Rottenburg, Dom St. Martin
Schrifttext: 1 Kor 12,3-13; Joh 15, 26f;16,12-15
„Komm Schöpfer Geist, kehr bei uns ein!“ (GL245,1) Mit dieser doppelten Bitte, mit der Bitte um das Kommen des Schöpfergeistes und mit der Bitte um seine Einkehr bei uns haben wir im Lied unseren festlichen Pfingstgottesdienst eröffnet. Wir nehmen damit auf, was die liturgische Zeit nach dem Fest Christi Himmelfahrt bestimmt, die Bitte um das Kommen des Gottesgeistes. Wir bitten um den Geist von oben, um den Geist „vom Himmel her“ (Apg 2,1), wie es in der Apostelgeschichte heißt. Wir bitten also um den Geist, der nicht von uns stammt. Und wir bitten auch nicht um einen Zeit-Geist, der wetterwendisch ist und verwirrend, weil er heute dieses und morgen jenes anbietet. Wir bitten um einen anderen Geist, den Geist, den das Evangelium von heute den „Geist der Wahrheit“ (Joh 15,26) nennt, den Geist, der uns nicht taumeln lässt, sondern trägt, auf den Verlass ist, der Stand verleiht und uns nicht hin und her wirft und gar abstürzen lässt. Wir bitten um den Geist, der uns aufrichtet, der uns aufrecht stehen und gehen lehrt. Wir bitten um den Geist, der von Gott ausgeht, um den Schöpfergeist. Den Bittenden wird er geschenkt, nicht den Besitzenden!
Aber was für uns so selbstverständlich klingt, fragt uns selbst und uns als Kirche heftig an: Liebe Schwestern und Brüder, sind wir wirklich bittende Menschen in der Gemeinschaft der Glaubenden? Sind wir um den Heiligen Geist betende Kirche oder eine schon alles wissende und besitzende Kirche? Sind wir Beter oder Selbstinszenierer? Sind wir bittende Menschen oder passive Verbraucher? Macht uns der Zeitgeist Spaß oder beten wir: Komm Schöpfer Geist?
Dabei spüren wir alle, wie schwer es uns fällt, zu beschreiben und zu fassen, was dieser Geist wirklich ist, welchen Halt, welchen Inhalt, welche Orientierung wir mit ihm verbinden dürfen. Viele sagen: Geist? Das ist mir zu blutleer, ein göttliches Fluidum flüchtig und nichtig. Was soll ich damit?
Liebe Schwestern und Brüder, da ist es gut, Einen zu kennen, von dem uns bezeugt wird, dass in ihm der Gottesgeist am Werk war und dass der Heilige Geist durch Ihn machtvoll gewirkt hat. In unseren Heiligen Schriften können wir von seinem Leben und Wirken lesen, in den Gottesdiensten hören wir ihn seine Gleichnisse vom Himmelreich erzählen und viele Geschichten drehen sich um sein heilsames Wirken an uns Menschen. Als vom Gottesgeist Erfüllten stellt uns die Heilige Schrift Jesus, den Messias vor, den Mann aus Nazareth: Von ihm heißt es im Lukasevangelium: „Erfüllt von der Kraft des Geistes“ zieht Jesus durch das Land (Lk 4,14). „Erfüllt von der Kraft des Geistes“ begegnet er den Menschen, redet, lehrt, heilt und ermutigt, tröstet, versöhnt, verzeiht und stiftet Frieden, schützt vor Unrecht und löst Vorurteile auf. So wandelt und handelt der geisterfüllte Christus. In Christus hat der Gottes-Geist Fleisch und Blut angenommen, an ihm, an dem betenden geisterfüllten Jesus können wir die Wirkungen, die Früchte des Gottes-Geistes anschauen. Er nimmt sich besonders derjenigen an, die Verlorene waren für die damalige Welt, die zerrieben wurden zwischen den Interessen. Er wendet sich besonders denen zu, von denen andere sich abwenden. Er sieht die Übersehenen und hört die Un-Erhörten. Er hat heilsame Worte und Gesten für die heillos Zerrissenen, für die an Seele und Leib Aufgeriebenen. Für die Fremden im Land und die dem Land fremd Gewordenen schafft er Heimat und Zugehörigkeit. Er weist diejenigen in die Schranken, die anderen Lasten auferlegen und sich selbst ein schlaues Leben machen. Seine Worte und Taten sammeln die Zerstreuten und nehmen in Gemeinschaft die Isolierten.
So wirkt der Schöpfergeist durch ihn je neu: nicht nach Schema F, sondern den Menschen und ihren Sorgen und Nöten hilfreich. So schafft die in Jesus lebendig wirkende Gotteskraft das Leben neu. Und vergessen wir das nicht, der in Jesus wirkende Schöpfergeist ruft Menschen, ihm nachzufolgen und aus seinem Geist zu leben.
Christen-Menschen, die Jesus in seinen geistgewirkten Taten nachfolgen wollen, rufen deshalb zu Gott. „Sende den Heiligen Geist auf uns herab.“ (Tagesgebet vom Dienstag der siebten Oster-Woche) – „Komm Schöpfer Geist, kehr bei uns ein“. „Komm Heilger Geist, der Leben schafft, erfülle uns mit Deiner Kraft“ (GL241), die durch uns neues Leben schafft! -
„Der Geist erinnert Christus“, dieses wundervolle Wort aus der christlichen Überlieferung weist uns die Richtung des Christenlebens: Als geisterfüllte Menschen verlebendigen wir unter uns Jesus Christus selbst. Wo wir heute als einzelne und als Gemeinschaft der Glaubenden Jesus Christus nachfolgen, in seinem Namen selbst leben und handeln, da erbringen wir selbst Früchte des guten Geistes. Da nehmen wir uns im Geiste Jesu besonders derjenigen an, die wie Verlorene sind in der heutigen Zeit. Da richten wir unsere Aufmerksamkeit nicht zuerst auf die Erfolgsverwöhnten, sondern auf die, die zerrieben werden zwischen den Interessen. Geisterfüllte Christen wenden sich besonders denen zu, von denen andere sich abwenden. Geisterfüllte Christen sehen die Übersehenen, hören die Unerhörten, haben heilsame Worte und Gesten für die heillos an Seele und Leib aufgeriebenen. Für die Fremden im Land und die dem Land fremd gewordenen schaffen Christen Heimat.
Geisterfüllte Christen weisen diejenigen in die Schranken, die anderen nur Lasten auferlegen. Geisterfüllte Christen führen zusammen, was auseinander fällt. Sie stiften Gemeinschaft, wo Anonymität und Vereinzelung das Leben bedrohen. Geisterfüllte Christen treten den Rechtlosen und den Zertretenen an die Seite, verschaffen Recht und Gerechtigkeit, richten auf und machen Mut.
Das Feuer, das Gott im Heiligen Geist auf die Erde wirft, wirkt dann durch uns. Der Sturm, der das Brausen vom Himmel her begleitet, ist dann in uns gefahren und erfasst andere. Wo Menschen im Geist Jesu denken und handeln, wird Verständigung unter Fremden möglich und die eine Kirche aus allen Völkern geboren. Darum betet die Kirche in der Pfingstnovene: „Barmherziger Gott, du versammelst deine Kirche im Heiligen Geist. Gib, dass sie dir von ganzem Herzen dient“ (Tagesgebet vom Mittwoch der siebten Osterwoche).
Heute braucht unsere Gesellschaft pfingstliche Menschen, die sich von Gottes Geist leiten lassen und so dem Zusammenleben dienen. Der Geist Jesu öffnet die Tore dafür, dass Menschen lernen, zueinander Ja! zu sagen: Christen, die im Geist Jesu leben und aus Gottes Kraft handeln, stehen nicht abseits, wenn andere Menschen in ihrer Würde und in ihrem Leben beschädigt werden. Der pfingstliche Geist ist geradezu der Aufruf und Ansporn zu Zivilcourage und Eintreten für Andere. Pfingsten ist Gottes Absage an eine Welt, in der Menschen einander der Lebensmöglichkeiten berauben. Wenn in diesen Tagen in unserem Land Menschen um Leib und Leben fürchten müssen, weil sie anders aussehen oder anders sind, als manche sich wünschen, dann sind dort böse Geister am Werk. Diesen bösen Geistern, die da und dort wieder ihr hässliches Haupt erheben, müssen Christen im guten, im heiligen und heilenden Geist der Liebe entgegenwirken. Von Gottes gutem Geist Erfüllte treten ein für die Verfolgten aller Art. So geben wir als Christen Zeugnis vom Gottesgeist.
Liebe Schwestern und Brüder, geben wir der Welt dieses Zeugnis unserer Glaubenskraft. Unsere Welt braucht gerade heute ein mitreißendes Zeugnis unserer Liebe, einer Liebe in der Kraft des Geistes, die die Welt verwandelt! ‚Sende aus deinen Geist, und das Antlitz der Erde wird neu.‘ Amen.