Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zum 10. Jahrestag der Bischofsweihe

Rottenburg, Dom St. Martin

Schrifttexte: Phil 2,6-11; Joh 3,13-17

Liebe Schwestern und Brüder!

Auf 10 Jahre Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart darf ich zurückblicken…: Heute vor zehn Jahren habe ich hier im Dom St. Martin in Rottenburg die Bischofsweihe empfangen. Sie werden verstehen, dass dies ein bewegender Augenblick in meinem Leben war und bleiben wird.
Augustinus schreibt einmal über sein Bischofsverständnis: „Mit euch bin ich Christ. Für euch bin ich Bischof. Bischof ist die Bezeichnung einer Aufgabe, Christ ist die Bezeichnung einer Gnade, einer Auszeichnung, die man empfängt; jene die Bezeichnung der Gefahr, diese die Bezeichnung des Heiles.“ (Serm. 340, I: CCL 104, 919)

Mit euch bin ich Christ!
Was aber bin ich, oder soll ich sein, wenn ich mit euch Christ bin? Was ist ein Christ? Ein Christ ist ein getaufter Mensch, der den Namen Jesu trägt, den wir Christus nennen. Ein Christ übernimmt in seinem Leben das, worum es Jesus von Nazareth ging, sein Anliegen, er nimmt an seiner Sendung, seinem Auftrag, an seinem Leben selbst Anteil.

Was aber ist die Sendung Jesu?
Im Nikodemusgespräch, das wir als Evangelium gehört haben, sagt Jesus, dass der Gottesssohn in die Welt gekommen sei, „...damit die Welt durch ihn gerettet wird.“ (Joh 3,17) Mitten in der Zacchäusgeschichte sagt es Jesus noch direkter: „Ich bin gekommen, zu suchen und zu retten, was verloren ist/war.“ (vgl. Lk 19) Wie ein roter Faden zieht sich dieses Rettungsmotiv durch das Leben Jesu und das Evangelium Jesu Christi.

Das Lied, in dem in dichter Weise das ganze Leben, Anliegen und Wesen Jesu formuliert ist, ist der Hymnus im Philipperbrief, den wir als Lesung gehört haben und der zu den von mir besonders geliebten Texten gehört: Er „war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, wie Gott zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich. Sein Leben war das eines Menschen. Er erniedrigte sich und war gehorsam bis zum Tod, bis zum Tod am Kreuz.“

So ist Gott. Er bleibt nicht bei sich selbst, er kommt zu uns und ist da für uns. Die frohe Botschaft lautet: Gott rettet, der rettende Gott wird für uns in Jesus Christus Mensch, Menschenleben mit Haut und Haaren für uns.
In diesem Sinne habe ich meinen Wahlspruch als Bischof aus dem großen Glaubensbekenntnis ausgesucht: Propter nos homines et propter nostram salutem, descendit de coelis: Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist Gott Mensch geworden!

In diesen Worten streckt zugleich die Antwort auf die Suche der Menschen, die oft aus unheilvollen Situation ihres Lebens gerettet werden wollen. Zu suchen und zu retten, was verloren ist – das zieht sich wie ein roter Faden durch das Evangelium Christi. Christus unser Retter! Diese Botschaft antwortet auf den Schrei, den Hilferuf der Jünger im Boot auf der stürmischen See. „Herr, rette uns, wir gehen zugrunde...“ Rufen wir nicht ebenso?

Mit euch bin ich Christ.
Das heißt also: Mit euch möchte ich für Menschen da sein, die in schwierigen Situationen leben, für sie eintreten, weil Gott für sie eintritt, ihnen helfen, weil Christus ihnen beisteht, ihnen heilsam begegnen, weil Christus sie retten kann und will.

Das, liebe Schwestern und Brüder, ist unsere gemeinsame Aufgabe als Christen, als Christen in der Kirche, als ganze Kirche Gottes: nicht für uns selbst da sein, sondern in Christi Namen und Kraft für Andere. Zu helfen zu heilen, zu trösten und vor Angst, Untergang und Not zu retten. Dazu sind wir berufen als einzelne Personen, als ganze Kirche.

In unserer Kirche wollen wir die Zuwendung Gottes zu den Menschen im eigenen Leben mit vollziehen. Wir sind berufen, in den Strom der Liebe Gottes zu uns hineinzutreten und die Menschen zu lieben: das ist diakonische Kirche. Wie Alfred Delp es sagt: „... das Nachgehen und Nachwandern auch in die äußersten Verlorenheiten und Verstiegenheiten des Menschen, um bei ihm zu sein genau und gerade dann, wenn ihn Verlorenheit und Verstiegenheit umgeben.“
Auf diesen Weg sind wir als Christen gemeinsam gewiesen. So, auf diese Weise, gehen wir im eigenen Lebensweg den Lebensweg Jesu mit. Ich und Du und Wir als Kirche.
So sind wir als Volk Gottes unterwegs, als pilgernde Kirche, nicht als fertige Institution, die immer so bleiben muss, wie sie ist, sondern als Christenmenschen unterwegs. Immer neu suchen und verwirklichen, wie wir die Sendung Jesu, die Liebe Gottes zu den Menschen im Heute am besten verwirklichen können. Als pilgernde Kirche sind wir nie fertig, nicht vollkommen. Wir bleiben zurück hinter dem, wozu wir berufen sind, aber wir bleiben - mit Gottes Hilfe - auf dem Weg, der uns gewiesen ist.

Thomas von Aquin hat das so formuliert: „Jesus hat uns den Weg der Wahrheit in seiner Person selbst gezeigt“. Auf diesem Jesusweg sind wir gemeinsam als Kirche Jesu Christi unterwegs.
Dass das Unterwegssein nicht nur ein abstraktes Wort bleibt, sondern konkret erlebt werden kann, deshalb habe ich mich auf den Jakobusweg durch unsere Diözese gemacht. Vom Norden in den Süden am Bodensee. In den letzten acht Jahren ca. 340 Km: Pilger sein, miteinander auf dem geistlichen Weg und dem Fußweg mit vielen tausend Menschen... Ich danke allen, die mit mir unterwegs sind als Christen auf dem Weg des pilgernden Gottesvolkes! „Mit euch bin ich Christ“, das nennt Augustinus „die Bezeichnung einer Gnade, einer Auszeichnung, die man empfängt“.
Der zweite Satz lautet: „für euch bin ich Bischof“. Im pilgernden Gottesvolk bin ich beauftragt und geweiht, im Sinne des rettenden Jesus Christus unsere Kirche zu gestalten, zu leiten, zu führen. Dazu ist der Bischof geweiht. Nicht für sich selbst: Zu suchen und wo irgend möglich zu retten, was und wer verloren ist.

Liebe Schwestern und Brüder, um diese Gestaltung wahrzunehmen, braucht es Gestaltungskraft, das Amt, das dies auch ermöglicht. Deshalb ist das Bischofsamt ausgerüstet mit Gestaltungsmacht. Nicht um seiner selbst willen, sondern um das ‚gemeinsam für Menschen da sein’ garantieren zu können, wo es nötig wird: Zum Beispiel, um gegen die Kräfte anzugehen, die gegen Menschen arbeiten. Schwache zu schützen, ungerechte Vorgänge und Regelungen zu ändern, bedrückende Strukturen umzuformen. Mit anderen Worten, dabei mitzuhelfen, dass die Liebe mächtig werden kann.
Diese Aufgabe – so warnt Augustinus – bringt auch eine Gefahr mit sich, die Versuchung, die Gestaltungsmöglichkeit um ihrer selbst willen oder gar für sich selbst zu nutzen, auszunutzen und sie gegen Menschen zu wenden. Augustinus hat mich darauf aufmerksam gemacht. In den Bischofsstab als Zeichen der Leitung habe ich mir als Mahnung eingravieren lassen: Memento homo, quia pulvis es. Bedenke, dass Du Staub bist...

Liebe Schwestern und Brüder, das Christusprojekt, dieses Projekt der pilgernden Kirche auf dem Christusweg zu den Menschen dieser Zeit. Dieses Mitbauen an einer Kirche von der heilende, ja Menschen rettende Impulse und Kräfte ausgehen, ist mir wichtig mit zu gestalten und voranzutreiben.
So verstehe ich das Hirte-Sein, das Amt der Leitung: Die Kirchenkonstitution des Zweiten Vatikanischen Konzils (LG 21) versteht das kirchliche Amt so, dass es „innerhalb“des Volkes Gottes im Dienst am „Aufbau des Leibes Christi" (Eph 4,12) steht. Die Amtsträger üben ihr Amt nicht über die anderen aus, sondern für die anderen, damit der Dienst gut zum Ausdruck kommt und seinen Sinn nicht aus den Augen verliert, den Heils-Weg der Kirche vor Abwegen zu bewahren oder den Heils-Weg neu in das ihm Eigentliche zurückzurufen und bei der Sache des Evangeliums zu halten.

So ermunterte Papst Johannes Paul II. in seinem Schreiben über den Hirtendienst der Bischöfe aus dem Jahr 2003 einen pastoralen Leitungsstil der Bischöfe, den ich versuche zu pflegen. Johannes Paul schreibt: „Die gelebte kirchliche Gemeinschaft soll den Bischof zu einem pastoralen Stil führen, der der Mitarbeit aller immer offener gegenübersteht. Es besteht eine Art Kreislauf zwischen dem, was der Bischof mit persönlicher Verantwortung zum Wohl der seiner Sorge anvertrauten Kirche zu entscheiden hat, und dem Beitrag, den die Gläubigen ihm mittels der beratenden Organe wie Diözesansynode, Priesterrat, Bischofsrat und Pastoralrat leisten können. (...) Jede Art von Differenzierung zwischen den Gläubigen aufgrund der verschiedenen Charismen, Aufgaben und Ämter ist auf den Dienst an den anderen Gliedern des Gottesvolkes hingeordnet. Die Differenzierung, die den Bischof aufgrund der Fülle des empfangenen Weihesakraments den anderen Gläubigen ‚gegenüber’ stellt, ist ein Sein für die anderen Gläubigen, das ihn nicht aus seinem Sein mit ihnen entwurzelt.“
Diese Aussagen sollen auch meinen Umgang mit den Christen im Volk Gottes prägen, meinen Umgang mit den Ämtern und Diensten, den Ehrenamtlichen und allen Mitchristen auf dem Weg des pilgernden Gottesvolkes.

Liebe Schwestern und Brüder, ich danke allen, die mit mir diesen Weg 10 Jahre gegangen sind, mich getragen haben, mich angenommen haben und mitgewirkt haben und auch denen, die mich durch ihr kritisches Wort auf diesem Weg gehalten haben. Und ich danke schon heute allen, die in den kommenden Jahren weiter die Christuswege in unserer Diözese mitgehen. „Nichts kann uns trennen von der Liebe Christi.“

Amen.

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