Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zum 16. Jahrestag der Bischofsweihe

Rottenburg, Dom St. Martin

Liebe Schwestern, liebe Brüder,

in diesem Jahr, in dem ich zurückblicken darf auf meine Bischofsweihe vor sechzehn Jahren, feiern wir das Jubiläumsjahr: 1.700 Jahre Geburt des heiligen Martin.

Martin war und ist die größte Gestalt am Beginn des Christentums, der Christianisierung Europas. Ohne ihn, liebe Schwestern, liebe Brüder, wäre Europa nicht das geworden, was es ist. Der erste vom Christentum beseelte und bis in die Lebensweise, in die Kultur hinein geprägte Kontinent. Das christliche Abendland ist ohne Martin nicht zu denken und nicht zu verstehen.

In diesem Jubiläumsjahr eröffnen wir im Oktober den europäischen Martinsweg. Die Kirche braucht mehr Martinus ist er überschrieben, und ich füge hinzu, liebe Schwestern, liebe Brüder, Europa braucht mehr Martinus. Der europäische Pilgerweg führt vom Geburtsort des heiligen Martin von Ungarn über Österreich durch Deutschland und über Luxemburg nach Tours in Frankreich – eine Spange der Verbindung. Er führt durch Länder, die in der gegenwärtigen Situation Europas und der europäischen Union ihre Probleme miteinander haben. Jacques Delors, der frühere Präsident des europäischen Rates, sagte einmal, Europa brauche eine neue Inspiration, wir alle müssten Europa eine Seele geben.

Der Geist des heiligen Martin kann Europa neu verbinden. Neu von innen her inspirieren, wieder eine Seele geben, die vertrocknet, wenn es nur um Euro und Zinsen und Kapital geht. Er gibt uns eine neue Inspiration, Martin, der am Anfang Europas stand. Aus dessen Mission letztlich das christliche Europa entstanden ist.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, wer ist dieser Heilige? Und mit welchem Geist will und kann er uns heute inspirieren? Er ist zunächst – und Gott sei Dank – unser Diözesanpatron und deshalb feiern wir dieses Martinsjahr in unserer Diözese ja auf ganz besondere Weise.

Als die Diözese Rottenburg gegründet wurde, wurde das Martinspatrozinium der Stadtkirche von Rottenburg auf die ganze Diözese übertragen. Die Kathedrale der Diözese Rottenburg-Stuttgart ist eine Martinskirche. Die vielen Bilder von Martin prägen den Dom und verweisen auf den Geist des heiligen Martin, rufen ihn in Erinnerung, bringen ihn zur Gegenwart. Sie vergegenwärtigen, wer Martin für uns ist, wozu er uns mahnt und wozu er uns beisteht, wozu er uns inspiriert heute zu handeln.

Wer hereinkommt in den Dom und möglicherweise nach oben blickt, der sieht über dem Türsturz, dem Tympanon des Domes: Martin teilt den Offiziersmantel.

Und wer wie Sie hier jetzt nach vorne blickt, sieht hier im Chor die Martinsfenster. Ein Künstler aus unserer Diözese, Wilhelm Geyer, folgt in der Konzeption der Vita Sancti Martini des Sulpicius Severus in der Auswahl der Bilder seiner Glasfenster. Die Reihung der Glasbilder entspricht der Reihenfolge der Kapitel der Martinsbiografie: von der Mantelteilung über seine Taufe, seine Bischofsweihe bis hin zu seinen vielen guten Taten für die Menschen bis zu seinem Tod 397 und dem Begräbnis in Tours, das sind die entscheidenden Stationen seiner Vita, die hier dargestellt sind und die wir meist nicht sehen.

Aber, liebe Schwestern, liebe Brüder, durch diese Fenster fällt das Licht in diesen Dom. Und so kann auch vom Dom, wenn wir in diesem Lichte leben, das Licht des heiligen Martin in unsere ganze Diözese hinaus strahlen.

Die Martins-Statue neben der Kathedrale zeigt den Bischof Martin als Vater der Armen und der Bedürftigen aller Art.

Nicht sichtbar, auf der Rückseite der Kathedra ist wieder die Mantelteilung dargestellt, wohl um zu zeigen, dass der Bischof einer Martins-Diözese dem Geist des Mantel teilenden Martin in besonderer Weise verpflichtet ist. Auch im gotischen Turmhelm hier oben, außen, sehen wir von Weitem, wie Martin seinen Mantel teilt mit den Bedürftigen.

Und das moderne Reliquiar hier an der Säule des alten Kirchturms angebracht und als modernes Segensreliquiar gefertigt, birgt eine Reliquie des heiligen Martin. Die Reliquie im Segensreliquiar vergegenwärtigt den Geist des Heiligen im Dom.

Das Zeichen vergegenwärtigt, ruft in unserer Mitte die Anwesenheit des heiligen Martin wach, dessen, was er getan hat. Dieses Zeichen erinnert uns an sein Leben, an seine Taten, die Taten der Nächstenliebe. In diesem Zeichen wird seine Gestalt, sein Tun und Handeln in uns lebendig, wenn wir schauen, blicken und sehen. Die Motivation, die Kraft zu handeln nach seinem Geist und Vorbild wird in uns lebendig.

Das Reliquiar soll „denk mal“ sagen: „denk mal an Martin, an das, was er getan hat“ – ein Andenken also. So, liebe Schwestern, liebe Brüder, wie wir manche Andenken mit uns tragen als Erinnerung an einen lieben Menschen, dass wenn wir dieses Bild anschauen, es uns Freude schenkt und wieder Kraft gibt.

Als der Erzbischof von Tours bei der Wiedereröffnung des Domes 2003 dieses Reliquiar mitten in der Eucharistiefeier hier hereintrug, da haben wir miteinander unser Diözesanlied gesungen: „St. Martin, Dir sei anvertraut, das Volk des Herrn in unserem Land, heut die Gemeinde auf Dich schaut auf Deinen Mantel, Deine Hand.“

Liebe Schwestern, liebe Brüder, wir kennen Martin meist als den Mantelteiler. Das wird auch von den Kindern am 11.11. hier auf dem Marktplatz wieder gespielt und erlebt. Doch das Leben des Martin ist noch viel reicher und vielfältiger an Taten und an heilsamen Ereignissen. In vielen Geschichten in der Vita Sancti Martini aufgeschrieben, bringt Martin in ihren Situationen des Unheils das Heil, Segen, Trost. Martin ist missionarisch, er bekehrt viele Menschen zum Glauben, zum Christentum. Er handelt an Menschen heilsam, er heilt von zerstörerischem Tun, er heilt von falschen Wegen, die die Menschen in die Irre führen. Er heilt von Krankheit und hilft aus Bedrängnis, er wehrt und widersteht dem Bösen.

Martin – darauf möchte ich noch etwas besonders eingehen – ist vor allem Versöhner und Friedensstifter. Martin handelt und wirkt versöhnend. Er ist friedfertig, er stiftet Frieden im Streit. Gewaltlosigkeit, Friedfertigkeit und versöhnendes Handeln durchziehen sein Leben wie ein roter Faden: nach seiner Taufe wendet sich Martinus vom Kriegsdienst ab. Martinus nimmt Abschied aus dem Heer des römischen Kaisers Julian, der gerade dabei ist, mit Gewalt gegen feindliche und das Land verwüstende und seinen Thron bedrohende Barbaren vorzugehen und in den Krieg zu ziehen. Da wirft ihm Martinus den Kriegsmantel, den Offiziersmantel vor die Füße und sagt: „Bis heute habe ich Dir gedient, erlaube mir, dass ich jetzt Gott diene. Ich gehöre zu Jesus Christus, es ist mir nicht erlaubt zu kämpfen.“

Im Frühjahr dieses Jahres haben 350 Teilnehmer im Martinsjahr eine Wallfahrt nach Tours unternommen. Unsere erste Station dort war Candes, der Ort, an dem Martin 397 starb. Sulpicius Severus berichtet, Martinus hatte längst eine Vorahnung seines Todes, er hat diese Reise im 81. Lebensjahr getan. Mittlerweile war es aber notwendig geworden, dass er die Gemeinde von Candes besucht, die Kleriker dieser Kirche waren unter sich uneins geworden. Und er wollte den Frieden wieder herstellen. Und obgleich er sehr wohl wusste, dass das Ende seiner Tage nahe sei, so weigerte er sich doch nicht, jene Reise anzutreten. Denn, so Sulpicius Severus, er hielt es für eine schöne Krönung seiner Tugenden, wenn es ihm gelänge, einer Kirchengemeinde den Frieden wieder zu geben.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, vom Anfang bis zum Ende Frieden stiften, Versöhnung, das war für Martin eine schöne Krönung seiner Tugenden. Er ist darin ein heilsames Vorbild für unsere gewalttätige Zeit. Vorbild in einer von Streit, Hass, Vergeltungsdenken, von Aggressionen und Feindschaft, ja von Terror und Gewalt und Krieg in vielen Teilen unseres gemeinsamen Hauses geprägten Zeit. Im Bringen des Friedens, im Stiften von Versöhnung, in der Ablehnung von kriegerischer Gewalt ist Martin der wahre Gottesmann.

Gegenwärtig, liebe Schwestern, liebe Brüder, haben sich einige selbst zu Gottesmännern erklärt, die Gewalt nicht nur predigen, sondern mit dem Schwert grausame Gewalt anwenden. Mit Entsetzen habe ich erst vor wenigen Tagen in einer Broschüre des islamischen Staates unter einem Bild mit entsprechender Gewaltszene gelesen: the sword is a part of allah's law – das Schwert ist Teil von Allahs Gesetz.

Liebe Schwestern, liebe Brüder, welcher Missbrauch von Religion, welches Ansinnen, dass Gott ein Gott des Schwertes sei.

Bei Martin ist die Antwort auf Streit und Gewalt nicht Gegengewalt, nicht das Schwert, sondern die Abkehr von Gewalt und kriegerischem Handwerk – und Hinkehr zu Gewaltlosigkeit und Friedensstiftung.

Das Schwert, das der junge Martin als Katechumene führt, ist das Schwert, das seinen Offiziersmantel teilt und so den frierenden Bettler vor dem Kältetod errettet. Das Schwert des Martin rettet Leben vor dem Tod – das Schwert der IS tötet und zerstört, versetzt den Todesstoß – das Schwert Martins ist Lebenselixier, Helfer aus dem Tod zum Leben. Auch darin und ganz besonders darin zeigt er in seinem Leben, in seinem Handeln, wer für ihn und wer für uns der Gott Jesu Christi ist, der christliche Gott. Er ist der Gott der Versöhnung und des Friedens. Im Versöhnung und Friedenstiften zeigt sich Martins Grundhaltung sein Leben lang. In dieser Grundhaltung, liebe Schwestern, liebe Brüder, verlebendigt er nichts anderes als die Grundhaltung der biblischen Gestalten, der biblischen Botschaften, Frieden zu stiften, aus der Kraft der Versöhnung zu leben, darin lebt Martin, darin will er uns und soll er uns inspirieren.

Über der Krippe, am Anfang des Lebens Jesu, rufen die Engel aus: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede den Menschen auf Erden.“ In diesem Kind Jesus ist der Friedensbringer aus Gott geboren, unter uns angekommen, Jesus von Nazareth.

Später, als 30-Jähriger, wird Jesus von Nazareth auf dem Berg den um ihn versammelten Menschen zurufen, wir haben es im Evangelium gehört: „Selig, die keine Gewalt anwenden, denn sie werden das Land erben. Selig die Friedensstiftenden, denn sie werden Söhne Gottes, Töchter Gottes genannt werden.“ Und als Jesus dann einige Monate/Jahre später gefangen gesetzt werden soll und ein Begleiter, Petrus, der erste der Jünger, ein Beherzter aus dem Zwölferkreis, sein Schwert zückt, um seinen Meister raus zu hauen aus Gefangenschaft, und auf den Diener des Hohepriesters einschlägt, da sagt Jesus zu ihm: „Steck Dein Schwert weg, alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen.“

Liebe Schwestern, liebe Brüder, Martin vergegenwärtigt den Frieden stiftenden Geist, die Frieden stiftende, die gewaltlose Haltung, die von Jesus von Nazareth ausgeht. Die aus der frohen Botschaft stammt und die uns heute erreichen will. Martin ist uns hier ein Vorbild, so ist Martin nicht nur die Ikone der Nächstenliebe, sondern er ist Ikone der Feindesliebe. Die Ikone der Gewaltlosigkeit und der Friedfertigkeit. Hat unser Europa nicht diesen Geist des Martin auf neue Weise nötig, dass wir von ihm beseelt und nicht aus Eigennutz und Vergeltung aneinander handeln.

Amen.

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