Bischof Dr. Gebhard Fürst: Rede beim Priesterseniorentag 2009

Rottenburg

Liebe Mitbrüder im Priesteramt,

das Jahr 2009 wurde vielfach als Darwinjahr ausgerufen. Vor 200 Jahren, am 12. Februar 1809, wurde Charles Darwin geboren. Zudem veröffentlichte Darwin sein zentrales Werk ‚Über die Entstehung der Arten durch natürliche Auslese’ im November 1859, also vor 150 Jahren. Das soll auch für mich Anlass sein, Ihnen einige Gedanken vorzustellen, zumal ich überzeugt bin, dass die Themen, die damit im Zusammenhang stehen, uns als Kirche vehement betreffen und herausfordern: der neue Atheismus, Gottesleugnung und Verunglimpfung der Religion und auch Kampf gegen unsere Kirche. Dies ist der zeitgenössische Hintergrund unserer geistigen Situation, in der wir als Kirche leben und unseren Glauben verkünden.

I. Der Hintergrund

Machen wir uns kurz klar: Darwins Theorie war eine Antwort auf die zu seiner Zeit in der Luft liegende Frage nach der Konstanz oder Veränderlichkeit der Arten. Zu deren Erklärung müsste keine Theologie herangezogen werden. Die Lebewesen könnten gleich gut veränderlich wie unveränderlich von Gott geschaffen sein, oder eben nicht. Was die Frage von allem Anfang theologisch brisant machte, hat mit unserem Staunen vor der ungeheuren Vielfalt und Komplexität der Organismen zu tun.

2009 also ein Darwin-Jahr? Nochmals provokativ nachgefragt: Wir sollen explizit feiern, als Menschen vom Affen abzustammen? Ein „Evolutionsfeiertag“ solle Christi Himmelfahrt ersetzen, fordert die Giordano-Bruno-Stiftung anlässlich des Darwin-Jahres. Denn der Staat, so die Bruno-Stiftung, müsse die Konfessionslosen, deren Zahl die der Katholiken oder Protestanten in Deutschland jeweils übersteige, bei den Feiertagen gleichberechtigt berücksichtigen.

Christi Himmelfahrt per Gesetz durch den Evolutionsfeiertag zu ersetzen sei ein - wohlgemerkt: erster - Schritt in diese Richtung. Die organisierte Konfessionslosigkeit zieht es in den öffentlichen Raum. Aus einem latent und unterschwellig vorhandenen und weithin akzeptierten Agnostizismus ist ein offensiv und selbstbewusst auftretender und sich inszenierender ‚neuer Atheismus’ geworden.

Das Jahr 2009 wird wohl die Auseinandersetzung um die Frage Darwinismus und Schöpfungsglaube verschärfen. Mit der Ablehnung des Schöpfungsglaubens geht auch die Bestreitung Gottes einher. Der Darwinismus liefert vielen das Argumentationsmaterial für die atheistische Position, Gott existiere nicht. Vereinfacht wird z.B. gesagt: Der Mensch hat sich aus dem Tierreich entwickelt, also braucht es keinen Schöpfer, überhaupt entstehe und entwickle sich das Leben aus sich selbst.

Nun ist aber aufgrund der Erforschung der Gene des Menschen eine neue Situation entstanden. Joachim Bauer - um nur ein Beispiel zu nennen - stellt in seinem Buch ‚Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus’[1], fest: „Nachdem das Erbgut des Menschen und anderer Spezies vollständig entschlüsselt werden konnte, vollzieht sich in der Biologie eine Revolution des Denkens. Lange gepflegte darwinistische Dogmen erweisen sich als unhaltbar.“ [2]

Nach Ansicht der modernen Genetik benötigt der Darwinismus Ergänzungen oder Erweiterungen. Sowohl Natur- als auch Geisteswissenschaftler sind sich allerdings darüber einig, dass weder die Tatsache der Evolution noch die darwinistische Interpretation auf Fragen nach dem Sinn beschriebener Ereignisse Antworten geben können, ja, sie wollen es nicht einmal. Denn Fragen über Sinn und Bedeutung einer Entwicklung liegen ausdrücklich jenseits des Bereichs der Naturwissenschaften.[3]

Von daher lässt sich durchaus sagen: Die Vorstellung von der Evolution als Erklärungstheorie zur Entstehung des Lebens ist grundsätzlich mit der Bibel und der kirchlichen Lehre vereinbar, da es sich dabei um zwei Sichtweisen auf ein Geschehen handelt: einerseits um die naturwissenschaftliche Erklärung, andererseits um die theologische Deutung der Weltentstehung.

II. Evolutionstheorie und Kreationismus – eine Gegenüberstellung

Es wurde immer wieder versucht, theologische Schöpfungsaussagen unmittelbar an die Weltbeschreibungen der Evolutionstheorie anzuschließen und ihnen so zu einer größeren, dem naturwissenschaftlichen Denken entliehenen Wirklichkeitsnähe zu verhelfen. Der vor allem in Amerika existierende Kreationismus etabliert solche Gedanken durchaus auch in der Gegenwart: Der Kreationismus ist die Auffassung, dass die wörtliche Interpretation der Heiligen Schrift die tatsächliche Entstehung von Leben und Universum beschreibt. Beides wird hier durch den unmittelbaren Eingriff eines Schöpfergottes in natürliche Vorgänge erklärt. Dass daraus die Ansicht hervorgeht, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse im Widerspruch stehen zu einer wörtlichen Interpretation der Bibel und somit mit dem Glauben unvereinbar sind, ergibt sich daraus beinahe von selbst. Aber es geht doch vielmehr darum zu verstehen, dass biblische Schöpfungsaussagen keine protokollartigen Berichte über den Entstehungsvorgang der Welt sind, sondern ursächliche Sinndeutungen mit Wahrheitsanspruch.

Selbstverständlich: Es fällt in die Kompetenz der Naturwissenschaften zu erklären, wie die Welt entstanden ist; auf dieser Ebene lassen sich aus dem biblischen Schöpfungsglauben und dem theologischen Schöpfungsbegriff keine direkten, faktischen Aussagen ableiten, die in Konkurrenz zu ihnen treten könnten.

Die theologische Schöpfungslehre fragt dagegen, warum überhaupt etwas ist; den Schöpfungsaussagen der Bibel geht es nicht um eine Beschreibung des Wie, sondern um ein grundlegendes Verständnis für das Dass des Seins.

Versuche, beide Denk- und Sprachwelten zusammen zu zwingen, übersehen etwas ganz Grundlegendes: Der biblische Schöpfungsglaube beansprucht Wahrheit und objektive Geltung auf eine andere Art, eben in der Form des religiösen Bekenntnisses und der theologischen Reflexion, ohne dass er damit den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen einbüßen würde.

Der persönliche Glaube muss also durch die Erkenntnisse der Evolutionstheorie nicht in Frage gestellt werden, da es sich um zwei unterschiedliche Erkenntniswege handelt. Sie bereichern sich gegenseitig. Wichtig und ausschlaggebend ist ein vorurteilsfreier und ideologiefreier Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie, da es sich bei der Evolutionstheorie und dem Glauben um zwei Sichtweisen auf dieselbe Wirklichkeit handelt. Die Aussagen der Evolutionslehre wie auch konkret die großartigen Erkenntnisse von Charles Darwin zur Entstehung des Artenreichtums müssen mitnichten als Absage an den Schöpfungsglauben gesehen werden. Richtig verstanden kann uns eine vertiefte Kenntnis der Evolutionsgeschichte mit all ihren großartigen und staunenswerten Seitenpfaden einführen in die Großartigkeit der Schöpfungsmacht Gottes. Ein Theologe wie der Jesuit Pierre Teilhard de Chardin hat darin in den 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts immer wieder eindrückliche Überlegungen zu angestellt. Er wurde seinerzeit dafür von vielen belächelt und auch innerhalb der Kirche durchaus angegriffen. Zwischenzeitlich aber sind seine Erkenntnisse weithin anerkannt:

Nach der in der katholischen wissenschaftlichen Theologie herrschenden Überzeugung besteht zwischen Evolution und Schöpfung kein Gegensatz.

Gott kann eine Welt geschaffen haben, welche die Fähigkeit besitzt, sich zu verändern und sich nach natürlichen Ursachen zu entwickeln. Pierre Teilhard de Chardin formuliert: „Gott lässt die Dinge sich machen“. Im letzten bedeutet dies ein kontinuierlich weitergehendes Schöpfungsgeschehen. Das Dasein entwickelt sich und es ist da, weil es geschaffen worden ist. Wie es Papst Johannes Paul II. bei einem einschlägigen Symposion formulierte: „Recht verstandener Schöpfungsglaube und recht verstandene Evolutionslehre stehen sich nicht im Wege: Evolution setzt Schöpfung voraus: Schöpfung stellt sich im Licht der Evolution als ein zeitlich erstrecktes Geschehen – als creatio continua – dar, in dem Gott als der ‚Schöpfer des Himmels und der Erde’ den Augen des Glaubens sichtbar wird.“[4]

III. Darwinismus und der ‚neue Atheismus’

Aber damit komme ich zu meinem eigentlichen Punkt und möchte auf eine Dimension in dieser argumentativ zu führenden Auseinandersetzung aufmerksam machen, die uns in den kommenden Jahren vermutlich vermehrt beschäftigen muss. Es ist der sich auf Naturwissenschaft berufende und gegenwärtig besonders mit Evolutions-Biologie angereicherte neue Atheismus. Denn es ist nötig, dass wir uns im Zusammenhang mit den Fragen des Darwinismus auch mit einem in letzter Zeit aggressiver werdenden Atheismus beschäftigen.

Denn teilweise ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, dass einige Organisationen wie etwa die Giordano-Bruno-Gesellschaft oder die sogenannte Humanistische Union das Darwinjahr nur als Vehikel benutzen, um ihre Thesen auf offensiv-werbende und teilweise auch auf subtil-aggressive Art in die Gesellschaft hineinzutragen. Und darum gilt es für uns, hier sehr wachsam zu sein, zur notwendigen Klärung und Unterscheidung der Geister beizutragen und selbst offensiv Stellung zu beziehen.

Die früher selbstverständliche Stellung der Kirche in der Gesellschaft ist schwächer geworden. Der Atheismus in der Form des Neoatheismus gewinnt an Stärke, eine Form des kämpferisch-aggressiven Atheismus nimmt wieder mehr Raum ein in Öffentlichkeit und Gesellschaft.

Als Beispiele möchte ich jenes skandalös-infame Buch des sich selbst atheistischen Philosophen bezeichnenden Autors Michael Schmidt-Salomon nennen mit dem Titel ‚Wo bitte geht’s zu Gott?, fragte das kleine Ferkel: Ein Buch für alle, die sich nichts vormachen lassen’. Worum geht es in ‚Wo bitte geht's zu Gott?, fragte das kleine Ferkel’?

Ein zweites Beispiel: In vielen Zeitungsberichten waren Bilder jener Omnibusse zu sehen, die durch mehrere europäische Großstädten fahren und in provokativer Weise Aufmerksamkeit erheischen mit der Aufschrift: "Es gibt wahrscheinlich keinen Gott. Nun höre auf, dir deswegen Sorgen zu machen und genieße dein Leben."

Zwei Beispiele, andere mehr ließen sich finden. Was aber steckt dahinter?

Eines der wichtigsten Argumente der Religionskritiker ist es, den Gottesglauben aus einem Bedürfnis des Menschen heraus zu erklären. Es gibt vital-biologische Bedürfnisse, für die man Gott nicht braucht. Aber es gibt eben – so wie man Hunger und Durst hat – auch metaphysisch-existentielle Bedürfnisse wie etwa nach Begründungen des Guten, die Suche nach Sinn, oder eine Sehnsucht nach etwas, was alles übersteigt und von nichts in dieser Welt gestillt werden kann.

Dieses Denkmuster des nach menschlichen Bedürfnissen geschaffenen Gottes (schon von Ludwig Feuerbach her bekannt, doch auch schon aus der antiken Polemik gegen den Götterglauben) begegnet heute wieder bei Richard Dawkins und dem gegenwärtigen, aus Amerika und England kommenden „Neuen Atheismus“. Richard Dawkins’ Streitschrift „Der Gotteswahn“ ergeht sich in einer Polemik, die kein Klischee auslässt und ersichtlich darauf zielt, eine religiöse Leserschaft zu provozieren mit der These, dass der, der da als Weltengrund und Ursprung allen Daseins geglaubt werde, in Wahrheit ein unaufgeklärtes Hirngespinst sei. Dawkins ist an der Praxis der Religion interessiert, also zum Beispiel auch an der Frage, warum sie so verbreitet ist. Zur Beantwortung dieser Frage greift er nun interessanterweise auf Charles Darwin und erklärt den erstaunlicherweise immer noch allgegenwärtigen Glauben an Gott als evolutionäres Nebenprodukt. Religiöse Gedanken sind für Dawkins nicht mehr als mentale Viren, die sich ähnlich einem Computervirus von Gehirn zu Gehirn verbreiten. Die Kindern vermittelte religiöse Erziehung bezeichnet er dabei gar als geistigen Kindesmissbrauch. Aus infantilen Bedürfnissen entspringe andererseits die Erfindung eines Gottes, der eben genau diese Bedürfnisse befriedige. Hunger beweise aber nicht die Existenz von Brot; Durst beweise nicht, dass es so etwas wie Wasser geben müsse.

Aber – so muss man gleich zurückragen – gilt nicht auch umgekehrt: Warum haben wir denn Hunger, wenn es keine Sättigung gäbe? Oder Durst, wenn es dafür keine Abhilfe in Gestalt von Wasser gäbe? Große Zeitungen sprachen von „säkularem Fundamentalismus“, nannten Dawkins einen „biologische(n) Hassprediger“, „Der Spiegel“ sah einen „Kreuzzug der Gottlosen“ in Gang gekommen. Dawkins versucht sich mit dem Instrumentar einer biologistischen Sprache an einer Destruktion alles Religiösen, insbesondere des Gottesglaubens.

Religion ist für ihn einst als Instrument des Überlebenskampfes entstanden zur Förderung und Stärkung des Vertrauens in die Vorgaben von erfahrenen Anderen. Aber durch den Fortgang der Evolution sei sie längst zu einem irrelevanten Nebenprodukt abgesunken: Werde sie nicht als solche entzaubert, dann bleibe sie sozusagen seelisch hängen und mache für Leichtgläubigkeit anfällig – und genau das werde von Religionsführern ausgenutzt. Ein neuer, zelotisch verschärfter Ton ist im Streit um den Gottesglauben hörbar geworden. Missionarische Atheisten fühlen sich berufen, den verbreiteten ‚Gotteswahn’ zu bekämpfen und eine regelrechte Gegenkirche der soziobiologisch Aufgeklärten zu etablieren. Sie verkaufen die Entmythologisierung der biblischen Erzählungen als Sensation, als habe es historisch-kritische Bibelwissenschaft bisher noch nicht gegeben.

Der Schöpfungsbericht wird – interessanterweise im Ansatz wie bei den Kreationisten – als Theorie der Weltentstehung genommen, um dann umso effektvoller demontiert zu werden.

Nebenbei bemerkt: Offenkundig merkt Dawkins dabei gar nicht, dass er durch seinen platten Reduktionismus eine enge Koalition gerade mit seinen Hassgegnern, den Kreationisten, eingeht und wie diese (freilich seitenverkehrt) die Differenz von Wissen und Glauben kassiert, indem er seine biologistischen Vergleiche zu einer antitheistischen Konfession aufbläht.

IV. Theorieansätze, die die Grundlagen unserer Gesellschaft betreffen

Hierbei geht es jedoch bei weitem nicht nur um eine theoretische Diskussion, die uns als Kirche zwar betrifft, die wir aber insgesamt eher den Fachwissenschaftlern und Universitäten überlassen könnten. Denn die Offensive des neuen Atheismus verändert das Klima, ja die Grundorientierungen in unserer Gesellschaft insgesamt.

In seiner Bestreitung Gottes höhlt der Atheismus auch den Geltungsanspruch der Gebote Gottes für den Menschen aus. Ich bin überzeugt, dass die moralisch handelnde Persönlichkeit, das auf Ethos und Moral basierte Zusammenleben und die auf Ethos und Moral basierende Verantwortung von Menschen ins Wanken geraten, wenn die Gottesfrage existentiell negativ beantwortet wird. Dass es keinen Gott gibt, gegenüber dem man letztlich Verantwortung zu tragen hat und vor dem man sich letztlich verantworten muss, diese mit steigender Aggressivität vorgetragene Überzeugung nimmt in den letzten Jahren zu. Die Bestreitung Gottes ist letztlich eine Kampfansage auch an eine alle bindende Moral. Und auch eine Kampfansage gegenüber dem in der Präambel unseres Grundgesetzes festgeschriebenen Grundsatz, die Verfassung unseres Gemeinwesens und seine Gestaltung stehe ‚in Verantwortung vor Gott und den Menschen’.

Die neuen Atheisten schwanken zwischen rationalem Skeptizismus und genießerischem Hedonismus. Der Evolutionstheorie einen Zug ins Frivole zu geben ist Teil des Programms. Denn die diesseitige Verheißung des Neuheidentums lautet: schrankenloses Glück durch Hedonismus. Das atheistische Credo heißt: Jeder soll nach seiner Fasson selig werden; Hauptsache, er versucht es ohne Gott.

Äußerungen des schon zitierten Philosophen, Michael Schmidt-Salomon, mögen das unterstreichen. Dieser ist Vorsitzender der sogenannten Giordano-Bruno-Stiftung, die dem neuen Atheismus eine politische Lobby verschaffen will.

Nebenbei bemerkt: Giordano-Bruno-Stiftung ist dafür ein kühner Name, wenn man die tiefe Frömmigkeit ihres Namensgebers bedenkt, der Gott überall finden wollte – im Unterschied zu den neuen Atheisten, für die er ja nirgends existiert. Schmidt-Salomon jedenfalls führte in einem Interview aus: Der „neue Atheismus“ sei lediglich der „Vorbote eines grundlegenden Veränderungsprozesses, die religionskritische Spitze eines weltanschaulichen Eisberges“ gewesen. Es gehe ihm und seinen Mitstreitern um viel mehr: um eine neue Ethik, einen „neuen Humanismus“. „Wir müssen uns unsere ethischen Werte selbst geben, im Gespräch miteinander, das ist nicht von oben herab zu diktieren.“ Soweit diese Äußerungen, die zeigen, wohin die Reise gehen soll. Das Jahr 2009 als Doppeljubiläum für Darwin ist da nur ein willkommener Aufhänger, um auf dem Weg jenes ‚neuen Atheismus’ Schritte voranzukommen.

Mir ist hierbei noch eine Überlegung wichtig, die mich sehr beschäftigt: Könnte es nicht sein, dass die zunehmende Entwicklung in unserer Gesellschaft alle Lebensbereiche unter den Maximen einer bedingungslosen Ökonomisierung zu betrachten und beurteilen, letztlich hier ihren insgeheimen ideologischen Hintergrund hat? Dass Wirtschaft und Banken ihre Grundregeln aus der Welt der Ökonomie schöpfen, mag noch nachvollziehbar sein. Wobei ja auch hier im letzten Jahr deutlich zu spüren war, wohin und in welche Abwege dieser Weg führt. Aber dass auch im sozialen Bereich, in den Fragen der Menschenwürde am Beginn und am Ende des Lebens, bei den Entscheidungen in der Biomedizin etc. stets der Maßstab bedingungsloser Ökonomisierung gelten soll, lässt mich sehr besorgt in die Zukunft unserer Gesellschaft schauen.

Der neue offensive Atheismus fordert Christen heraus, Rechenschaft zu geben von ihrem Glauben.

Christen müssen hellwach werden und Strömungen, die unsere Zeit bestimmen oder zu beeinflussen versuchen, aktiv zur Kenntnis nehmen und ihre eigene Glaubensüberzeugung offensiv vertreten. Das ist ein weites Feld. Schon das Zweite Vatikanische Konzil schrieb in der Pastoralkonstitution Gaudium et spes zur Eröffnung seiner Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Atheismus. „Zum Gespräch mit Gott wird der Mensch schon von seinem Ursprung her eingeladen: er existiert nämlich nur, weil er, von Gott aus Liebe geschaffen, immer aus Liebe erhalten wird; und er lebt nicht voll gemäß der Wahrheit, wenn er diese Liebe nicht frei anerkennt und sich seinem Schöpfer anvertraut. Viele von unseren Zeitgenossen durchschauen jedoch diese innigste und lebendige Verbindung mit Gott überhaupt nicht oder verwerfen sie ausdrücklich, so dass der Atheismus zu den ernstesten Gegebenheiten dieser Zeit zu zählen und einer sorgfältigeren Prüfung zu unterziehen ist.“ (GS 19)

Stellen wir uns dieser Herausforderung – heute mehr denn je. Und stellen wir offensiv unsererseits Rückfragen an vermeintliche Selbstverständlichkeiten, die sich dann sehr bald als brüchige Konstrukte ideologischer Welten entlarven. Denn eine naturalistische Weltdeutung müsste erklären, woher eigentlich diese metaphysischen Bedürfnisse des Menschen kommen. Die moderne Forschung zeigt, dass der Mensch dank der hochkomplexen Beschaffenheit seines Gehirns so etwas wie eine andere Dimension – über alles Erfahrbare hinaus – zu denken in der Lage ist, also nicht nur etwas sinnlich zu erfassen, sondern auch rationalbegrifflich über sich hinaus zu fragen. Warum bringt die Evolution ein solch komplexes Gebilde wie den Menschen hervor mit einem unbändigen Durst nach Gerechtigkeit, nach Erfüllung, nach Sinn? Ob sich das alles mit Neuronenverknüpfungen erklären lässt? Ich habe schon Erklärungen der religiösen Anlage im Menschen gehört, die darin einen Evolutionsvorteil für die Hominiden erblickten.

Religion mache eben „fitter“ für den gemeinsamen Kampf gegen Feinde und garantiere der Horde eine bessere Überlebensstrategie. Das halte ich freilich für sehr fragwürdige Erklärungsmuster. Oder hat das Augustinuswort eben doch eine innere Evidenz: „Du, Gott, hast uns auf dich hin erschaffen, und ruhelos ist unser Herz, bis es seinen Halt findet in dir!“

V. Abschluss

Ich habe in meinen Überlegungen bewusst den Atheismus und den Darwinismus verbunden. Denn der Atheismus, das im Darwinismus als innere Dynamik formulierte Gesetz, nach dem der Stärkere überlebt, mutiert heute leicht zum Sozialdarwinismus (das Schwache hat gegenüber dem Stärkeren kein Recht) und zum Wirtschaftsdarwinismus (Unternehmen sind wie Individuen: im Kampf ums Dasein muss Schwäche dem Untergang geweiht sein), zu einer zunehmenden Ökonomisierung, die sich selbst als höchste Meßlatte ansetzt. Dann ist unter Suspendierung der Moral auch das innere Movens des gesellschaftlichen Zusammenlebens und des Wirtschaftslebens das Recht des Stärkeren mit allen Konsequenzen. Der Kampf ums Dasein und das Recht des Stärkeren kann schließlich Menschen, die in der Dynamik der Evolution denken, zu Positionen führen, die der Friedrich Nietzsches nahestehen: „Man soll das Schwache und Kranke noch stoßen, dass es falle.“[5] Im praktischen Sozialdarwinismus wäre dann das Recht des Stärkeren - das darwinistische ‚survival of the fittest’ - legitimiert als Natur-Gesetz. Mit der Menschenwürde und den Grundrechten der Menschen ist dies unvereinbar.

Ich schließe mit dem Hinweis auf den französischen Mathematiker und Denker Blaise Pascal. Er hat, wie er bekennt, „in den endlosen Räumen des Weltalls keine Hinweise auf Gott mehr gefunden und in der Natur nur zweideutige Zeichen. Von Zweifeln geplagt, verharrte er nachts in einer Pariser Kirche, zwei Stunden lang, meditativ versunken, und da wird ihm eine Schlüsselerfahrung zuteil. Auf dem Zettel, der nach seinem Tod in seinem Rock eingenäht entdeckt wurde, steht dazu:

„Etwa eine halbe Stunde nach Mitternacht FEUER. Gott Abrahams ..., nicht ... der Gelehrten. Gewissheit, Gewissheit, Empfindung, Freude, Friede. Gott Jesu Christi ... Vergessen der Welt und aller Dinge. Ausgenommen Gott ... Möge ich nie von ihm getrennt sein.“

Es ist auffällig, dass Pascal gerade dieses „Memorial“ für sich behalten hat. In seinen zur Veröffentlichung bestimmten Notizen findet diese Schlüsselerfahrung keine Erwähnung, da wird argumentiert (z. B. mit der Wette). Pascal wusste eben, dass die Erfahrung des lebendigen Gottes etwas anderes ist, als unser Verstand begreifen kann. Doch das steht in den Pensees: „Es ist das Herz (d. h. das Tief-Innerste), das Gott spürt, nicht die raison ... Das Herz hat seine Gründe, die die raison nicht kennt“ (Fragm. 277f).

Unser Glaube hat wohl doch recht: Gott zu erkennen ist Gnade. Doch wenn sie uns geschenkt ist, braucht man dabei seinen Verstand keineswegs abzugeben. Wir sind jedoch herausgefordert, unseren Glauben mit den guten Argumenten, die für ihn sprechen, auch gegenüber den Herausforderungen der Gegenwart offensiv zu verteidigen. Mit guten Gründen.

 

 

[1] Joachim Bauer, Das kooperative Gen. Abschied vom Darwinismus, Hamburg 2008.

[2] Ebd. Klappentext.

[3] Vgl. zu diesem Themenkomplex instruktiv und fächerübergreifend: Klose, Joachim; Oehler, Jochen (Hrsg.), Gott oder Darwin? Vernünftiges Reden über Schöpfung und Evolution, Berlin 2008.

[4] Johannes Paul II., Evolution und Glaube. Ansprache beim internationalen Symposion ‚Christlicher Glaube und Evolutionstheorie’, 26.4.1985.

 

[5] Wörtlich: „Das Alles von Heute – das fällt, das verfällt: wer wollte es halten! Aber ich – ich will es noch stossen.“ Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra Teil III, Von alten und neuen Tafeln 20., zit. nach: Sämtliche Werke Kritische Studienausgabe, Band VI 1, Berlin 1967, 258.

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