Rottenburg, Dom St. Martin
Liebe Schwestern und Brüder,
am 11. Oktober 1962 hat Johannes XXIII. das Zweite Vatikanische Konzil eröffnet. Papst Benedikt hat am vergangenen Donnerstag, am 11. Oktober, 50 Jahre nach der Eröffnung dieses großen Konzils, das „Jahr des Glaubens“ in der katholischen Kirche weltweit offiziell eröffnet. Es wird bis zum Christkönigsfest des kommenden Jahres am 24. November 2013 dauern. Bereits vor einem Jahr, am 16. Oktober 2011, hat Benedikt XVI. dieses „Jahr des Glaubens“ angekündigt. Er lädt uns alle in seinem Eröffnungsschreiben „Porta Fide“, Tür des Glaubens, ein. Darin schreibt er, „den Weg des Glaubens wieder neu zu entdecken, um die Freude und die erneuerte Begeisterung der Begegnung mit Christus immer deutlicher zu Tage treten zu lassen“, und so der Krise des Glaubens in unseren Tagen entgegen zu wirken. Die Tür des Glaubens (vgl. Apg 14,27), so seine Worte, „die in das Leben der Gemeinschaft mit Gott führt, steht uns immer offen.“ Diese Türe wollen wir in unserer Diözese nun durchschreiten und in das „Jahr des Glaubens“ eintreten. Den Weg des Glaubens wollen wir in diesem kommenden Jahr wieder entdecken und uns neu erschließen lassen.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, suchende Menschen gibt es heute viele, ihnen in vielfältiger Weise den Glauben neu zu ermöglichen und anzubieten, darum geht es in diesem „Jahr des Glaubens“. Der Glaube sei verdampft, sei weggeschmolzen wie der Schnee, sagen manche. Bei einer Schriftstellerin habe ich gelesen, „der Glaube ist mir einfach entglitten“. Viele aber suchen nach einem Sinn im Leben, nach einem Sinn des Lebens, der über essen, schlafen, trinken, konsumieren, arbeiten und Geld verdienen hinausgeht. Wie erreichen wir Sinnsuche, wie gehen wir mit der Glaubenssehnsucht, die im Menschen lebendig ist, um? Sind Suchende Glaubenssehnsucht im Herzen Tragende?
Liebe Schwestern, liebe Brüder, das sind ja auch wir selbst! Zuallererst, meine ich, kommen wir solchen Menschen entgegen, indem wir Glauben als eine lebendige Beziehung zu Gott auch lebendig werden lassen. Wir erschließen erlebbar diese lebendige Beziehung zu Gott, aus der Hoffnung, Liebe und christlichen Tat. Glaube also zu erschließen als eine personale Beziehung zu Gott, als Liebe zu ihm, das feste Vertrauen auf sein Wort, das er uns in Christus gegeben hat, das zu erwecken, darum geht es. Und dann zeigt sich, wo das gelingt, wo das auch nur anfanghaft gelingt, dass der Glaube ein Weg zum Leben und zum Glück des Menschen ist. Und dass der Glaube schon, liebe Schwestern und Brüder, in sich ein Stück, ein Angeld der Seligkeit enthält, die er verheißt. Den Weg des Glaubens wieder zu entdecken, den Weg des Glaubens zu vertiefen, wie aber kann das geschehen? Glauben lernen können wir auf vielfache Weise. Indem wir miteinander die Liturgie feiern, in den Gebeten, auch in Texten des Glaubens, die wir uns erschließen lassen.
Aber, liebe Schwestern und Brüder, ich glaube, dass wir heute in unseren Tagen den Weg des Glaubens besonders wieder entdecken können und den Weg des Glaubens vertiefen können, durch Begegnung mit Zeugen des Glaubens. Papst Paul VI. schreibt 1975 in seinem großen Schreiben über die Verkündigung des Glaubens in der heutigen Zeit: „Der heutige Mensch hört lieber auf Zeugen als auf Lehrer. Und wenn er auf Gelehrte hört, dann weil sie Zeugen sind.“ (Papst Paul VI. 1975. Evangelii nuntiandi) So werden wir also einen besonderen Schwerpunkt setzen auf das Lernen des Glaubens von Glaubenszeugen, aus der Begegnung mit ihnen. So heißt dann auch die Überschrift über unser Jahr des Glaubens „Von Glaubenszeugen Glauben lernen“.
Eine solche Zeugin des Glaubens ist die Heilige Hildegard von Bingen. Am 7. Oktober hat Benedikt XVI. diese große Frau zur Kirchenlehrerin erhoben. Hildegard schreibt, die Gottvergessenheit befällt am meisten diejenigen Menschen, die im Dienst für Gott lahm geworden sind. Also die Christen selber, die so tun als ob. Sind wir da nicht selbst auch mit gemeint? Hildegard selbst lebte eine lebendige Gottesbeziehung. Sie hat Gott fast täglich und jede Nacht als wirkendes Feuer erlebt. Sie hat ihn in der Materie und im Nächsten wiedergefunden. Sie selbst bezeugt uns ein Wort, das sie uns überliefert, „Gott ist ewig und Ewigkeit ist Feuer, und das ist Gott“. Und Gott ist „kein verborgenes, kein schweigendes Feuer, sondern ein wirkendes Feuer. Der Heilige Geist ist Leben spendendes Leben. Beweger des Alls und Wurzel alles geschaffenen Seins, er tröstet uns. Er salbt unsere Wunden, so ist erleuchtetes Leben würdig des Lebens, auferweckend und wieder erweckend das All“. Soweit die Heilige Hildegard.
Kann nicht zum Beispiel durch das Zeugnis dieser wunderbaren Frau gelebter Glaube auch von uns neu erfahren werden? Und kann uns dadurch nicht der Weg des Glaubens von ihr neu erschlossen werden? Nicht umsonst beten wir in der Präfation der Heiligen, „durch das Zeugnis ihres Glaubens verleihst Du uns immer neu die Kraft, nach der Fülle des Heils zu streben“.
„Von Glaubenszeugen Glauben lernen“: so ist in unserer Diözese also das „Jahr des Glaubens“ zu verstehen. Und unsere Diözese, liebe Schwestern, liebe Brüder, ist reich gesegnet mit Glaubenszeugen. Sie wollen wir vergegenwärtigen in diesem Jahr. Ich möchte Sie auf dieses Programm hinweisen: „Von Glaubenszeugen Glauben lernen“. Am Ende des Gottesdienstes können Sie eines mitnehmen. Besonders hervorheben möchte ich in diesem „Jahr des Glaubens“ die Erinnerung an die großen Glaubenszeugen unserer Diözese. Im Gottesdienst und in vielen Veranstaltungen wollen wir sie uns wieder vergegenwärtigen. Zu diesen großen Zeugen des Glaubens gehören, ich kann nur einige Beispiele nennen, der aus Stuttgart stammende und hier im Dom zu Rottenburg zum Priester geweihte und vor 25 Jahren seliggesprochene Rupert Mayer. Zu diesen großen Zeugen des Glaubens gehört auch der Rottenburger Bekennerbischof Joannes Baptista Sproll, und der besonders im Raum Ellwangen als Missionar des Volkes verehrte Philipp Jeningen. Und der von den Nationalsozialisten hingerichtete württembergische Staatspräsident Eugen Bolz, der ja aus Rottenburg stammt. In St. Moriz hatte er seine Erstkommunion. Für Bischof Sproll und Eugen Bolz haben wir ja Seligsprechungsverfahren eingeleitet. Als Diözesanpatron genießt auch der Heilige Martin unsere besondere Aufmerksamkeit im „Jahr des Glaubens“. So führt unsere Diözesanwallfahrt im Frühjahr 2013 ins ungarische Szombathely, dem Geburtsort des Heiligen Martin. Und im Oktober des nächsten Jahres veranstaltet unsere Akademie einen großen internationalen Martinus-Kongress, zu dem auch alle europäischen Martins-Diözesen aus Deutschland, Frankreich, Österreich, Ungarn und Italien eingeladen sind. Und der seit letztem Jahr in unserer Diözese immerhin 1.200 Kilometer lange Martinsweg „Via Sancti Martini“ möge vielen Pilgerinnen und Pilgern die Gelegenheit geben, von diesem Heiligen, von unserem Diözesanpatron, zu erfahren und zu lernen, was missionarisches Christsein heißt. Die Gottesmutter Maria wird in besonderer Weise genannt werden, stellte doch Bischof Sproll seine Diözese in der NS-Zeit unter ihren Schutz. Bildhaft kommt diese Verehrung und Vergegenwärtigung am 25. November diesen Jahres zum Ausdruck, wenn wir die weltberühmte Stuppacher Madonna von Matthias Grünewald nach der Restaurierung des Gemäldes wieder zurückgeben an ihren alten Platz, nach Stuppach. Und auch darauf möchte ich noch eigens hinweisen: Wir haben in unserer Diözese engagierte, lebende, gottverbundene, menschennahe Zeugen des Glaubens. Im Schwabenverlag ist erst vor kurzem ein Buch erschienen: „Gelebter Glaube in 25 Porträts“.
Liebe Schwestern, liebe Brüder, ich lade alle Kirchengemeinden und die vielen Einrichtungen unserer Diözese ein, die einen Heiligen als Patron haben oder einen Glaubenszeugen, eine Glaubenszeugin als Namensgeber, sich im „Jahr des Glaubens“ mit diesen Gestalten lebendigen Glaubens besonders zu beschäftigen. Wir alle können von ihnen lernen, was das heißt, wie das geht, welche Wirkungen gelebter Gottesglaube, eine lebendige Gottesbeziehung hat. Unser christlicher Glaube an Gott wird dadurch verlebendigt. Und manch einer wird da und dort vielleicht neu entdecken, welches Geschenk es ist für das eigene Leben, in einer lebendigen Beziehung zu Gott zu leben.
Ich möchte Sie auch ganz konkret einladen, liebe Schwester, liebe Brüder, sich auf unserer Homepage drs.de über das „Jahr des Glaubens“ zu informieren. Alles, was in unserer Diözese geschieht, kann dort eingestellt und eingesehen werden, Sie werden vieles entdecken. Und manches, was Sie entdecken, wird Sie vielleicht locken, auch dorthin zu gehen, auch wenn es nicht in Ihren Gemeinden hier in Rottenburg geschieht.
So, liebe Schwestern, liebe Brüder, können viele Türen des Glaubens geöffnet werden, dass viele Menschen den Weg des Glaubens wiederentdecken und so die Freude und erneuerte Begeisterung der Begegnung mit Jesus Christus wächst. Die Tür des Glaubens (vgl. Apg 14, 27), die in das Leben der Gemeinschaft mit Gott führt, steht uns immer offen.
Und nicht zuletzt: Wir selbst sind als getaufte und gefirmte Christinnen und Christen einander Zeugen des Glaubens. Und wir sollen das auch sein. Verstecken wir uns nicht! Jesus selbst ruft uns dazu auf. Im heutigen Evangelium nach Matthäus sagt Jesus zu seinen Jüngern und Jüngerinnen: „Ihr seid das Licht der Welt. Eine Stadt, die auf dem Berg liegt, kann nicht verborgen bleiben. Man zündet auch nicht ein Licht an und stellt es unter den Scheffel, sondern man stellt es auf den Leuchter. So soll Euer Licht vor den Menschen leuchten, damit sie Eure guten Werke sehen und Euren Vater im Himmel loben“. (Mt 5, 14)
So wollen wir jetzt, liebe Schwestern, liebe Brüder, unseren Glauben bekennen und dann Fürbitte halten.
Amen