Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zum „Aschermittwoch der Künstler“ 2004

Stuttgart, Hohenheim

Schrifttext: Joel 2,12-18; Mt 6,1-6.16-18

Aschermittwoch der Künstler, allein die Zusammenstellung dieser Begriffe erinnert uns alle an ein Thema, was mir heute wichtiger denn je zu sein scheint. Ich meine das Zu-sammentreffen von Kunst und Kirche, den ‚Dialog zwischen Kultur und Theologie‘, der für mich ein entscheidendes Kennzeichen jeder guten, originellen und fruchtbaren Theologie ist, die sich auf der Höhe der Zeit befinden möchte.

Künstler und Künstlerinnen sind oft Seismografen der Zeit, und ihnen zuzuhören, ihre Werke anzuhören, zu betrachten oder zu lesen, sie zu genießen und studieren, sind für mich eine Grundvoraus-setzung für Theologie und Kirche, um dann überhaupt wieder mit der Gegenwart und in die Gesellschaft hinein sprechen zu hören. Wenn ich in diesem Zusammenhang aber wiederholt von einem Dialog auf Augenhöhe gesprochen habe, so habe ich damit eine Einladung gemeint, die an beide Partner des Dialogs ausgesprochen werden muss. Ich lade Künstlerinnen und Künstler nachdrücklich ein, sich auf die Fragen und Antworten, die Traditionen und die gegenwärtigen Aussagen von Theologie und Kirche einzulassen.

Erlauben Sie mir, dass ich an diesem Ort und zu diesem Anlass als Predigt ein kleines Beispiel für diesen Dialog auf Augenhöhe gebe, wie ich ihn mir vorstelle und noch viel häufiger zu den verschiedensten Themen und Gelegenheiten wünsche.

Albrecht Goes, SIEBEN LEBEN

Sieben Leben möchte ich haben:
Eins dem Geiste ganz ergeben,
So dem Zeichen, so der Schrift.
Eins den Wäldern, den Gestirnen
Angelobt, dem großen Schweigen.
Nackt am Meer zu liegen eines,
Jetzt im weißen Schaum der Wellen,
Jetzt im Sand, im Dünengrase.
Eins für Mozart, für die milden,
Für die wilden Spiele eines.
Und für alles Erdenherzleid
Eines ganz, und ich, ich habe –
Sieben Leben möchte ich haben! –
Hab ein einzig Leben nur.

Wir befinden uns mitten im Zentrum unserer aller Frage. Aber diese Thematik wird von Goes so spielerisch wie geschickt ausgebreitet. Uns selbst wird ein Spiegel vorgehalten, welch große Chance wir in unserer geschenkten Lebenszeit nutzen oder auch vertun können.

Wie schön wäre es, verschiedene Alternativen leben zu können, wer von uns hätte die-sen Traum noch nicht geträumt. Und auf etwas andere Art scheint mir dahinter auch ei-ne Signatur unserer Zeit durchzuscheinen, in der viele Menschen so leben, dass sie nur ja nichts verpassen. Das Leben wird als biologisch begrenzter Zeitraum entdeckt. Und es wird damit buchstäblich zur einzigen und ‚letzten Gelegenheit’ , wie es ein Buchtitel zum Thema formuliert. Unsere begrenzte Lebenszeit wird zum Schauplatz möglichst unbegrenzter Anhäufung von Lebenskapital. Welche Leistung legen wir da unserem Leben auf? Der Leistungsdruck steigt ins Unermessliche, ins Unerträgliche.

Sicherheit und Beschleunigung werden zur vordringlichen Aufgabe der Weltverbesse-rung. Sicherheit, um dem Einzelleben wenigstens seine durchschnittliche Lebensspanne zu garantieren, und Beschleunigung, um die unerträgliche Kluft zwischen den unendli-chen Möglichkeiten, die die Welt da draußen bereithält, und der kläglichen Zeit, die dem einzelnen zu deren Ausschöpfung zur Verfügung steht, wenigstens zu verringern. Der Mensch gerät in Panik. Neben den Tod tritt ein beinah noch ärgerer Widersacher des Lebens: die Angst, etwas zu versäumen.

Aber wir geraten damit in eine Sackgasse: die Sehnsucht nach Leben ist unendlich – meine Möglichkeiten sind aber endlich. Wer in der Endlichkeit unendliche Erfüllung sucht, der muss frustriert werden, scheitern.

‚Hab ein einzig Leben nur.’ Das ernüchternde Fazit nach all den erträumt-erwünschten Alternativen klingt fast ein wenig resignativ – und ist doch zugleich eine Wendung hin-ein in den Auftrag, dies eine und einzige Leben dann auch bewusst und verantwortlich anzunehmen und zu gestalten.

‚Bedenke Mensch, dass Du Staub bist, und zum Staub musst du zurück!’ (Gen 3, 19) Mit diesen Worten wird uns am Aschermittwoch das Aschenkreuz auf die Stirn ge-zeichnet und damit im Grunde eben die dramatische Spannung des Themas symbolisch verdeutlicht. Die Asche wird auch zum kritischen Ausrufe-Zeichen, das uns im wahrsten Sinn er-innert. Wer sich mit Asche bestreuen lässt, anerkennt nicht nur die Bedeutung dieses Sinn-Bildes, sondern vollzieht selbst eine leibhaftige Sinn-Handlung und gibt quasi eine Antwort auf den Zuruf: Ja, ich gedenke mit meinem Leibe meiner Endlichkeit: dass ich Mensch Staub bin und zum Staub zurückkehre! Fast scheint es mir so, als würden wir damit an die letzte Zeile des Gedichtes anknüpfen und sie eben mit jedem einzelnen unserer Leben weiterschreiben: Ja, ich habe nur ein einziges Leben – und ich nehme es bewusst als Gabe und Aufgabe an.

Unsere ängstliche Frage angesichts der von Goes’ Gedicht geschilderten ungeheuren Wahlmöglichkeit für unser Leben erhält eine erste und letzte Antwort, die uns immer schon vorgegeben ist und unser Leben trägt: ‚Kehrt um zum Herrn, eurem Gott! Denn er ist gnädig und barmherzig, langmütig und reich an Güte.’ (Joel 2,13b)
Wenn das keine Frohe Botschaft ist, die Mut und Hoffnung gibt, die uns die Freude und Zuversicht schenkt, umzukehren und unser Leben in der Nachfolge Jesu konsequent verwandeln zu lassen: aus Leistungszeit in Gnadenzeit.

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