Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zu Pfingsten 2005

Stuttgart, Konkathedrale St. Eberhard

Schrifttext: Apg 2,1-11; 1 Kor 12,3-13; Joh 20,19-23

Liebe Schwestern und Brüder!

"Empfangt den Heiligen Geist!" So lautet im Evangelium von heute das zentrale Wort Jesu an seine Jünger. Er, Jesus der Auferstandene, hauchte sie dabei an – heißt es bei Johannes. Heiliger Geist für die Jünger, das ist Geist von Jesu Geist für sie. Der Geist mit dem sie begabt und erfüllt werden geht vom Auferstandenen aus und springt auf seine Jünger über. Das, liebe Schwestern und Brüder, ist der Inhalt des Festes das wir feiern. "Empfangt den Heiligen Geist!" Diese Aufforderung Jesu an seine Jünger, die zugleich eine Zusage ist, gilt auch uns heute. Der Geist, der in Jesus lebte und wirkte, der Gottesgeist, der Heilige Geist, er möge auf uns überspringen, damit er in uns und durch uns für andere zum Heil der Welt wirke!

Die klassische Szene, wie dieses Empfangen des Geistes geschieht und wie sich der Geistempfang dann auswirkt bei den Empfängern und bei den Menschen, die das miterleben, das hat uns Lukas in der Apostelgeschichte aufgeschrieben. Das Anhauchen durch Jesus Christus im Johannesevangelium geschieht beim pfingstlichen Geistempfang unter machtvollen Begleiterscheinungen: Brausen, heftiger Sturm und Zungen wie von Feuer! Der Geistempfang, liebe Schwestern und Brüder, geschieht unter starken Zeichen. Der Geist ist ein wirkmächtiger Geist, - unter Sturm und Feuer kommt er zu den Jüngern: zu uns! Heute! Im Flehen um den Heiligen Geist in der Pfingstsequenz – der Chor hat sie uns als Zwischengesang gesungen – bitten wir: Komm herab, o Heilger Geist, der die finstre Nacht zerreißt! (GL, 243) - Die finsteren Nächte zerreißen, die uns auch in unseren Tagen gefangen halten, das vermag nur eine starke Kraft, der Geist von Oben, der Gottesgeist, der uns ergreifen und verwandeln will. "Komm, Heilger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit deiner Kraft!" (GL 241,1)

Die erste Wirkung dieses erfüllt werden durch den Leben schaffenden Geist bei den Jüngern ist überraschend. Alle Jünger, die sich am gleichen Ort versammelt hatten, finden ihre Sprache wieder, sie stehen auf und fangen an kraftvoll zu reden: Zeugnis zu geben! Wovon? Von nichts anderem redet Petrus als von Jesus Christus und den Großtaten, die Gott an ihm und durch ihn gewirkt hatte: Den Geist empfangen heißt: aufstehen, kraftvoll auftreten, begeisternd reden und von Christus Zeugnis geben! Solch geistgewirkte kraftvolle Worte heilen die heillose Verwirrung orientierungs- und beziehungslos gewordener Menschen. Wo sie auch wohnen, sie finden zueinander: die babylonische Verwirrung weicht dem Verstehen - damals wir heute. Das ist die zweite Wirkung des Leben schaffenden Gottesgeistes. Und: Solch geistgewirktes und heilvolles Reden von Jesus Christus trifft die Menschen ins Herz (Apg 2,37), wie es in der Apostelgeschichte am Ende der Rede des Petrus heißt.

In der Stunde der Herabkunft des Geistes, ist eine Bewegung in Gang gekommen, die nicht wieder zum Stillstand kommt. Wir sagen, Pfingsten sei der Geburtstag der Kirche. Fürwahr! Aber ein Geburtstag, wie ihn die Welt vorher und nachher nicht erlebt hat: Pfingsten ist der große Durchbruch von Gott her. Der Geist Jesu Christi, erschafft sich ein Volk. Viele lassen sich am Pfingstfest taufen. Die Geschichte des Christentums, die Geschichte der Kirche Jesu Christi hat begonnen. Wo wir uns vom Geist Jesu Christi erfüllen lassen, und heute aufstehen und geistreich reden und handeln, da finden wir heilvolle Worte, die Orientierung geben, Menschen zusammenführen und Kirche lebendig wird.

Wo der Heilige Geist wirkt, da werden wir zunächst nicht einfach in unserem Sein und Leben bestätigt, wir werden vielmehr wieder zu Staunenden und Erschütterten: eine weitere Wirkung des Gottesgeistes. Heiliger Geist weht nicht da, wo wir immer schon wissen, wo es lang geht, und meinen, die großen Macher zu sein, die alles in der Hand haben. Gottes Geist weht da, wo wir uns erschüttern lassen. ‚Der Geist weht, wo er will!‘ Wir können den Sturm des Heiligen Geistes nicht herbeizwingen, noch ihn aufhalten. Aber wenn er da ist, dann blähen sich die Segel und neue Fahrt beginnt.

Gottes Geist erzeugt Pfingsten, derselbe Geist Gottes, der auch in Jesus von Nazareth so heilsam an und Menschen wirkte. Wo Menschen heute im Geist Jesu denken und handeln, wird Verständigung unter Fremden möglich und die eine Kirche aus allen Völkern geboren.

Heute brauchen Kirche und Gesellschaft pfingstliche Menschen, die sich von Gottes Geist zu Gerechtigkeit und Frieden anstiften lassen. Im Wirken Jesu von Nazareth zeigt sich uns das Wirken des Geistes: seine lebensstiftende Zuwendung zu Menschen, die von anderen als bereits verloren gegangen angesehen werden.

Nach dem Pfingstfest – berichtet die Apostelgeschichte weiter – geschehen durch die Jünger als Wirkung des Geistes viele Zeichen. Als erstes wird nach der Begabung der Jünger durch den Heiligen Geist die Heilung eines bettelnden Gelähmten berichtet. Petrus – so heißt es – tritt zu ihm hin und sagt: "’Was ich habe, das gebe ich dir: Im Namen Jesu Christi, geh umher!’ Und er fasste ihn an der Hand und richtete ihn auf. Sogleich kam Kraft in seinen Leib. Er sprang auf konnte stehen und ging umher und er lobte Gott." (Apg 3,6-8)

So wirkt – als Beispiel – der Heilige Geist durch die geisterfüllten Jünger: die oft wie gelähmten Menschen an der Hand fassen, sie aufrichten, dass sie wieder Kraft schöpfen und Mut fassen, dass sie aufspringen und umhergehen können und zum Lob Gottes finden!

Der pfingstliche Gottesgeist schafft Leben, erfüllt mit Kraft – ganz so wie Jesus selbst in seinem Leben durch seine Art Menschen zu begegnen Leben geschaffen und Kraft geschenkt hat, dass Menschen wieder aufrecht gehen und selbständig ihr Leben leben konnten. Zu den Verlorenen war Christus gerufen. Die Verlorenen hat er heimgeführt zum Leben. Eine große Aufgabe für uns alle, die wir in der Taufe und in der Firmung diesen christusförmigen Gottesgeist empfangen haben.

Wollen wir, dass dieser Orientierung gebende, lebensschaffende, Menschen aufrichtende Geist, der vom Vater und vom Sohn ausgeht, auch heute lebendig ist? Wollen wird, dass der Geist der Nächstenliebe und der Barmherzigkeit, der Geist der Sorge um den Menschen, die Solidarität mit Schwächeren nicht stirbt, sondern das Zusammenleben der Menschen und Völker bestimmt?

Das steht heute in Frage! Gerade in den Tagen, in denen der Verfassungs-Vertrag über ein zusammenwachsendes Europa bei uns ratifiziert wurde, bleibt doch zu fragen: Aus welchem Geist will Europa leben? Der Gottesbezug in der Verfassung wäre ein starkes Zeichen gewesen. Aber nicht nur dieses Fehlen, sondern auch anderer Hinweise machen mich wach und ich sage es ganz direkt: Ich fürchte, dass die Sorge um die in Not geratenen Menschen im kommenden Europa unter die Räder geraten wird: die Sorge um Schwache, Benachteiligte, Arme, Kinder, Sterbende...

Welcher Geist wird uns leiten? Wird es der in Jesus wirklich gewordene Gottesgeist sein, der uns aufstehen und reden lässt, uns hingehen lässt zu den Menschen um im Namen Jesu Christi an ihnen heilend zu handeln? Im Geist der Solidarität für arme, benachteiligte, schwache Menschen, und im Eintreten für die, die selbst einen schweren Stand haben.

Christen sind Menschen, die vom Gottesgeist erfüllt sind und die Welt in der Kraft des göttlichen Geistes verwandeln. Unsere Welt braucht gerade heute das mitreißende Zeugnis unserer Liebe, einer Liebe in der Kraft des Geistes! Aufstehen für das Leben und Handeln im Geist Jesu Christi, das sind die neuen feurigen Zungen, die die Welt erschüttern und aufmerksam werden lassen für die großen, weltverändernden Taten Gottes. Der Heilige Geist wie er in Jesus Christus an uns gewirkt hat, er kann und wird uns leiten: ‚Sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu.‘

Amen.

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