botschaft. Ja, sie verstummen, „denn sie fürchteten sich.“ (Mk 16,8)

In der Trauer über den Tod Jesu bleiben sie in der Spur des Üblichen. „Ein Toter ist tot, und uns bleibt nur der Liebesdienst, den Leichnam zu versorgen.“ Darauf waren sie eingestellt. So wie wir alle! Als das Übliche, das, womit sie gerechnet hatten, so total durchkreuzt wird, da geraten sie außer Fassung: Schrecken und Entsetzen. Wo das Übliche durchbrochen wird, wo Unerwartetes eintritt, schrecken wir zurück. Und die drei im leeren Grab erfahren mehr als Unübliches. Unvorstellbares erfahren sie. Ungeheueres ist geschehen – der tote Jesus ist im neuen Leben. Er, der sie liebte, lebt!

Er, der sie liebte, als er hassende Menschen versöhnte: Wahres Leben wurde hier erfahrbar.

Er, der sie liebte, als er die von Krankheit Geschlagenen heilte: Neues, heiles Leben wurde wach.

Er, der sie liebte, als er den Vereinsamten Nähe schenkte: Neues, ewiges Leben brach hier herein.

Er, der sie liebte, als er sie durch seine liebende Nähe verwandelte: Ewiges Leben für uns, kam hier zum Vor-Schein.

Die Leben zerstörende Todes-Mächte hat der liebende Jesus überwunden. Durch die Lebensmacht der Liebe hat er ewiges Leben vergegenwärtigt. Er, der das alles an uns Menschen getan hat, lebt. Er hat die Ketten des Todes gesprengt. Das ist die Botschaft dieser Oster-Nacht. Paulus verkündet von Christus: „der Tod hat keine Macht mehr über ihn“ (Röm 6, 9b) Er, der uns liebt, lebt!

In der Auferstehung Jesu zeigt sich: Die schöpferische Macht zum Leben, seine Liebe zu uns Menschen, ist stärker als die Mächte des Todes. Eine ungeheure Botschaft, ganz und gar nicht das Übliche, ein unvorstellbares Ereignis: „Er, der uns liebt, lebt!“

Liebe Schwestern und Brüder, erst allmählich begreifen die Jünger, was sich da ereignet hat, welche Botschaft sie da ins Herz trifft. Und ER begegnet ihnen und sie erkennen IHN! Jesus, die Macht des Lebens in Person zeigt sich ihnen, tritt vor ihnen, seinen Jüngern, auf: Da freuten sie sich, als sie den Herrn sahen! (Joh 20,20b), so bezeugt es Johannes in seinem Evangelium.

Wir, liebe Schwestern und Brüder, wir freuen uns, dass wir den Herrn sehen, im neuen, ewigen Leben. „Er, der uns liebt, lebt!“ Das ist unser Osterjubel: Freude über Freude! Die Freude dieser Nacht bleibt dort lebendig, wo wir auf die schöpferische Macht der Liebe trauen und unser Leben entsprechend gestalten. Die Freude dieser Nacht bleibt dort lebendig, wo wir auch als Glaubensgemeinschaft, als Kirche, diese schöpferische Macht der Liebe leben.

Dieser unvorstellbaren Tat Gottes, dieser Botschaft, dass die Liebe den Tod überwindet, jubeln wir in dieser Nacht zu. Die Ketten des Todes sind gesprengt. Christus ist auferstanden, ja er ist wahrhaft auferstanden.

Amen!

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