Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zum 100-jährigen Jubiläum der Franziskanerinnen Schwäbisch Gmünd

Schwäbisch Gmünd

Schrifttext: Dtn 7,6-11; 1 Joh 4,7-16; Mt 11,25-30

Liebe Schwestern der ewigen Anbetung, liebe Mitchristen hier in Schwäbisch-Gmünd, liebe Schwestern und Brüder!

Das ist der Tag, den Gott gemacht! Zugleich ein Tag, auf den alle sich so sehr gefreut haben, für den viele auf ganz verschiedene Art vorbereitet und zu dem unzählige beigetragen haben, dass er gelingen möge. Und nun ist es da, das langerwartete Jubiläum der 100-Jahrfeier. Ich möchte zunächst einmal sagen, wie sehr ich mich freue, heute bei Ihnen zu sein, und ich gratuliere Ihen von ganzem Herzen. Ich freue mich, dass die gemeinsamen Feierlichkeiten Ihres Klosters in einem Gottesdienst gipfeln, denn hier ist Ursprung und Ziel allen Lebens. Hier ist das Zentrum des Klosters, jeder Gemeinde und Gemeinschaft, der Kirche und unseres Glaubens.

Ich möchte diese Besinnung mit einer kurzen historischen Erinnerung beginnen, denn jede Geschichte braucht auch immer Menschen, die handeln, die aufbrechen und sich zu Taten entschließen. Menschen sind nötig, die aus ihrer Überzeugung heraus beginnen, ihr Leben entsprechend zu verändern.

1902 gründeten fünf Frauen aus dem Dritten Orden des heiligen Franziskus dieses Kloster, das in den folgenden Jahren den Grat zwischen Gebet und Arbeit, zwischen vita activa und vita contemplativa gestaltete und mit Leben erfüllte. Vor 100 Jahren machten Menschen ernst damit, was es heißen kann, den Geist der radikalen Nachfolge des Gekreuzigten in das alltägliche Leben hineinzutragen. Neben der Betreuung von Pfarreien in der Diaspora und der Sorge um Erziehung und Ausbildung von Kindern war es inhaltlich vor allem die eucharistische Anbetung, welche in Zeiten der Industrialisierung und Technisierung der Welt eine gelebte und gestaltete Mitte in Erinnerung bringen sollte. So ist es alles andere als zufällig, dass die Gründung des Klosters auf den Tag genau vor 100 Jahren, eben am 'Hochfest des Herzens Jesu' stattfand.

Da die damaligen Anliegen aber in unseren Tagen jedoch keineswegs erledigt, sondern aktueller denn je an der Zeit sind, möchte ich sie einladen, uns, um im Begriff des heutigen Hochfestes zu bleiben, auf jenes Herz zu besinnen: das Herz, was in der Mitte unseres Lebens schlägt, was, oft unbemerkt vielleicht, aber doch unverzichtbar und unablässig, der Herzschlag unseres Lebens und Glaubens ist.

Erinnern wir uns dazu nochmals an die heutigen Schriftworte:

Am Anfang steht die Zusage: Ich werde euch Ruhe verschaffen! Es ist die große Einladung an alle Mühseligen und Beladenen, oder, wie es in der wunderbaren Übersetzung von Fridolin Stier heißt: ‚Heran zu mir alle, ihr Mühenden und Überbürdeten: Ich werde euch aufatmen lassen.‘

Was für eine Zusage! Wer würde sich da nicht angesprochen und eingeladen fühlen, und allein schon dieses Gefühl, selbst angesprochen und geladen zu sein, verschafft einen Vorgeschmack des Aufatmens und läßt Entlastung spüren.

Und mit solcher Zusage läßt sich auch die Einladung annehmen, eine Einladung, die zugleich auch Aufforderung ist: Rafft euch auf, nehmt mein Joch auf euch und lernt von mir! Die zugleich dazugegebene Auskunft, dass sein Joch leicht zu schultern sein werde, macht die Bereitschaft sicherlich größer. Worin die Herausforderung bestehen wird, das erklärt Jesus indirekt, indem er eine Art Selbstporträt zeichnet: ‚Ich bin gütig und von Herzen demütig.‘ Mehr scheint an dieser Stelle nicht nötig zu sein, statt dessen wiederholt er die große Zusage, die hinter der Einladung steht, und die es umgekehrt auch erst so leicht macht, auf die Einladung einzugehen: ‚So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen‘, oder, um nochmals den näher am Original bleibenden Fridolin Stier übersetzen zu lassen: ‚Sanft bin ich und von Herzen niedrig. Und ihr werdet Aufatmen finden für euer Leben.‘

Wenn es aber für Jesus an der Stelle ausreichend ist, als Aufgabe nur seine Grundeigenschaften zu nennen, dann heißt das doch konkret: Von Jesus lernen, heißt lernen, wie Jesus zu sein. Und damit niemand nun Sorgen bekommt, damit ja einer hoffnungslosen Überforderung gegenüberzustehen oder einer Situation, die nur von moralisch Unfehlbaren oder religiösen Hochleistungssportlern erfüllt werden kann, schließt Jesus mit der Zusage, dass die Last leicht und das Joch nicht drückend sei. Also: Von Jesus lernen, heißt lernen, wie Jesus zu sein.

Wohin und wieweit solch ein Lernprozeß führen kann, darüber gibt der Abschnitt aus dem Johannesbrief Auskunft, den wir eben gehört haben. Er schreibt: ‚Jeder, der liebt, stammt von Gott und erkennt Gott.‘ (1 Joh 4,7) Wieder findet sich also die gleiche Doppelung zwischen Zusage und Aufforderung, zwischen Versprechen und der Einladung, das eigene Leben zu verändern. Wieder steht zuerst die Zusage: ‚Nicht darin besteht die Liebe, dass wir Gott geliebt haben, sondern dass er uns geliebt hat.‘ (1 Joh 4,10) Aus dieser Zusage folgt im gleichen Atemzug der Ruf in die Nachfolge: ‚Wenn Gott uns so geliebt hat, müssen auch wir einander lieben. Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott.‘ (1 Joh 4,11.16) Weil wir die Liebe Gottes in Jesus Christus konkret erfahren, ist es auch möglich, selbst zu lieben, die Sache Jesu radikal ernstzunehmen:

Was heißt aber Sache Jesu? Auch die Lesung beschränkt sich im Grunde auf Sätze, die einen Raum der Freiheit und Verantwortung öffnen und uns einladen, die Sache Jesu in unserer Zeit zu gestalten: ‚Daran erkennen wir, dass wir in ihm bleiben und er in uns bleibt: Er hat uns von seinem Geist gegeben.‘ (1 Joh 4,13)

Das ist die zugleich klare wie einfache Antwort: Die Sache Jesu ist nicht ein religiöses Manifest oder ein Programm abzuleistender Taten. Nein: Nachfolge Jesu heißt in seinem Geist zu leben ist, denn die Sache Jesu ist Jesus selbst!

Jesus kann deshalb so überzeugend als Botschafter vom Reich Gottes erzählen, weil in ihm Botschafter und Botschaft eins sind. Jesus ist darum im wahrsten Sinne glaubwürdig, weil er die große Einladung nicht nur überbringt, sondern diese Einladung mit seinem Leben und Sterben, mit seinem Erzählen und Handeln, mit seinem Tod und seiner Auferstehung selber ist. Der Inbegriff der Sache Jesu ist die Stellvertretung und das radikale Leben für andere. Deshalb können Menschen ihm glauben und auf sein Wort vertrauen, dass bei ihm Aufatmen möglich wird. Das stellt die alles entscheidende Wende im Leben eines Menschen dar: Auf Jesus und seinen Weg mit den Menschen zu schauen, seinen Geschichten vom Reich Gottes zuzuhören, von seinem Handeln mitten unter den Menschen zu lernen.

Wir alle sind davon immer wieder aufs Neue herausgefordert. Es ist eine Herausforderung im wahrsten Sinn des Wortes: Sie holt uns heraus aus bisherigen Strukturen, Denk- und Verhaltensmustern oder unseren oft so liebgewonnenen Lebensweisen. Und sie fordert uns auf, die Sache Jesu konsequent zur eigenen Sache zu machen.

Nehmen wir das Beispiel Franziskus. Er macht die Erfahrung des Evangeliums und läßt sich so einladen, dass er die Herausforderung annimmt. Er nimmt Abschied von den Eltern, von seinem ganzen Umkreis, auch von Reichtum und Sicherheiten und vollzieht diese Wende. Er beginnt radikal ein neues Leben, und alle Zeugnisse von seinem Leben stimmen eigentlich darin überein, wie befreit und glücklich er fortan lebte. ‚Ihr werdet Aufatmen finden für euer Leben.‘ Ein überzeugenderes Beispiel dafür, wie begründet diese Zusage und Einladung Jesu ist, gibt es nicht. Nicht zufällig wurde Franziskus schon zu Lebzeiten als einer empfunden, der ‚come Gesu‘ – der wie Jesus ist.

Zugleich gibt Franziskus auch ein Beispiel dafür, wie konsequent und kreativ diese Nachfolge im Leben gestaltet werden kann. Franziskus entdeckte für sich und seine Gemeinschaft eine Lebensweise, die radikal ist, das Leben gründlich verändert, erneuert und dabei keinen Bereich ausläßt. Eine Lebensweise, die das Evangelium wahrhaftig beim Wort nimmt, ohne dabei fundamentalistisch und unflexibel zu werden. Die Jesus in der jeweiligen Situation nachzufolgen versucht, ohne dabei spröde, bitter und unkreativ zu werden. Im Gegenteil: Von Franziskus läßt sich lernen, wie poetisch und weltbejahend ein Leben in der großen Einladung, ein Leben mit dem neuen Atem sein kann. Franziskus lebt das erneuerte Menschsein vor, das um Not und Elend keinen Bogen macht, sondern solidarisch und mitleidend Anteil nimmt. Es ist ein neues Leben, das auf Ruhm, Ehre und Titel nichts gibt und auf Menschsein alles. Ein erneuertes Leben, das auch Krankheit oder Behinderung, Leiden, Sterben und Tod nicht ausblenden will, sondern es annimmt, weil es zum Leben dazugehört. Er versucht, ein Leben zu führen, dem man ansieht, dass es die Zeichen Jesu an sich trägt.

Und wie überzeugend und mitreißend es bis heute und vielleicht gerade heute ist, das spüren wir alle. Wir erleben es wohl nirgends konkreter und lebendiger als an einem Ort wie diesem ‚Kloster am Rande der Stadt‘: Hier hat sich eine Gemeinschaft auf den Weg radikaler Nachfolge begeben, um in unserer Zeit, wie sie selbst schreiben, ‚auf Gott hin transparent zu sein und dadurch ein Zeichen zu sein für suchende Menschen unserer Zeit.‘ Eine treffendere Übersetzung der Formel aus dem Johannesbrief in die Gegenwart hinein ist wohl kaum vorstellbar.

Ich wünsche Ihnen und ich wünsche mir selbst solche Erfahrungen des Evangeliums, wie sie Franziskus gemacht hat, die uns Vertrauen geben, die große Einladung anzunehmen, die das Leben radikal verändern wird. Ein Leben mit der Zusage:

‚Heran zu mir alle, ihr Mühenden und Überbürdeten: Ich werde euch aufatmen lassen.‘


Amen.

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