Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zum „Aschermittwoch der Künstler“ 2007

Stuttgart-Hohenheim

Schrifttext: 2 Kor 5,20 – 6,2; Mt 6,1-6.16-18

Liebe Schwestern und Brüder, liebe Künstlerinnen und Künstler,

mit dem Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit. Diese österliche Bußzeit will einladen und dazu anleiten, das eigene Leben zu überdenken und wo nötig, Weichen neu zu stellen. Fasten-Zeit, eine Zeit, die Bilder und Muster bewusst wahrzunehmen, anzuschauen, zu durchschauen, Bilder, die uns und unser Leben prägen, Bilder und Muster, mit denen wir auch andere prägen. Fasten-Zeit, die Zeit, um Wunden wahrzunehmen, Wunden, die uns an Körper und Seele plagen und leiden machen, Wunden aber auch, die wir uns und auch anderen zufügen: durch unser Verhalten, unsere Lebensweise, unser Auftreten. Denn auf der Suche nach heilsamem Balsam zur Wunde ist es wichtig, wahrzunehmen, was gilt, was prägt, was verwundet.

Eine der Gesellschafts- und Kulturdiagnosen, die augenblicklich bestimmend sind, lautet: Wir befinden uns auf dem Weg von einer hörenden zu einer sehenden Kultur. Manche sprechen sogar von einem icon turn, von der Wende hin zum Bild. Und tatsächlich: Viele Menschen orientieren sich gegenwärtig mehr und mehr durch das, was sie sehen. Wenn das aber so ist, dann müssen wir darauf achten, was wir sehen, wohin wir blicken.

In diesem Zusammenhang ist mir vor einiger Zeit folgender Satz zugeflogen: „Wir kommen wohin wir schauen – was wir im Auge haben, dahinein werden wir verwandelt.“ Fürwahr ein weises Wort: Und wer sollte mehr von der Kraft der Bilder und Zeichen wissen als Sie, liebe Künstlerinnen und Künstler, die sich bemühen, die Inhalte, die sie bewegen, auszubilden und so verdichtet weiterzugeben. „Wir kommen wohin wir schauen – was wir im Auge haben, dahinein werden wir verwandelt.“ In diesem Satz, steckt zugleich eine dringende Ermahnung ist, mit großer Verantwortung darauf zu achten, was wir im Auge haben und was wir anderen vor Augen stellen, um uns dahinein verwandeln zu lassen. Übersetzen wir dieses Wort in unsere Erfahrungsräume hinein:
Schauen junge Menschen über Jahre hinweg Gewaltfilme ohne Ende oder sitzen Tag und Nacht an Computer-Killerspielen, dann besteht die Gefahr, dass sich das Gesehene in ihre Köpfe schleicht, es wie Gift in ihre Seelen träufelt.

Ein anderes Beispiel: Schauen wir in der Politik, in der Kirche oder der Gesell-schaft nur auf die Strukturen von Oben und Unten. Orientieren wir uns immer an den Regeln von Machtspielen, dann werden wir bald unbarmherzig, und nehmen den Menschen nicht mehr wahr, der uns braucht. Schauen wir nur auf Leistung und Erfolg, dann werden wir bald egozentrisch und gnadenlos.
„Was wir im Auge haben, das prägt uns, dahinein werden wir verwandelt.“ Die-ser Satz wird so auch zur Mahnung, darauf zu sehen, was wir im Auge haben und was wir anderen vor Augen stellen.

Aufgrund der neuen Technologien hat sich die Welt gewandelt. Das Internet bietet faszinierende Möglichkeiten, sich mit einer schier unendlichen Datenmenge auszurüsten. Mit Technik und der Verfügbarkeit von Daten jedoch ist es nicht getan. In Zeiten eines beschleunigten technischen Wandels brauchen wir Menschen, die ihr Handeln über den Tag hinaus an grundlegenden Werten orientieren: Menschen, die um die Kraft der Bilder und Zeichen wissen, die eine Zeit prägen: Menschen, die wirkungsvolle Bilder finden und prägen: Menschen, die heilsame Zeichen setzen in der Zeit.

Wunden wahrnehmen, sensibel für sie werden, den Schmerz nicht ausblenden und betäuben – und Ausschau halten nach Wegen der Heilung, anderen, neuen Lebensmustern, die Wunden wirklich heilen können und die keine neuen Wunden schlagen. Sehnsucht wirksam werden lassen nach neuem, heilem Leben: Das ist Fasten-Zeit!

Diese Sensibilität schulen, die Sehnsucht in uns wach halten oder gar erst wecken, das wollte seinerzeit auch der Apostel Paulus, als er der Gemeinde in Korinth zurief: ‚Lasst euch mit Gott versöhnen!’ Lasst euch in der Begegnung mit Gott verwandeln, verändern.

Um diese Kraft der Veränderung und Versöhnung, diese Sehnsucht nach dem Reich Gottes, die Menschen zu Umkehr und Nachfolge ruft, ging es Jesus von Nazareth, der seinen Jüngern Regeln für rechtes Fasten mitgibt, ein Fasten, das auf das wirklich Wichtige zielt. Das wirklich Wichtige zu sehen, gelingt nur dem, der von sich selbst absehen lernt. (vgl. F. Nietzsche)
Die Zeit drängt, alle sind gemeint. Verhärtet euch nicht. Kapselt euch nicht ab. Schließt euch nicht in euch selbst ein. In sich verkrümmt sein – das ist die Ur-Sünde des Menschen!

Habt keine Furcht, lasst Aufbruch und Neubeginn zu. Lasst Euch von Gottes Hand heilsam berühren und auf Neuland führen. Macht euch nicht unangreifbar, verweist nicht auf die anderen, werdet selbst lebendig. Lasst euch heilsam verändern! Von Albertus Magnus stammt der Satz, der den Gedanken vom Sehend sich verwandeln lassen schon vorausgedacht und vertieft hat: ‚Wer sich mit göttlichen Dingen beschäftigt, wird nach ihrem Bild umgestaltet.’ Die Begegnung zwischen Gott und Mensch, die in einmaliger Weise in Jesus Christus vorgestellt wurde, kann, ja will zum Vor-Bild für uns werden, das uns verwandelt. Die in Christus erfahrene Lebenszusage Gottes ist daher für Christen Motivation und Inspiration, sich von ihm und seiner Gestalt auch beanspruchen, herausfordern, rufen zu lassen.

Gottes heilsame Nähe zu erfahren, die unser Leben verwandelt, seiner erneuernden Kraft gewiss zu werden: das ist der tiefste Sinn dessen, was wir Fasten nennen: Zeit der Umkehr, Zeit der Hinkehr zu Gott in Jesus Christus. Künstlerinnen und Künstler können diesen Impuls aufnehmen und darstellen: Nicht um sich selbst darzustellen, sondern um transparent zu werden für die Wirklichkeit Gottes, darum geht es.

So ist Kunst immer „geistlich“. So ist „alle Kunst Suche nach Gott“. Der Maler Alexeij Jawlinskij entdeckte darin sein Lebensmotto: „Alle Kunst ist Suche nach Gott.“

Dann lassen wir nicht nur unser Licht leuchten, dann leuchtet das Licht dessen, der ins Verborgene sieht und aus dem Verborgenen hervortritt in Bildern und Zeichen.

Liebe Schwestern und Brüder, lassen wir uns verändern von Gottes Wort, und seien wir aufmerksam für die Bilder und Zeichen der Zeit auf unserem Weg. „Was wir im Auge haben, das prägt uns, dahinein werden wir verwandelt.“ Ein weiser Satz. Ein heilsamer Satz: Möge es uns gelingen, auf Jesus Christus und sein Lebens-Bild zu schauen, uns auf ihn einzulassen und in seine Geschichte nach und nach hineingezogen zu werden. Durch sein Leben und seine Liebe werden wir verwandelt zu neuen Menschen.

Amen.

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