Rottenburg, Dom St. Martin
(Fernsehübertragung im ZDF)
Liebe Schwestern und Brüder!
Welch ein Gegensatz: Zuerst schreien viele Menschen begeistert ‚Hosianna’ und wollen mit großer Freude mitmachen bei der Sache Jesu. Denn er ist in ihren Augen der ersehnte Messias. Er wird alles zum Besseren wenden. Ihm folgen sie deshalb gerne. Doch dann schlägt diese Begeisterung um, auf das Hosianna folgt das ‚Kreuzige ihn!’. Weil sich die Hoffnungen und Sehnsüchte nicht erfüllen, wird aus Freude Enttäuschung, ja sogar Hass. Am Schluss fordern sie seine Hinrichtung.
Menschen meinten beim Einzug in Jerusalem einen Ruf zu hören; bei der Bewegung, die Jesus auslöste, wollten sie dabei sein. Sie glaubten, eine eigene Berufung zu spüren, und brachen begeistert auf. Aber sie hatten schon bald das Gefühl, in ihren Erwartungen getäuscht worden zu sein. Der, von dem sie sich rufen ließen, war nun selbst in Verruf geraten.
Schauen wir genauer hin: Da sind die Jünger, die seit Jahren mit Jesus umherziehen. Manches Begeisternde haben sie erlebt, manches Mal haben sie aber auch den Kopf geschüttelt über ihn. Nun sehen sie ihn auf dem Esel reiten, sie hören den Jubel der Menge und haben die Hoffnung, dass sich jetzt jeder Zweifel zerstreut und die Hoffnung erfüllt: Jesus ist der Retter, er wird in Jerusalem siegreich sein. Dann sind da Menschen, die gehört haben, was man sich in Jerusalem von Jesus erzählte. Vieles, was sie aus den Heiligen Schriften kennen, erfüllt sich an ihm. Zum Beispiel, dass er nicht auf einem Schlachtross daherkommt, sondern friedfertig auf einem Esel. Das muss der Messias sein: Er heilt Kranke, er stärkt Gedemütigte, er redet mit großer Autorität von Gott. Er wird Gottes Reich wieder aufrichten. Er wird dem Volk Israel seine Freiheit zurück geben. Mit ihm beginnt eine neue, eine bessere Zeit.
Wer wollte da nicht einstimmen in den Jubel und den kommenden Herrscher begrüßen: "Hosianna! Gesegnet sei er, der kommt ihm Namen des Herrn!" Aber dann – wir haben es in der Passionsgeschichte gehört: Die gleichen Menschen werden den Herrn am Karfreitag bespucken und auf den Kreuzigungshügel treiben.
Können wir uns unter diesen Menschen wiederfinden? Denn stehen wir nicht vor den gleichen Fragen, die die Spannung zwischen Palmsonntag und Karfreitag kennzeichnen. Wir erkennen uns selbst: unsere Hoffnungen und Sehnsüchte, unsere Erwartungen und Bedürfnisse. Wir fragen: Wo ist unser Platz in dieser Geschichte Jesu von Nazareth? Wo gehören wir hin?
Wir stehen am Anfang der Karwoche. Die Kirche greift mit der langen Lesung vom Palmsonntag der kommenden Woche voraus, in der wir selbst den Weg Jesu mitgehen sollen. Diese Tage bieten Gelegenheit, uns auf unsere Form der Nachfolge zu besinnen – ob und wie wir uns rufen lassen. Wir können prüfen, wie wir in diese Geschichte einsteigen können und wo unser Platz darin ist. Begeistert für die Sache Jesu. Sicher! Aber erwägen wir auch ernsthaft und entscheiden verantwortlich, bei dieser Sache zu bleiben. Nicht umzukippen und uns fortzustehlen, wenn Gegenwind kommt – von außen oder von innen. Vielleicht erleben wir uns voller Sehnsucht oder auch erfüllt von Angst, hin- und hergerissen vielleicht zwischen Schuld, Furcht und Hoffnung. Auch wir lassen uns rufen und wollen mit ihm gehen, dann aber zögern wir und nehmen Abstand. Manche spüren ihre Berufung, doch schwanken sie, ob sie dabei bleiben können, es gibt widersprüchliche Haltungen und Brüche in der Lebensgeschichte.
Vielleicht bricht gerade da auch unser Herz auf, wo wir den geschundenen Herrn auf seinem letzten Weg sehen, und wir bitten: Herr, nimm mich mit auf Deinen Weg. Die Worte des Schächers am Kreuz könnten auch unser Gebet sein: "Jesus, denk an mich, wenn du in dein Reich kommst." Sie trösten, diese Worte.
Amen.