Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zu 200 Jahre St. Eberhard

Stuttgart, Konkathedrale St. Eberhard

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

verehrte liebe Gäste, die Sie gekommen sind, um diesen festlichen Tag mitzu-feiern, und jetzt in der Eucharistie dabei zu sein.

Wir sind zusammen gekommen und feiern zum Abschluss des 200-jährigen Jubiläums der Weihe der Kirche St. Eberhards eine festliche heilige Messe. Ich freue mich mit Ihnen über diesen Tag. Noch einmal gratuliere ich sehr herzlich zu diesem denkwürdigen Jubiläum, und mit Ihnen blicke ich dankbar auf das, was seit den Anfängen dieser Kirche aus ihr geworden ist. Sie hat ihren eindrucksvollen, herausragenden Platz gefunden, mitten in der Landeshauptstadt Stuttgart.

1807 schenkte König Friedrich den wenigen Katholiken Stuttgarts den Bauplatz hier für eine katholische Kirche. 1812 wurde die neu erbaute Kirche in der Zeit von Stadtpfarrer Johann Baptist Keller, dem späteren ersten Bischof der neu gegründeten Diözese Rottenburg, geweiht. 1978 dann wird mitten in der Stadt diese Kirche, diese Eberhardskirche, zur Konkathedrale erhoben. Seither ist sie nach dem Dom St. Martin in Rottenburg die 2. Bischofskirche der Diözese. Bischof Georg Moser wollte damals mit diesem Schritt zeigen: Kirche ist dazu bestimmt, mitten im Leben der Menschen, mitten in der Stadt, da zu sein und zu wirken: die frohe Botschaft zu verkünden und heilend mit den Menschen und an den Menschen zu handeln.

Kirche - alle Christgläubigen, getauft und gefirmt, alle Ämter und Dienste der Kirche - muss Anteil nehmen an der „Freude und Hoffnung, an der Trauer und Angst der Menschen von heute“ (GS 1,1). Und ihre Dienste und Ämter müssen in der Seelsorge für die Menschen da sein, für sie wirken. Das ist die Vorgabe des 2. Vatikanischen Konzils.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, unserer Freude am heutigen Festtag geben wir damit am besten Ausdruck, dass wir die Einladung dieses menschenfreundlichen Gottes an die Menschen aussprechen, an die Menschen, die diese Kirche sichtbar und erfahrbar sein wollen und darin Gott loben und preisen, weil sie ihn erfahren als den, der für sie da ist.

Da sind die Menschen, die in unserer lauten, schrillen Zeit einen Ort, einen menschenfreundlichen Ort finden wollen, einen Ort der Ruhe, eine Oase der Stille und der Einkehr, mitten in unseren zerstreuenden Welt. St. Eberhard ist hier wie eine Einladung, einzukehren in diesen weiten Raum, der so anders ist, als die üblichen Räume. Hier, liebe Schwestern und Brüder, kann niemand etwas kaufen. Hier muss auch niemand etwas produzieren oder leisten. Jeder ist herzlich willkommen. Die Türen stehen offen für diesen Raum der Einkehr, der Begegnung mit Gott. „Kommt zu mir, ich will euch Ruhe verschaffen.“ Das ruft Jesus zu seiner Zeit den auch damals unruhigen Menschen zu. Den Verstreuten, jenen, die aufgeregt waren, weil sie ausgeschlossen wurden, weil sie nicht dabei sein durften. „Ich will euch Ruhe verschaffen.“ Ganz in dieser Spur des Jesus von Nazareth ruft ein wortgewaltiger Christ (Johannes Chrysostomos) am Anfang der Kirche den Menschen zu: „Gott hat die Kirchen wie Häfen im Meer angelegt, damit wir euch aus dem Wirbel irdischer Sorgen dahin retten und Ruhe - Stille finden können.“

Da sind die Menschen, die suchen nach einem Sinn in ihrem Leben: nach einem Sinn, der wirklich trägt. Was macht den Sinn meines Lebens aus? Wo kann ich mich festmachen und Halt finden? – so fragen viele. Wie selten zuvor ist das ein Kennzeichen unserer Gegenwart. Wir suchen, wir suchen nach Lebenssinn, hinaus über alles Materielle und vor allem das Diesseitige. Viele suchen nach einer geistigen, nach einer spirituellen Orientierung, die über das alltägliche Einerlei hinausführt in ein Leben der Erfüllung, und die Freude schenkt. Das kann niemand kaufen. Menschen spüren, dass in aufreibenden Zeiten die Flucht in den Konsum den Menschen nicht rettet. Auch die Möglichkeit sich selbst zu verwirklichen, liebe Schwestern, liebe Brüder ist einerseits ein Geschenk unserer Zeit, ist gut und schön, andererseits mutet uns diese Pflicht gewissermaßen zur Selbstverwirklichung auch vieles auf. Das ist auch eine Last. Wir wollen und erwarten ja viel, ob in der fieberhaften Suche nach alledem, was ich sein will, was andere von mit erwarten, was ich sein soll – verlieren manche sich selbst und werden wie zu Verlorenen.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, zurzeit steht auf dem Spielplan des Staatstheaters, hier um die Ecke, die Aufführung des Stücks „Winterreise“ von Elfriede Jelinek. Eine Protagonistin dieser Inszenierung sagt depressiv vor sich hin: „Ich bin verschwunden in dem, was ich sein wollte.“ Ich bin verschwunden in dem, was ich sein wollte – bei der Suche nach dem, was wir oft sein wollen und in dem hektischen Bemühen das auch wirklich zu sein, verlieren sich manche Menschen und gehen gewissermaßen in diesem Kampf um sich selbst unter. „Ich habe mich selbst verloren!“, heißt dieses Wort aus der Inszenierung der Winterreise. Aber kann ein Mensch wirklich finden, was ihn heilt? Was ihn beglückt? Denn die Freude am Leben beginnt ja erst dort, wo aus dem rastlosen Suchen ein beglückendes Finden wird. „Gott hat die Kirche wie einen Hafen im Meer angelegt, damit sich die Menschen aus dem Wirbel der irdischen Sorgen dahin retten und Ruhe finden können.“

Über dem Einladungsportal der Eberhardskirche sehen wir, wenn wir von außen nach oben blicken, das große Christusfenster. So ist diese Kirche St. Eberhard ein einladendes Christusmonument. Er lädt ein, im Wirbel irdischer Sorgen um das eigene Selbst ihn zu finden, als den rettenden Hafen des Lebens. Die Eberhardskirche symbolisiert so den einladenden Christus, der gekommen ist in diese Welt zu unserem Heil; der den Suchenden, den Verlorenen selbst zuruft: „Ich bin gekommen zu Suchen und zu Finden was verloren ist.“ Lassen wir uns von Christus finden! So ist dieser Ort, diese Kirche an dieser so lebendigen Straße, wie ein sicherer Hafen im Sturm der Zeit. Und alle sind eingeladen, das wir uns finden lassen von diesem einladenden Jesus Christus.

Und da sind auch die Menschen, die heute unter der Einsamkeit in dieser in vielen Bereichen so beziehungslos und anonym gewordenen Gesellschaft leiden. Könnten sie in der Gemeinschaft der Glaubenden der Eberhardskirchengemeinde nicht selbst eine Heimat finden bei Menschen, in der sie angenommen sind, jenseits ihrer Leistungen und ihres Versagens, unabhängig von ihrer persönlichen Lebenssituation, unabhängig von ihrer Schuld.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, Gemeinde heißt: bewohnbare Gemeinschaft, die ihren Geist nicht um sich selber kreisen lässt, sondern um Jesus Christus, der gekommen ist, zu suchen und zu finden, was verloren ist. Auch in dieser Hinsicht können wir das Wort verstehen „Gott hat die Kirche angelegt, wie einen Hafen im Meer“, damit Menschen sich aus dem Wirbel irdischer Sorgen da hinein retten können. Die, die hier Sammlung finden, sollen sich auch versammeln dürfen und sind dazu eingeladen. Auch so können wir den einladenden Gott, der über all unseren Verkündigungen stehen muss, verstehen.

In der ersten Lesung, die wir gehört haben, heißt es: „Das Gottesvolk selbst ist Ort der Sammlung“. Ein Haus des Gebetes, der lebendigen Gottesbeziehung für Alle, für alle Völker. Und wie viele Völker sind versammelt in dieser Stadt? Wenn sie hier Heimat finden, dann sind sie schon hineingenommen in die Gemeinschaft der Menschen, in die Gemeinschaft der Glaubenden. Das ist unser Beitrag für das, was wir heute Integration nennen. Kirche als heiliger Raum und als Haus aus lebendigen Steinen ist der heilsame Ort der Sammlung: So sind Christen, so werden Menschen „Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes“. Wer hier war, an diesem Ort der Stille und des Gebetes, und beschenkt wurde von der Gegenwart des ganz Anderen, der uns anblickt mit dem Gesicht und der heilenden Geste Jesu, wer hier Heimat gefunden hat und in lebendiger Beziehung mit anderen lebt, der ist auch gesendet zu denen draußen vor der Tür.

Die Kraft, uns zu den Menschen senden zu lassen, erwächst dabei nicht aus uns selbst: sie ist uns gegeben, um sie zu teilen mit den Kraftlosen, Hoffnungslosen, Verzweifelten und Verängstigten und Süchtigen – ihre Zahl und Qual ist größer als wir denken. So, liebe Schwestern und Brüder, wird Kirche zum Ort der Sendung und die Kirchenbesucher zu Gesendeten im Namen Gottes und im Geiste Jesu: und wir alle zu Anwälten der Schwachen im Heer der Starken.

Diese Dimensionen, die ich versucht habe zu skizzieren, diese meinen wir, wenn wir sagen: Unsere Kirchengemeinde soll ein Ort der Zugehörigkeit sein. Die Zugehörigkeit, ein Ort an dem wir Ruhe und Stille finden können, der Zugehörigkeit zu einem Ort lebendiger Menschen, die ein „Willkommen“ ausstrahlen. Die Zugehörigkeit schließlich zu Gott, der uns alle liebt. Alles was sich hier in der Eberhardskirche und im Haus der Katholischen Kirche ereignet, steht unter dieser Perspektive: Du bist nicht allein, Gott ist für dich da im Menschen, durch Menschen, die für dich da sind, die dazu gehören, die dich annehmen, die ein gutes Wort für dich haben. Gott ist für uns da, in der Gemeinschaft derer, die Glauben und für andere da sind.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, so ist St. Eberhard für viele Menschen ein beliebter Ort der Ruhe geworden, der Einkehr, des Gebets mitten im geschäftlichen Treiben dieser Stadt. St. Eberhard als Kirchengemeinde gibt Heimat für Menschen. St. Eberhard liege, das sagen wir oft, „im Herzen der Stadt“. Aber liebe Schwestern, liebe Brüder, was ist das Herz dieser Stadt denn wirklich? Die schönen Geschäfte hier in der Königstraße? Einkaufstempel, die Supermärkte? Ja, von woher bezieht diese Stadt ihre Seele, die Menschen, die Nahrung für ihr Leben und Zusammenleben? Dürfen wir da nicht sagen, das „Herz der Stadt“ ist eine Kirche, eine Kirchengemeinde, eine Gemeinschaft der Glaubenden – wie diese hier: von der jeder beschenkt werden kann – von der Gegenwart des ganz Anderen, der uns anblickt mit dem Gesicht und der heilenden Geste Jesu, in der er Heimat finden und in lebendigen Beziehungen leben kann?

Liebe Schwestern, liebe Brüder, jeder ist aufgerufen, aus dieser stärkenden Erfahrung auf die zuzugehen, die draußen vor der Tür stehen oder sitzen. Sich zuzuwenden denen, die vielleicht noch nicht herein gefunden haben, aber es bitter nötig haben, Beziehung, Sinn, Leben in der Gegenwart zu finden. Die Kraft, uns zu Menschen senden zulassen, sie erwächst nicht einfach aus dem Entschluss einer vielleicht starken Persönlichkeit. Diese Kraft wächst uns aus der Gottesbegegnung, die in vielfacher Weise stattfinden kann, zu. So können wir unsere Geschenke vor allem den Kraftlosen, den Hoffnungslosen, den Verzweifelten unserer Zeit schenken. So, liebe Schwestern und Brüder, wird Kirche nicht nur zu einem Ort der Sammlung, sondern auch zu einem Ort der Sendung. Und die Kirchenbesucher selbst zu Gesendeten im Namen Jesu im Namen Gottes – im Geist Jesu, wir alle werden so zu Anwälten der Schwachen im Meer der vielen Starken, die es ja auch gibt in unserer Welt.

Beides gehört zusammen: Sammlung und Sendung! Für uns selbst im eigenen Leben wie für jede lebendige Kirche. Denn: „Sammlung ohne Sendung ist Ghetto. Sendung ohne Sammlung ist Boulevard“, wie dies in unübertrefflicher Weise Dietrich Bonhoeffer formuliert. Weder Ghetto noch Boulevard darf diese unsere Kirche sein. Sondern eine attraktive menschenfreundliche, weltnahe und in tätiger Nächstenliebe zeitgenössische Kirche in der Menschen Sammlung finden und sich senden lassen.

St. Eberhard als lebendige Kirche mitten in der Stadt ist dann ein Symbol für die ganze Kirche unserer Diözese. Ich danke allen, die hieran mitgewirkt haben und mitwirken. Und ich danke Gott, der das Haus baut. Denn: Wenn Gott das Haus nicht baut, bauen alle Bauleute umsonst!

Amen

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