Rottenburg, Dom St. Martin
Liebe Schwestern und Brüder!
Wir feiern miteinander die Weihe von 7 Diakonen. Uns alle erfüllt dies mit großer Freude. Freude empfinden gewiss auch Sie, liebe zukünftige Diakone. Sie erreichen ja heute ein Ziel, auf das Sie seit langer Zeit zugehen. Und Freude herrscht heute in unserer ganzen Diözese über Sie und über Ihre Bereitschaft. Wir nehmen Sie mit großer Dankbarkeit als Diakone in Empfang! Ihr Ja zum Dienst in der Kirche wirkt wie ein Fels der Hoffnung in stürmischen Zeiten. Ihr Ja bestärkt uns alle im Glauben an den lebendigen Gott, der uns nahe ist.
Liebe Schwestern und Brüder! Unsere Weihekandidaten sind verschiedene Menschen. Sie arbeiten in verschiedenen Berufen. In ihren unterschiedlichen Lebenssituationen und Berufen hat sie Gottes Ruf erreicht. Und sie haben ihre Berufung erkannt und ihre Familien tragen diesen Weg unter Gottes Wort mit. Dafür möchte ich ihnen, liebe künftige Diakone, ihnen liebe Ehepartner und Familien unserer Diakone von Herzen danken.
Gott beruft wie zu allen Zeiten auch heute Menschen in seinen Dienst. Gott ruft auch heute nicht in eine echolose Nacht hinein: der Ruf, in seinen Dienst zu treten, erreicht Menschen: Gott verschafft sich Gehör in unseren Tagen, und Menschen antworten und lassen sich in seinen Dienst nehmen.
Liebe Schwestern und Brüder, dies zu erleben, macht mich zuversichtlich für die Zukunft. Zuversichtlich für den Gottesglauben in unserer Zeit. Zuversichtlich für die Menschen, die Beistand und Hilfe brauchen. Zuversichtlich auch für unsere Kirche: wir alle haben Zukunft durch Gottes Handeln an uns. So wächst durch Sie, liebe zukünftige Diakone, Hoffnung und Zuversicht unter uns! Noch bevor Sie Ihr Amt als Diakon ausüben, tun Sie an uns allen schon heute diesen Dienst: Sie geben Zeugnis für Gottes Wirken in unseren Tagen, in unserem Leben, in unserer Kirche und durch sie an den vielen Menschen, die uns brauchen.
Wie wirkt Gott für uns und wie wirkt er an den Menschen, zu denen Sie, liebe Weihekandidaten, gesandt werden? Eine Antwort auf diese uns alle bewegende Frage erhalten wir in den Worten der Lesung aus dem Buch Jesaja. Sie haben diese Stelle selbst ausgesucht. Hier gibt Gott preis, wer er für uns ist. Er vermeldet von sich selbst: „Ich, der ich in der Höhe wohne, ich bin auch bei den Zerschlagenen und Bedrückten.“ (Jes 57,15b). Gott ist bei den Zerschlagenen und Bedrückten! Der Höchste ist nicht bei den Hohen und Edlen in den oberen Rängen oder auf den vordersten Plätzen; der Höchste ist bei denen, die ganz unten sind, bei den Niederen, bei denen mit verletzten Herzen und verwundeten Seelen, bei den Schwachen und Deprimierten, auch bei denen, die sich verirrt haben und schuldig geworden sind, ja bei denen, die sich an Gott und Mensch versündigt haben. – Die Schwachen und Armen von heute, die Verletzten und Verwundeten in unserer Zeit, die Niederen unserer Gesellschaft haben andere Gesichter als zur Zeit des Propheten Jesaja. Aber die Botschaft an sie ist die gleiche geblieben: gerade bei euch bin ich, wo mich niemand vermutet – verkündet der Höchste.
Und diese überraschende Botschaft geht noch weiter. Der Höchste ist nicht einfach bei ihnen, den Niedersten. Gott ist ihnen nahe, um, wie es bei Jesaja weiter heißt: um den Geist der Bedrückten wieder aufleben zu lassen und das Herz der Zerschlagenen neu zu beleben. Gott will diese Menschen „heilen und führen und wiederum trösten. Friede den Fernen und den Nahen, ich werde sie heilen.“ (Jes 57,18b.19) So schließt diese wunderbare Lesung von heute. Den Bedrückten und Zerschlagenen nahe sein ist ihm kein Selbstzweck. Sein Nahesein hat den Sinn, gerade sie zu trösten und sie zu heilen. Gottes Nähe heilt, was verwundet ist.
Diese Gottesdynamik erleben wir nicht nur in der heutigen Lesung aus Jesaja. Diese Gottesdynamik zieht sich wie der rote Faden, wie der Generalton, durch die ganze Geschichte Gottes mit seinem Volk: In den heiligen Schriften der Bibel wird uns dies bezeugt. Den Höhepunkt erreicht diese Dramatik in Jesus Christus selbst.
Liebe Schwestern und Brüder, in Jesus, den wir als Gottes Sohn bekennen, in ihm wird dieser Gott für die Niederen Fleisch und Blut. Von ihm heißt es: er war Gott, dem Höchsten, gleich und erniedrigte sich für die Menschen (vgl. Phil 2,7). In Jesus nimmt das, was uns Jesaja über Gott berichtet, leibhafte Gestalt an. Wie keiner und niemand vor ihm wendet Jesus sich den Bedrückten und Zerschlagenen zu. Und sie kommen von überall her zu ihm: die armen, die unfeinen und ungebildeten Leute, die traurigen und hoffnungslos gescheiterten, die kranken und geplagten Leute aller Arten, auch die, die sich verfehlt hatten und verurteilt wurden, sie suchen ihn auf, suchen seine Nähe und er schenkt sie ihnen. Ja noch mehr, Jesus geht auf sie zu, kommt ihnen nahe, den auf ihre fixen Ideen Versessenen, den Verirrten geht er nach, ja, die Sünder verwandelt er durch seine Nähe.
Liebe Weihekandidaten, ihre Berufung und Bereitschaft, sich von Jesus Christus rufen zu lassen, führt in diese Spur Jesu. So wie er wollen sie sein und handeln.
Wer sich von Christus bestimmen lässt, der nimmt an ihm und seinem Leben Maß: an Jesus Christus, der von sich selbst sagt: „Ich bin mitten unter euch wie der, der bedient“: Wie der, der bedient, wie der Dienende, wie der Diakon. (hos ho diakonon - Lk 22,27) Der Diakon lässt sich in den Dienst der Menschen nehmen wie Jesus Christus. In seinem christlichen Leben und Handeln vergegenwärtigt der Diakon den dienenden Christus. Das ist die Würde des Amtes des Diakons, zu dem sie geweiht werden.
Dieses Dienen des Diakons freilich hat nichts mit Unterwürfigkeit zu tun, vielmehr mit Frei-Mut und Groß-Mut. Dieses Dienen bedeutet, das eigene Leben entschlossen den Menschen zuzukehren. Seien Sie, liebe Diakone, darin freimütig und großmütig. Denen, die es nötig haben, dass einer sich ihnen zuwendet, bei ihnen ist und ihnen seinen nachhaltigen Beistand schenkt. „Seid Ihr bereit, den Armen und Kranken beizustehen und den Heimatlosen und Notleidenden zu helfen?“ so werde ich Sie nachher fragen. Und jeder von Ihnen wird antworten: „Ich bin bereit.“ - Solches Dienen fordert, mutig seine Stimme zu erheben, wo Menschen arm gemacht werden, wo sie Verletzungen erfahren, ihrer Heimat beraubt oder in seelische Not gestürzt werden. Solches Dienen heißt: ‚den Zerschlagenen und Bedrückten nahe zu sein und ihren Geist wieder aufleben zu lassen und ihr Herz wieder neu zu beleben.’ Solches Dienen dient dem Leben des Menschen, überall dort, wo er am schutzlosesten und am bedrohtesten ist. - Zu solchem Dienen gehört Mut, innere Kraft und an Christus gebundene Unabhängigkeit: Sich einsetzen für Andere in Not mit ganzem Herzen, aber kundig und klug, – möglicherweise zum eigenen Nachteil... das heißt Diakon sein.
Liebe Schwestern und Brüder, der Wiederentdeckung des Berufs des Diakons im zweiten Vatikanischen Konzil geht die Wiederentdeckung der Zuwendung zum Menschen in Not und Bedrängnis voraus wie Jesus sie uns vorgelebt hat. Dort, wo sie, liebe künftige Diakone, sich den Zerschlagenen und Bedrückten zuwenden und ihnen heilsam nahe sind, dort werden sie in ihrem Diakonendienst, ja in ihrer Person als Diakon zum lebendigen „Brief Christi, geschrieben mit dem Geist des lebendigen Gottes.“ (2 Kor 3,3), ein Brief Christi, den alle verstehen, weil leibhaftig erfahrbar und heilsam für alle.
Die Menschen von heute haben ein feines Gespür dafür, ob wir Christen bei der Sache der Kirche sind, die nichts als die Sache Gottes sein kann. Und die Sache Gottes ist es, bei den Zerschlagenen und Bedrückten zu sein und sie zu heilen. Nicht umsonst stehen die Dienste der Caritas, das diakonische Handeln unserer Kirche in hohem Ansehen bei den Menschen unserer Gesellschaft.
In einer Zeit, die immer mehr großen Erfolg und Höchstleistung anbetet, in der die Gewinner bewundert und die Verlierer verlacht werden, verkörpert der Diakon den Vorrang des Dienstes und der Liebe zu den Verlierern, zu den Schwachen, den Notleidenden und an den Rand gedrängten, zu den Zerschlagenen und Bedrückten. Diakonie, Dienst am geschundenen Menschen nach dem Bild und Gleichnis Jesu Christi, wird so zum notwendenden Beitrag zur Vermenschlichung unserer Gesellschaft. Hier sind wir als Kirche die heilsame, weil humane Alternative: wir wenden uns denen zu, die menschliche Solidarität brauchen und wir verkünden darin und dadurch den Gott, der sich uns in den heiligen Schriften der Bibel als Gott der Zerschlagenen und Bedrückten geoffenbart hat.
Solches Dienen macht unser Zusammenleben menschlich und das Miteinander barmherzig und das eigene Leben liebenswert. Sie, liebe zukünftige Diakone, werden in Gottes Namen mitarbeiten am Erhalt und an der Entfaltung einer menschlichen Welt, die wir ohne den barmherzigen Gott verspielen werden. Von einem großen Heiligen unserer Kirche stammt das Wort: „Erbarmen ist das Innerste Wesen Gottes“ (Vinzenz von Paul). Die Lesung aus Jesaja und die Menschwerdung Gottes in Jesus verkünden und verleiblichen dieses Wort.
Tragen sie, liebe zukünftige Diakone, an ihrem Arbeitsplatz, in den Kirchengemeinden, in denen sie leben, in der Verkündigung und in dem, was sie tun, diesen barmherzigen Gott, den wir alle im dienenden Christus erkannt haben, in die Lebenszusammenhänge unserer Zeit hinein.
Sie können sich diesem großen Ruf Gottes mutig stellen, weil auch ihnen die Zusage der heilsamen Nähe Gottes gilt, besonders dort, wo sie sich selbst zerschlagen und bedrückt fühlen. Gott ist mit seiner barmherzigen Liebe uns allen und zu jeder Stunde nahe.
Amen.