Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zum 9. Jahrestag der Bischofsweihe

Rottenburg, Dom St. Martin

Schrifttexte: 1 Tim 3,14-16; Lk 7,31-35

Liebe Schwestern und Brüder hier im Dom St. Martin, in der Kathedralkirche unserer Diözese!

Sie feiern mit mir den neunten Tag meiner Bischofsweihe. Und wir tun dies in der Feier der Eucharistie, der Hochform der Liturgie unserer Kirche.

Paulus im Brief an Timotheus

Paulus gibt uns dazu ein erstes Wort in seinem Brief an Timotheus. Er nennt Kirche mit einer überraschenden Formulierung das „Hauswesen Gottes“. Der Brief an Timotheus ist ein Pastoralbrief, ein Brief an die Pastores, die Hirten, an die Vorsteher der Gemeinden. Paulus, oder einer seiner engsten Vertrauten, nimmt hier ein altes Lied über die Kirche auf, wohl ein Hymnus aus der ganz frühen Christenheit des ersten Jahrhunderts, ein Loblied auf Kirche aus ihrer Ursprungszeit.

Kirche, so schreibt er den Pastores, ist „Hauswesen Gottes“ (1Tim 3,15f). Als Zusammenfassung des ganzen Lobliedes können wir formulieren: Kirche ist das „Hauswesen Gottes“, in dem das große Geheimnis unseres Glaubens anwesend, gegenwärtig ist: Jesus Christus selbst.

Dimensionen des Hauswesens Gottes

Zu diesem „Hauswesen Gottes“ der Kirche gehören, nach frühchristlicher Theologie drei Grunddienste, die mit den griechischen Worten bezeichnet werden: Diakonia, Leiturgia und Martyria, Dienst der tätigen Nächstenliebe, der Gottesdienst-Liturgie, der Dienst des Zeugnisses in der Verkündigung des Glaubens. Ganz eng miteinander verwobene, nicht nebeneinander stehende, sondern einander durchdringende Dienste.

Diakonische Kirche

Liebe Schwestern und Brüder, Sie wissen: In den letzten Jahren habe ich in besonderer Weise die Dimension der diakonischen Kirche herausgestellt und in unserer Diözese zusammen mit meinen Mitarbeitern in der Diözesanleitung, zusammen mit dem Diözesanrat und dem Caritasverband das diakonische Handeln in unserer Ortskirche gestärkt, einer Kirche, in der der dienende Christus verlebendigt wird bzw. Christus selbst sich unter uns als der Lebendige erweist, als der, der „gekommen ist, zu suchen und zu retten, was verloren ist.“ (Lk 19,10) Diese Verlebendigung geschieht durch die tätige Nächstenliebe – im persönlichen, individuellen Bereich und in unseren karitativ-diakonischen Einrichtungen durch viele ehrenamtliche und hauptamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Hier liegt eine große Chance, dass darin für die Menschen, für alle Menschen besonders die Liebe Gottes zu uns Menschen, besonders in unseren Nöten am eigenen Leib erfahrbar ist. Diakonische Kirche ist aus sich selbst heraus durch das überzeugende Tun der Nächstenliebe eine missionarische Kirche: Nichts überzeugt so sehr wie der Einsatz für den anderen. „Seht, wie sie einander lieben”, mit diesen Worten beschreibt der antike Schriftsteller Tertullian nicht ohne zu staunen den Zusammenhalt der ersten Christen.

Die zweite Dimension des „Hauswesens Gottes“ ist die Liturgie

Die Liturgie, der Gottesdienst ist untrennbar eng mit der Diakonia verbunden. Denn in der Eucharistie wird uns der dienende, liebende, rettende Christus, der Christos diakonos, vor Augen gestellt: in heiligen Zeichen, in sprechenden Gesten, in den Gestalten von Brot und Wein, unter denen wir Jesus Christus empfangen und uns ihn ganz einverleiben, um mit seiner Liebe von innen her durchdrungen zu werden und zu handeln, wie der rettende Jesus gehandelt hat. Das ereignet sich, wenn wir kommunizieren.

Tätige Nächstenliebe und eucharistische Liturgie

Die tätige Nächstenliebe empfangen wir also aus der Quelle der Eucharistie, der Gottesbegegnung im Gottesdienst, in der Liturgie. Der Sinn der eucharistischen Liturgie verwirklicht sich darin, dass sich in ihr die zeichenhafte Vergegenwärtigung dieses großen Geheimnisses unseres Glaubens ereignet: Jesus Christus, in dem die Liebe Gottes zu uns Menschen Fleisch und Blut geworden ist, wird unter uns gegenwärtig.

Deshalb war mir von Anfang an neben der diakonischen Kirche auch die eucharistische Kirche von ganz besonderer Bedeutung. Und eben deshalb muss auch die Bemühung um die würdige Feier der Liturgie der Eucharistie, der Heiligen Messe, immer ein Schwerpunkt unseres pastoralen Handelns in der Kirche sein. Dies ist ganz im Sinne des Zweiten Vatikanischen Konzils, das uns sagt: Die Eucharistie ist „die Quelle, aus der dem Tun der Kirche all ihre Kraft strömt.“ (SC 10). Eucharistie ist die Kraftquelle des Hauswesens Gottes, in dem das Geheimnis unseres Glaubens anwesend ist: Jesus Christus selbst.

Darum habe ich von Beginn an in meinem Dienst als Bischof immer wieder die eminente Bedeutung der Liturgie unterstrichen. Zuerst in meiner ersten Neujahrsansprache 2001, zuletzt in meinem Brief an die Gemeinden zum Beginn der österlichen Bußzeit 2009: „Den Glauben feiern – Über die Kraft der Liturgie in einer missionarischen Kirche.“

Die Verantwortung des Bischofs nach dem Vatikanum II

Das Zweite Vatikanische Konzil weist dem Bischof eine besondere Verantwortung für die Feier der Liturgie zu. Die wichtigste Verantwortung nimmt der Bischof selbst in der Feier der Liturgie wahr. Und der besonders hervorgehobene Ort für die Feier der Eucharistie ist die Kathedralkirche, der Dom als liturgisches Zentrum des „Hauswesens Gottes“.

Die Bedeutung der Liturgie für das Leben, Glauben und Handeln der Kirche beschreibt das II. Vatikanischen Konzil mit folgenden Worten: „Daher sollen alle das liturgische Leben des Bistums, in dessen Mittelpunkt der Bischof steht, besonders in der Kathedralkirche, aufs höchste wertschätzen; sie sollen überzeugt sein, dass die Kirche auf eine vorzügliche Weise dann sichtbar wird, wenn das ganze heilige Gottesvolk voll und tätig an den liturgischen Feiern, besonders an der Eucharistiefeier, teilnimmt.“ (SC 41) Wie eine Kompassnadel zieht sich dieser Leitgedanke durch mein Handeln als Bischof, eine Orientierung, die ich ganz bewusst heute, am Vorabend des Jahrestages meiner Bischofsweihe, und hier in der Kathedralkirche in Rottenburg ansprechen möchte. Denn hier im Dom St. Martin bündelt sich das liturgische Leben der ganzen Diözese Rottenburg-Stuttgart, von hier soll das liturgische Leben seine Impulse und seine lebenstiftende und glaubenstiftende Kraft erfahren. Dabei erscheint der Bischof als ‚der erste Spender der Geheimnisse Gottes in der ihm anvertrauten Teilkirche, (als) der Leiter, Förderer und Hüter des gesamten liturgischen Lebens’(Apostolische Verlautbarung ‚Sacramentum caritatis’, 58). Es ist von unabschätzbarer Bedeutung, dass durch die Feier der eucharistischen Liturgie das Geheimnis unseres Glaubens als heilende Kraft gefeiert, bezeugt und zum Ausdruck gelangt. Gerade unsere Zeit, die vielfach durch die Macht der Bilder, Zeichen und Gesten gekennzeichnet ist, hat hierfür ein besonderes Gespür. Insofern sehe ich eine neue Sensibilität und Möglichkeit, die Liturgie zur Entfaltung kommen zu lassen. Unterschätzen wir nicht die Bedeutung des Gottesdienstes, denn hier geht es zuerst und zuletzt um das große Geheimnis unseres Glaubens: die Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Herrn.

Die geformte Gestalt der Feier der Liturgie offenbart, was wir inhaltlich vollziehen. Unsere Liturgie ist so, wird sie nur gut gefeiert, eine wirksame Epiphanie des Glaubens: ja die sichtbare, erfahrbare Vergegenwärtigung der Liebe Gottes zu uns Menschen in Jesus Christus.

Die Feier der Liturgie, durch die wir in die Botschaft des Glaubens mit hineingenommen und von ihr ergriffen werden, ist ein hohes Gut, das uns als Kirche anvertraut ist. Wir feiern ja nicht uns selbst, sondern den Glauben, der uns geschenkt ist. Schließlich loben wir Gott, der uns in Jesus Christus begegnet. Die Botschaft Gottes für uns und zu unserem Heil drückt sich in der Liturgie aus und findet darin ihre sprechende, sinnenhaft erfahrbare Form. Von der Liturgie lassen wir unser Herz bewegen und unsere Seele erheben. Weil dies alles ein solches Gut ist, tragen wir Verantwortung für die sorgsame Pflege dieses kostbaren Geschenks. Ich danke allen, die hier mitwirken.

Liebe Schwestern und Brüder, trauen wir also der Liturgie, ihren geprägten Formen, Zeichen, Gesten und Symbolen zu, was sie zu allen Zeiten bei Menschen bewirkt und ermöglicht haben: dem unsichtbaren Geheimnis des Glaubens einen sichtbaren Ausdruck zu verschaffen, Trost zu spenden, das Herz zu erheben, Menschen zu ergreifen, zu erfreuen und zu verwandeln in liebende Menschen, diakonische Menschen. Wir leben in einer Zeit, in der sich viel verändert. Das Kennzeichen des christlichen Glaubens-Weges ist auch die Feier der Liturgie mit ihrem großen geistlichen Reichtum. Das pilgernde Gottesvolk lebt nicht nur vom Hören des Gotteswortes, sondern besonders von der Feier des Glaubens. Dies gilt in besonderer Weise für die Feier der Eucharistie: Denn in ihr vergegenwärtigt sich für uns Menschen die liebende Zuwendung Gottes in Jesus Christus. In der Eucharistie erfahren wir uns als immer wieder neu von Gott Geliebte. Aus dieser liturgisch erfahrenen Gemeinschaft mit dem auferstandenen Herrn Jesus Christus gehen wir gestärkt hervor, um im Glauben, Hoffen und Lieben den so erschlosenen Weg als Kirche gehen zu können.

Amen.

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