Bischof Dr. Gebhard Fürst: Predigt zur Eröffnung der Woche für das Leben 2007

Ditzingen

Schrifttext: Joh 6,1-13

Liebe Mädchen und Jungen, liebe Schwestern und Brüder!

Einige von Ihnen werden den Film ‚Gottes vergessene Kinder‘ kennen, der von einer Schule für Gehörlose erzählt: Es kommt in dieser Schule immer wieder zu Missverständnissen, Schwierigkeiten, vor allem dann, wenn keine Verständigung zwischen den Menschen gelingt. Der Film rückte mit dieser ganz eigenen Welt der Gehörlosen das Interesse auf Menschen, die im Schatten stehen, die in einer scheinbar abgeschiedenen Welt leben und ohne jede Chance auf Integration außen vor bleiben. Menschen ohne Stimme, Menschen ohne die Möglichkeit, sich einzubringen, Menschen, deren Sorgen und Wünschen kein Gehör geschenkt wird. Und dazu kam dann eben dieser Titel: Gottes vergessene Kinder.

Aber stimmt das wirklich, gibt es tatsächlich von Gott vergessene Menschen? Mehr noch: Sind es gerade die Kinder, die bei Gott vergessen sind? Mitnichten, und es ist Jesus selbst, der im Evangelium zeigt, dass es bei Gott gerade nicht so ist. Sehen wir genauer hin, wie dieses unfassbar große, eine ganz andere Gegenwart und Zukunft öffnende Wunder geschieht.

Jesus speist die Fünftausend mit nur fünf Broten und zwei Fischen. So erzählt Johannes im Grunde eine Geschichte von Jesus, wie er durch sein Handeln die Welt der Menschen heilsam verändert. Das Evangelium erzählt eine ganz typische Geschichte aus seinem Leben, es entwirft ein treffendes Porträt von Jesus, der im Zentrum der Frohbotschaft steht. ‚da nahm Jesus die Brote, sprach das Dankgebet und teilte an die Leute aus, soviel sie wollten.’ Ein Satz, in dem sich das Leben Jesu als Geben für die Menschen brennpunktartig verdichtet. Jesus verkündet nicht nur den Anbruch des Reich Gottes als Leben in Fülle. Er handelt dementsprechend, er zeigt es uns ganz konkret.

Dabei hatte die Geschichte ganz anders begonnen. Philippus hatte ganz nüchtern kalkuliert: ‚Brot für 200 Denare reicht nicht aus, wenn jeder auch nur ein kleines Stück bekommen soll.’ Aber Jesus kalkuliert nicht nach menschlichen Maßstäben, er zeigt eine grundlegend andere Zählweise. Ihm geht es nicht darum, dass jeder nur ein kleines Stück bekommt, nein, Er und seine Botschaft stehen für ein Leben in Fülle.

‚Lasst die Leute sich setzen!’ Die Jünger werden eingeladen und aufgefordert, daran mitzuwirken. Und die Einladung gilt über die Zeiten hinweg auch uns! Auch wir sind direkt angesprochen, die Einladung Jesu weiterzugeben, wenn er zu den Jüngern sagt: ‚Lasst die Leute sich setzen!’ In dieser konkreten Szene ist programmatisch der Entwurf für eine menschenfreundliche, gastfreundlich entgegenkommende, eine missionarische Kirche bei den Menschen gegeben. Die Worte und Taten Jesu, sein Weg und seine Botschaft gelten uns! Jesus traut uns zu, zu den Menschen zu gehen und auf heilsame Weise ihr Leben zu teilen. Die Jünger dürfen sich die Übernahme diesen Auftrag zutrauen, so verzagt und zweifelnd sie an manchen Tagen sein mögen. ‚Lasst die Leute sich setzen!’, das heißt doch: Macht auch ihr die Welt ein kleines Stück heiler!

Und nun kommt der entscheidende Punkt des eben gehörten Textes. Denn es ist gerade der Evangelist Johannes, der in seiner Fassung des Evangeliums eine entscheidende Variante in die Geschichte einbaut, eine Variante, die der Geschichte erst die Wende und den ganz anderen Verlauf gibt. Man könnte die johanneische Fassung darum durchaus das Evangelium vom Auftauchen eines kleinen Jungen nennen. Jesus zeigt dabei, wie das gehen kann, so mit Kindern in die Zukunft zu gehen. Er nimmt das Kind und seine Gaben wahr, und mit eben diesen Gaben entsteht dann die wunderbare Geschichte.

Und Jesus nimmt diesen Jungen nicht nur wahr, nein er macht ihn zum Mittelpunkt der ganzen Geschichte, zum Dreh- und Angelpunkt, an dem sich das Geschick und die Zukunftsfähigkeit der Menschen entscheiden. Jesus lädt den Jungen ausdrücklich ein, sich und seine Gaben einzubringen, so lächerlich und verschwindend gering sie für die Erwachsenen zu sein scheinen: ‚Ich möchte von dir, was du hast. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.’

Und erst dann kann die wunderbare Geschichte noch einmal ganz neu beginnen. Denn durch Jesu Sensibilität, Sympathie und Wahrnehmung passiert es tatsächlich, dass durch den kleinen, unscheinbaren Jungen Großes und Wunderbares geschieht. Hätte der kleine Junge dem Herrn nicht Brot und Fische geschenkt, hätte Jesus nichts weiterzugeben gehabt. Aber so geht die Geschichte eben mit heilsamer Wende weiter. Niemand bleibt hungrig. Alle bekommen zu essen und bekommen nicht nur Brot und Fisch, sondern auch Sympathie und die Nähe Gottes geschenkt.

Jesus ruft seine Jünger auf, dieses Lebensprinzip, das erst eine Zukunft in Fülle aufschließt, zum Grundprinzip ihres Lebens zu machen und so allen Menschen zum Leben zu verhelfen. Er traut uns zu, mit Kindern in die Zukunft zu gehen. Setzt auf die Kinder und ihr erschließt ihnen und zugleich auch euch selbst die Zukunft. Wir dürfen uns ansprechen und im Vertrauen rufen lassen, dass der, der uns schickt, auch mit uns ist. Das ist die gute Nachricht für uns.

Fünf Brote und zwei Fische werden ausgeteilt und fünftausend Menschen werden satt. Die ganz andere Zählweise Jesu geht auf, weil es ein Zählen auf die Zukunft Gottes ist. Und die Menschen erfahren auf heilsame Weise die Wahrheit der Zusage Jesu. Ein Brot, das wächst, wenn wir es verteilen. Das ist das Brot der Liebe: Dieses Brot kann nur die Liebe sein, denn Liebe ist das einzige, das wächst, wenn wir es verschenken. Es wird von Jesus mit geradezu kindlichem Vertrauen in die Möglichkeiten der Liebe ausgeteilt. Und so wird Leben möglich: Das Brot der Liebe stillt den Lebenshunger der Menschen, das ist die jesuanische Grundregel und zugleich lebt er sie immer wieder ganz konkret vor. Und nochmals: der entscheidende Moment ist dabei der, als Jesus die Möglichkeiten des kleinen Jungen wahrnimmt und ihn mit seiner wahrhaft wunderbaren Gabe von Fischen und Broten zur heilenden Nahrung für alle Menschen werden lässt.

‚Gebt ihr ihnen zu essen!’ Die Aufforderung an die Jünger zeigt nicht nur das Zutrauen, das Jesus in sie setzt. Es ist auch die heilsame Aufforderung an uns alle, ebenso zu handeln, Kinder wahrzunehmen, all das, was sie in unsere Mitte einbringen können, und zuerst die Kinder selbst anzunehmen. Denn sie öffnen uns auf heilsame Weise die Zukunft des Lebens.

Liebe Schwestern und Brüder, ich weiß sehr wohl, dass das leicht gesagt und schwer getan ist. Aber seien wir nicht so gewiss und skeptisch wie Philippus am Anfang der Geschichte. Denn über solcher Orientierung am Handeln Jesu liegt auch für uns die Verheißung neuen, lebenswerten und die Zukunft aufschließenden Lebens.

Mit Kindern in die Zukunft gehen, das fordert uns auf, zu begreifen und vor allem unser Handeln entsprechend zu ändern, dass erst Kinder Zukunft eröffnen. Und das im wörtlichen und in jedem, überhaupt nur denkbaren Sinne. Kinder sind stets ein Zeichen für Hoffnung und Zukunft und daher auch stets ein Wagnis und ein Schritt in unbekanntes Land. Aber ohne Kinder wird es überhaupt keine gangbaren Wege in die Zukunft und damit auch kein Leben geben. Nach christlicher Überzeugung sind Kinder vor allem ein reicher Segen Gottes. Daher ist es nur natürlich, dass sich Jesus von Nazareth in seiner Verkündigung des Reiches Gottes nicht nur als Sympathisant des Lebens, sondern vor allem auch als Freund der Kinder zeigt. An diese gute und menschen- und kinderfreundliche Tradition wollen wir Kirchen gerne anknüpfen und wir möchten sie alle anstiften, sich davon anstecken zu lassen. Wenn dies gelingt, trug diese Woche wohl selten zuvor mit mehr Recht den Titel: Woche für das Leben!

Liebe Schwestern und Brüder, ob Sie nun politisch-gesellschaftliche Verantwortung tragen, an Entscheidungen in den Kommunen, im Land oder im Bund mitwirken; ob sie in entsprechenden Initiativen, in Kindergärten, Schulen oder anderen Einrichtungen engagiert sind, ob sie in Kultur, Medien oder auch in Sport und Freizeit aktiv sind: Nehmen Sie Titel und Impuls der diesjährigen Woche für das Leben mit in Ihr Handeln auf und lassen Sie sich anstecken. Gehen wir mit Kindern in die Zukunft! Programmatisch gesprochen: Kinderfreundlichkeit ist die nachhaltigste und effizienteste Zukunftspolitik. Mit dem Bild des Evangeliums gesagt: Sehen wir die Kinder mit ihren Möglichkeiten, denn da sind die Fische und Brote, die Zukunft möglich machen.

Das Evangelium zeigt uns, dass es gehen kann und dass das eigentlich nur so gehen kann, mit Kindern in die Zukunft zu gehen. Brechen wir auf!

Widerlegen wir auch durch unser Handeln jenen fatalen Filmtitel, dass es die Kinder sind, die bei Gott vergessen werden. Gerade nicht!

Amen.

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