Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zum 8. Jahrestag der Bischofsweihe

Rottenburg, Dom St. Martin

Schrifttexte: 1 Kor 12,31-13,13; Lk 7,31-35

Liebe Schwestern und Brüder!

Das „Hohe Lied der Liebe“ haben wir heute als Lesung gehört. Paulus ist der Verfasser dieses großen Kapitels über die Liebe. Das Gedächtnis dieses Paulus, der die Liebe über alles stellt, feiern wir in diesem Paulusjahr besonders. Wenige Schrifttexte sind in der Geschichte des Christentums mehr zitiert und zu den verschiedensten Anlässen herangezogen worden wie das 13. Kapitel aus dem 1. Korintherbrief. Die Verse sind durchaus so etwas wie die Magna Charta der Glaubensüberzeugung des Paulus. Sie sind eine Programmschrift christlichen Lebens in der Welt.

Die Sätze aus dem ersten Korintherbrief beschreiben die Vision einer Welt, eines Zusammenlebens, in der die Liebe den Ton angibt. Vision einer Welt, in der Menschen aufatmen, weil wir da leben können, weil wir da in Liebe voneinander angenommen sind. Heilsame Vision, weil der Liebe Eigenschaften zukommen, die dieses unser Leben und Zusammenleben ermöglichen: Welche Worte: “Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig! Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Die Liebe freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.“(1 Kor 13,4-7)

Doch nehmen wir diese Worte nicht naiv auf. – Sind das nicht bloß Worte nur für romantische Stunden? Gehen diese hehre Worte nicht an der Realität des Lebens vorbei? Oder ist das nicht - wenn wir ihn ernst nehmen - ein Text, der uns permanent überfordert und uns ständig zum Scheitern bringt und schließlich frustriert? „Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.“ Ist dies menschenmöglich?

Dieses Hohe Lied auf die Liebe können wir nur wirklich verstehen, wenn wir Paulus selbst verstehen und seinen kraftvollen Antrieb zur missionarischen Verkündigung von Jesus Christus als Missionar fast der ganzen damals bekannten Welt!

Dem hasserfüllten, eifernden, ruhelosen Christenverfolger Saulus wird ohne sein Zutun, ja gegen seine innere Disposition eine ihn umstürzende Erfahrung zuteil. Vor Damaskus wirft ihn Christus, den er verfolgt, zu Boden. Das ungeheure Licht, das ihn umwirft, blendet seine Augen. Erst durch Hananias in Damaskus, einen frommen Christen, öffnen sich ihm die Augen zum neuen Sehen. In der Begegnung mit Hananias kommt Saulus wieder auf die Beine. Saulus lässt sich taufen auf den Namen dessen, dem seine unbändige Wut galt: auf Jesus Christus, den Sohn des lebendigen Gottes.

Dieses unvorstellbare, umstürzende Erlebnis steht hinter dem Bekenntnis: „Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir!“ Sein Innenleben ist gewissermaßen ausgetauscht. Liebe statt Hass! - Christus, die Liebe Gottes in Menschengestalt, lebt ab diesem unauslotbaren Ereignis in Paulus. Die Liebe Gottes ist ausgegossen in sein Herz. Sie ist die Kraft, die ihn fortan bewegt. Sie ist die Kraft, die ihn auf seine Verkündigungsreisen treibt und ihn unermüdlich sein lässt bis zum Zeugentod in Rom!

Paulus hat Gigantisches geleistet durch die Kraft Christi, die ihm eingepflanzt wurde. Er bleibt sich sein ganzes Leben bewusst, wer ihn bewegt und woher er diese missionarische Kraft zum Zeugen hat. Und er bleibt sich bewusst, dass Christusträger trotzdem keine Heroen sind, sondern zerbrechliche, hinfällige, schwache Menschen. Diesen Schatz, dass Christus selbst im getauften Menschen lebendig ist, sagt Paulus, „diesen Schatz tragen wir in zerbrechlichen Gefäßen; so wird deutlich, dass das Übermaß an Kraft von Gott und nicht von uns kommt.“ (2 Kor, 4,7) Wir sind zerbrechliche Gefäße für die in uns Getaufte eingestiftete Liebe Gottes, die durch uns zur Wirkung kommt.

Die Liebe, die der Apostel in immer wieder neuen Bewegungen umkreist, ist also weit mehr als ein angenehmes Gefühl, das uns sanft einhüllt. - Lieben heißt lieben aus der Kraft des gekreuzigten und auferstanden Christus. Die ‚Liebe hört niemals auf!“ Dieses Wort des Paulus ist undenkbar ohne die Mystik der Christusbeziehung des Paulus: Die Liebe Christi in mir hört niemals auf.

Erst aus dem Bewusstsein dieser Kraftquelle ruft Paulus seinen Gemeinden, seinen geliebten Mitchristen, zu: „Seid so gesinnt, wie es dem Leben in Christus entspricht!“ (Phil 2,5)

Das Hohe Lied der Liebe ist also kein erhebender Hymnus für ergreifende Stunden, sondern eine „Wegbeschreibung“ für den Lebensweg eines jeden Christen. „Ich zeige euch einen Weg noch darüber hinaus!“ – Mit diesen Worten eröffnet Paulus sein hohes Lied auf die Liebe. Einen Weg darüber hinaus! Worüber hinaus?

Im Kapitel vor dem 13. und im Kapitel nach dem 13. entwickelt Paulus seine Charis-menlehre. Er entfaltet dort die Geistesgaben, die den getauften Christen geschenkt sind: Christlich lehren, Wunder tun, leibliche und seelische Krankheiten heilen, trösten, Gemeinde auferbauen, Menschen helfen und die Leitungsverantwortung wahrnehmen, schließlich in verschiedenen Zungen pfingstlich zu reden – das alles sind gute Gaben des Gottesgeistes. Paulus aber, so sagt er, zeigt uns einen Weg noch darüber hinaus. Es ist der Weg der Liebe.

Das 13. Kapitel ist also für die Geistesgaben aller Art, die wir erbitten und die auch heute wirken, ein qualifizierendes Vorzeichen und zugleich ein kritisches Korrektiv für die Charismen, die Geistesgaben, für die wir als Christen dankbar sind. Hätten wir als einzelne oder als Kirche all diese Gaben – welch großartige Begabungen sind es! –, hätten wir als einzelne oder als Kirche all diese Gaben, hätten wir aber die Liebe nicht – wir wären ein Nichts, nur tönernes Erz, lärmende Pauken! (1 Kor, 13,1)

Eine Liebe, die ihre Kraft und ihr Maß aus Jesus Christus bezieht, ja die selbst als Christusliebe in mir und durch mich wirkt, sie erweist sich nicht in Romantik oder in Hymnen, sondern in der Tat und durch die Tat. Hier ist der Kern, die Mitte der Botschaft Jesu, wie Paulus sie verkündete. Eine Liebe, die durch das eigene Leben bereit ist, in der Kraft Christi bis ins Letzte zu gehen.

Liebe in diesem weitesten Sinn heißt, für die anderen da zu sein. Diese Liebe ist ein Tu-Wort. In der Gestalt Jesus Christus wird uns das deutlich vor Augen geführt. Der Heilige Vinzenz von Paul formuliert in der Nachfolge Christi prägnannt: ‚Eure Liebe sei Tat’.

Öffnen wir uns für diesen aufrüttelnden, uns neu rufenden Impuls, den uns der Völkerapostel Paulus gerade heute gibt! Die missionarische Kraft des Christentums lag in der Geschichte im glaubwürdigen Handeln für die Menschen, die am Rand und im Schatten stehen. Machen wir gerade für sie unsere Herzen weit! Im Wissen um unsere uns eingestiftete Christusbeziehung, die die Liebe Christi in uns hineingelegt hat und durch uns wirkt brauchen wir nicht verzagen vor dem, was von uns als Christen erwartet wird.

Um mit einem Satz der Heiligen Hildegard von Bingen zu schließen, deren Gedenktag wir heute feiern: „Oh Mensch, sage nicht, dass du das Gute nicht tun kannst! Du hast Augen zum Sehen, Ohren zum Hören, ein Herz zum Denken, Hände und Füße zum Gehen.“ Und mit Paulus bekennen auch wir: „Nicht mehr ich lebe – Christus lebt in mir!“
Amen.

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