Bischof Dr. Gebhard Fürst: Sterben in Würde – Ethische Fragestellungen zum Umgang mit Schwerstkranken

Forum für Führungskräfte – Heilbronn, 28. Oktober 2015

Sehr geehrter Herr Prof. Hennersdorf,
sehr geehrter Herr Dr. Brendle,
sehr geehrte Damen und Herren!

Ich freue mich sehr, heute Abend mit Ihnen über ein ebenso brisantes wie sensibles Thema sprechen zu können; ein Thema, das Sie als Mediziner sowie Ethiker und Theologen gleichermaßen herausfordert; ein Thema, das – wie kein anderes – unser Menschsein, unser Menschenbild und die Frage nach der menschlichen Würde ganz grundsätzlich auf den Prüfstand stellt. Es geht um die Frage, wie wir die Menschen am Ende ihres Lebens und im Prozess des Sterbens angemessen begleiten können.

Das Bewusstsein über die Begrenztheit des Lebens

Die ethischen Fragestellungen nach dem „Sterben in Würde“, die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod und der Umgang mit Schwerstkranken gehören zu den größten Herausforderungen des Lebens – nicht nur für uns Christen, sondern für jeden Menschen. Ebenso wie die Geburt betrifft das Sterben jeden Menschen. An den beiden Polen erfährt der Mensch deutlicher als zu jedem anderen Zeitpunkt seiner Existenz, dass er auch trotz des Gebrauchs seiner Vernunft und seiner stets wachsenden technischen Möglichkeiten dennoch immer ein begrenztes Wesen bleibt. Im Staunen über die Ankunft neuen Lebens wird uns zugleich bewusst, dass wir uns das eigene Leben nicht selbst gegeben haben und sein Anfang nicht von uns selbst bestimmt wurde. Spätestens, wenn uns der Tod zum ersten Mal begegnet – bspw. im Sterben anderer Menschen – erfahren wir, dass wir auch unser eigenes Leben am Ende nicht bewahren können. Jeder, der das eine oder das andere erlebt hat, hat erfahren: Das Sterben ist, ebenso wie die Geburt, Teil des Lebens und nicht von ihm zu trennen. Sterben kann also nicht theoretisch – losgelöst vom Leben – betrachtet werden.

Folglich kann auch die Debatte zum Thema „Sterben in Würde“ nicht geführt werden, ohne den konkreten Menschen und seine individuelle Lebenssituation zu betrachten.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
wenn ich nun in meinem Statement auf das Thema eingehen werde, dann möchte ich dies unter folgenden Aspekten tun:

  • Eng verknüpft mit dem Ruf nach einem humanen Sterben ist die Frage nach der Autonomie des Einzelnen.Es ist die Kernfrage im ethischen Diskurs um das Sterben. Namhafte Mediziner, Politiker, aber auch Moraltheologen wie Eberhard Schockenhoff oder der Tübinger Franz-Josef Bormann oder auf evangelischer Seite Eberhard Jüngel haben sich intensiv mit dem Thema der Autonomie des Menschen auseinandergesetzt.
  • Der zweite Aspekt, der sich durchaus aus der Frage nach dem Verständnis der Autonomie des Einzelnen ableitet, ist die Frage nach der unabdingbaren Würde des Sterbenden.
  • Dritter Aspekt und eng verknüpft mit den beiden soeben genannten Punkten ist der Gesichtspunkt der individuellen Angst vor dem Leiden.[1]

Zuletzt werde ich auf das christliche Verständnis zum Umgang mit dem Lebensende und die Hilfen der Kirche im Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden kurz eingehen.

Einordnung in die aktuelle Debatte

Die derzeitige Diskussion um ein würdiges Sterben ist in Deutschland beeinflusst durch die Euthanasie-Praxis der Vergangenheit, die uns sensibel macht gegen jede Form von Ausgrenzung, Aussortierung und Vernichtung anhand scheinbar objektivierbarer Kriterien.[2] In Deutschland sind aktive Sterbehilfe, assistierte Selbsttötung, sowie Tötung auf Verlangen verboten.

Mit Blick auf die gegenwärtige Diskussion in der Politik und in der Öffentlichkeit um die geplante Neufassung von § 217 StGB„zum Verbot der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung“ haben sich die Deutsche Bischofskonferenz sowie das Zentralkomitee der deutschen Katholiken mehrfach mit dem Thema „Sterben in Würde“ befasst. Immer wieder haben sich beide für ein gesetzliches Verbot jeglicher Form des assistierten Suizids ausgesprochen.

Nicht nur in diesen beiden Gremien stelle ich fest, dass die Diskussion schwieriger geworden ist. Verstärkt beobachte ich die gesamtgesellschaftliche Tendenz, das Problemfeld der Sterbehilfe vorwiegend unter dem Gesichtspunkt der individuellen Selbstbestimmung am Lebensendezu betrachten.

1. Bewahrung der Autonomie des Menschen am Lebensende

Im letzten Abschnitt ihres Lebens sind Menschen besonders verletzlich und benötigen achtsame Begleitung und Unterstützung. Für fast alle ist der Gedanke an das eigene Sterben und das Sterben ihrer Angehörigen mit Ängsten verbunden – Angst vor der Annahme der eigenen Endlichkeit, vor Schmerz, vor Fremdbestimmung durch eine hochtechnisierte Apparatemedizin, Angst vor dem Alleinsein, Angst vor der fortschreitenden Ressourcenknappheit im Pflegebereich und schlicht: Angst vor dem Nicht-mehr-Sein.

In dem Dilemma zwischen Überversorgung und Unterversorgung wächst die Angst, alleine gelassen zu werden und möglicherweise unwürdig sterben zu müssen. So entsteht der Ruf nach Sterbehilfe, nach dem Beenden jenes „Zur-Last-Fallens“. Und schließlich verbindet sich der Wunsch nach Autonomie bzw. Selbstbestimmung häufig mit dem Wunsch, bis zuletzt eine höchstmögliche Lebensqualität zu genießen.[3]

Der Begriff der Autonomie oder auch der freiheitlichen Selbstbestimmung tritt besonders im Zusammenhang mit der Debatte um die Beihilfe zum Suizid in verschiedenen Varianten auf:[4]

In der aktuellen öffentlichen Debatte ist deutlich, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung den verschiedenen Formen des assistierten Suizids bzw. aktiver Sterbehilfe zunächst positiv gegenübersteht. Argumentiert wird dies zum einen damit, dass grundlegende Lebensentscheidungen der Privatheit unterliegen bzw. unterliegen sollen und zum anderen, dass innerhalb liberaler Gesellschaften ein Pluralismus der Lebensführung als legitim gilt.

Folglich wird – unter Berufung auf jene individuelle Selbstbestimmungsrechte – von vielen nicht nur das Recht zur Beendigung des eigenen Lebens in der letzten Lebensphase oder bei schwersten Leidenszuständen gefordert, sondern auch das Recht ärztliche Suizidbeihilfe in Anspruch zu nehmen. Dies lässt den Schluss zu, dass die Forderung nach einem selbstbestimmten Tod dabei als die letzte Konsequenz des Rechts auf ein selbstbestimmtes Leben wahrgenommen und gesehen wird.[5]

Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich aus moraltheologischer Sicht folgendes ergänzen: Ohne Zweifel steht es völlig außer Frage, dass die Wahrung der Autonomie in der gesamten Lebensführung, als auch in der letzten Lebensphase auch nach kirchlichem Verständnis einen hohen Wert darstellt.[6]Im christlichen Glaubensverständnis ist Leben ein unantastbares und einzigartiges Geschenk Gottes. Deshalb anerkennt die Kirche vorbehaltlos die Freiheit, die in der Autonomie des Einzelnen gegründet ist. Dies bedeutet, dass sie die Patientenautonomie im Rahmen einer zeitgemäßen Medizinethik grundsätzlich anerkennt und wertschätzt. In gleichem Maße setzt sie sich dafür ein, dass am Ende des Lebens kein starres System unterschiedsloser Gleichbehandlung gilt, das der Individualität des einzelnen Menschen keinen Raum einräumt.[7]

Terminologisch ist es jedoch wichtig zu unterscheiden, dass Autonomie etwas anderes ist, als Autarkie oder soziale Unabhängigkeit. Denn tatsächlich sind Abhängigkeit von Anderen und das Angewiesen-Sein auf Hilfe, Unterstützung und Pflege nicht per se menschenunwürdige Lebensumstände. Das Angewiesen-Sein auf Andere ist letztlich eine Grundverfassung menschlichen Daseins, die das Leben in seinen verschiedenen Phasen auf unterschiedliche Weise prägt.

Folglich bedeutet Autonomie des Menschen nicht, frei von der Beeinflussung durch andere zu handeln und zu entscheiden. Autonomie wird in Beziehungen verwirklicht – durch Wohlwollen, durch Fürsorge und durch Solidarität anderer.[8] Auf die letzte Lebensphase des Menschen bezogen bedeutet dies: Menschenwürdiges Sterben ist überhaupt nur unter der Bedingung möglich, dass der Kontakt und die menschliche Nähe zum Sterbenden aufrechterhalten werden. Wenn Autonomie nicht Beziehungslosigkeit bedeutet, dann ist Hilfe im Sterben mehr, als nur den Willen zum Sterben zu respektieren und sogar zu erfüllen. Hilfe im Sterben, heißt dann konkret, den Sterbenden zu begleiten, ihn mit seinen Ängsten nicht allein zu lassen, auszuharren. Ein eng geführtes Verständnis von Autonomie hieße im Gegenteil, die Verweigerung von Hilfe, die den Sterbenden in der Annahme seines eigenen Todes unterstützen könnte.

So hat auch die Glaubenskommission der Bischofskonferenz immer wieder betont, dass sich das dem Menschen zukommende Recht auf Selbstbestimmung nicht allein auf das eigene Leben beziehen kann.[9] Denn gelte dies, sähe auch die Glaubenskommission die Gefahr, durch die Verabsolutierung der Autonomie, die fürsorgliche Begleitung Sterbender und den Schutz der Würde der Schwächsten zu vernachlässigen.

2. Die persönliche Würde des Sterbenden

Ich komme zum zweiten Punkt, dem Aspekt derpersönlichen Würde des Sterbenden:

In der öffentlichen Debatte wird bisweilen der Versuch unternommen, schwerstpflegebedürftigen Menschen lediglich nur noch ein „biologisches“ Leben zuzusprechen. Man spricht vom sog. „Dahinvegetieren“. Der Verlust von Selbstbestimmung und das totale Angewiesen-Sein auf Andere erscheint als unwürdig, so dass einige gerne einem solchen Zustand ein vorzeitiges Ende bereiten möchten. Der Angst vor dem Verlust der menschlichen Würde ist sicherlich einerseits die Sorge vor dem Abnehmen bestimmter Fähigkeiten und dem Verlust von bestimmten Körperfunktionen. Sicherlich ist es auch die Sorge vor einer medizinischen Übertherapie. Doch ist damit tatsächlich auch der Verlust der Menschenwürde verbunden? Oder steht – was individuell durchaus nachvollziehbar und verständlich ist – der Verlust des eigenen Selbstbildes im Vordergrund?

Als prominentes Beispiel erinnere ich hier, an den verstorbenen MDR-Rundfunkintendanten Udo Reiter: Reiter, der an sich selbst beobachtete, dass seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten schwinden, hat sich vor genau einem Jahr das Leben genommen. Dies hatte er in einer öffentlich gewordenen Erklärung so begründet: „Ich möchte nicht als Pflegefall enden, der von anderen gewaschen und abgeputzt wird.“

Reiter hat als urteilsfähige Person in einer äußerst schwierigen Lebenssituation unter dem Prinzip der Güterabwägung und in der Auseinandersetzung mit der Frage nach seiner individuellen Würde entschieden, seinem Leben ein Ende zu setzen. Sein Beispiel macht deutlich: Das Argument der Angst vor dem Verlust der menschlichen Würde steht in engem Zusammenhang mit dem Wunsch nach einem herbeigeführten Tod.

Gleichzeitig stellt es die Politik, Kirche und die Medizin vor die große praktische Herausforderung, sensible und ganzheitliche Pflegekonzepte zu erarbeiten und diese in der Gesellschaft zu bewerben.

Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, den Einzelnen mit seinen individuellen Erfahrungen in Krankheit oder Alter wahrzunehmen und den konkreten Patienten im jeweiligen Stadium seiner Krankheit und in seiner konkreten gesundheitlichen Verfassung ernst zu nehmen und würdevoll zu begleiten. „Denn in der Einsamkeit des Sterbenden spiegelt sich die Einsamkeit der Lebenden wider; die Art des Sterbens hängt mit der Weise des Lebens zusammen.“[10]

3. Die individuelle Angst vor dem Leiden

Ich komme nun zum letzten Aspekt: der individuellen Angst vor dem Leiden. Dass bei den meisten Menschen, wenn sie sich mit ihrem eigenen Sterben auseinandersetzen, die Angst vor dem eigenen körperlichen Leiden, vor Schmerzen, Atemnot und Reglosigkeit und dergleichen vorherrschend ist, ist mehr als nachvollziehbar. Und das diese Angst bei einem großen Teil zum Wunsch nach einem schnellen Ende führt ist ebenso verständlich.

Der Palliativmediziner Gian Domenico Borasio spricht allerdings davon, dass nur bei etwa „zehn Prozent der Todesfälle […] spezialisiertes palliativmedizinisches Wissen notwendig“[11] ist. Und bei lediglich ein bis zwei Prozent der Sterbenden seien die Probleme so gravierend, dass sie ausschließlich in einer spezialisierten Palliativeinrichtung behandelt werden können.

Doch gerade, weil die Vorstellung des eigenen Sterbens nebulös bleibt, weil das „Wie“ des eigenen Sterbens kaum vorstellbar ist, sind auch die Sterbenswünsche komplex und mehrdeutig. Abhängig ist die Angst vor dem eigenen Leiden sicherlich von der individuellen Situation. Bei einem gesunden Menschen ist die Reflexion zunächst eine theoretische. In einem frühen Stadium einer evtl. unheilbaren Krankheit schürt der psychische Druck vor dem zu erwartenden Leiden eine nachvollziehbare starke Angst.

Gerade in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium stellen Sterbewünsche auch häufig verhüllte Mitteilungen dar, die auf einer tieferen Ebene etwas anderes meinen, als sie sprachlich zum Ausdruck bringen. In den einzelnen Krankheitsphasen unterliegt der Kranke zudem oft wechselnden Stimmungen. Der Wunsch nach einem sofortigen Tod wird von Patienten oft in depressiven Phasen geäußert. Diese Phase kann später von einer neuen Lebenskraft abgelöst werden, die dem Sterbenden eine bewusste Annahme seines eigenen Todes ermöglicht. Im Nachhinein erweisen sich solche Todeswünsche oft als verzweifelter Appell, in der Not des Leidens und Sterbens nicht allein gelassen zu werden.[12]

Aus dieser Perspektive betrachtet, gleicht die einvernehmliche Tötung eher dem Eingeständnis einer Niederlage, die vor der Aufgabe des Bestehens im Sterben resigniert, als einer wirklichen Hilfe für den Sterbenden. Eine „Alternative“ zur einvernehmlichen Tötung schwerstkranker Patienten zeigt sich hingegen im Konzept eines humanen Sterbebeistandes, der den Kranken durch pflegerische Betreuung, wirksame Schmerzbekämpfung nach den Grundsätzen der modernen Palliativtherapie und menschliche Begleitung befähigt, seinen eigenen Tod anzunehmen. Ein solches Konzept wird sowohl der körperlichen, als auch der seelischen Not schwerstkranker Menschen gerecht. Selbstverständlich ist es Aufgabe des Arztes, schwere körperliche und psychische Leidenszustände eines Patienten mit allen Mitteln zu bekämpfen, die ihm das ärztliche Ethos erlaubt. Besonders im Endstadium von Erkrankungen kann der Fall eintreten, dass erwogen wird, dem Patienten das Sterben zu erleichtern und eine Behandlung abzubrechen, die nicht mehr durch das palliative Handlungsziel angeraten ist, sondern das Sterben nur hinauszögern würde. Die Intention des Arztes ist hierbei nicht darauf gerichtet, den Tod eines Menschen herbeizuführen, sondern wird als „Mittel zum Zweck“ in Kauf genommen. Folglich ist beim Sterbenlassen der Tod weder direktes noch indirektes Handlungsziel.[13]

Die Erkenntnis, dass das Leiden eine Conditio Humana ist und stets untrennbar mit dem Leben verbunden, ist in unserer heutigen stark vom Streben nach Perfektion angelegten Zeit oftmals verdrängt oder gar vergessen. Die Anerkennung der Leidensdimension gehört zu den „Grundkoordinaten unseres Lebens“[14], die in einem ganzheitlichen Konzept der Begleitung Schwerstkranker berücksichtigt werden muss.

Das Christliche Verständnis im Umgang mit dem Lebensende

Vor der Aufgabe, sich mit den Beschränkungen des eigenen Daseins zu befassen und die Grenzen anzunehmen, die ihm von außen gezogen sind, steht jeder Mensch. Hier unterscheiden sich Christen nicht von anderen. Auch die Vorbereitung auf das Sterben ist deshalb kein Vorrecht religiöser Menschen.

Als Kirche ist es aber unsere Aufgabe, gerade unter der Berücksichtigung der Autonomie des Menschen, eine Kultur der Hilfe im Sterben zu pflegen und anzubieten. Dies ist das Gegenteil der „Hilfe“ zum Sterben – des assistierten Suizids oder der Tötung auf Verlangen.

Das biblisch-christliche Verständnis vom Menschen beinhaltet vor allem, dass jede und jeder eine Würde besitzt, die in der Gottebenbildlichkeit des Menschen gründet, unabhängig von den Vorleistungen und Kriterien. Diese Würde muss man sich weder erwerben, noch kann sie verloren gehen oder von Dritten abgesprochen werden. Die Würdelosigkeit des Leidens beginnt allenfalls dort, wo wir hinter dem Anspruch der Menschenwürde zurückbleiben, wo wir vermeidbares Leiden zulassen, indem wir den Leidenden alleinlassen.

Ich bin sehr dankbar für die Arbeit der fünf stationären Hospize und zahlreichen ambulanten Hospizgruppen in unserer Diözese. In Hospizen werden die Kranken als „Gäste“ bezeichnet. Das gefällt mir sehr gut! Denn dies drückt zweierlei aus:

  1. Gäste im Hospiz sind Menschen, deren Lebenserwartung zutiefst begrenzt ist. Das Wort „Gast“ bringt diese Endlichkeit sprachlich zum Ausdruck: Wenn wir zu Gast sind, sind wir willkommen. Man kümmert sich um uns. Wir werden umsorgt.
    Wenn wir Menschen am Lebensende wirklich als Gäste wahrnehmen – dann ist es undenkbar, dass wir sie gleichzeitig in den Tod schicken. Ein menschenwürdiges Sterben ist abhängig von menschlicher und seelsorgerlicher Begleitung, pflegerischer und medizinischer Zuwendung – von einer ganzheitlichen Palliativ Care.
  2. Zweites dürfen Sterben und Tod nicht länger als „Störfall“ empfunden werden. Sie sind Inbegriff des Lebens und müssen einen Platz in der Lebenswirklichkeit haben. Aktive Sterbehilfe und assistierter Suizid hingegen bereiten den Weg in eine inhumane Gesellschaft(Glück). Deshalb brauchen wir dringend eine bewusstere Sorge- und Annahmekultur für Menschen am Lebensende und für deren Angehörige. Das bedeutet vor allem, dass das Netz der Hospize und Palliativversorgung weiter ausgebaut werden muss, damit alle Menschen Zugang haben, die Schmerzlinderung und hospiz-palliative Zuwendung benötigen. Dass aktive Sterbehilfe in keiner Weise Alternative zur Sterbebegleitung ist, das haben wir Bischöfe im vergangenen Jahr auf unserer Herbstvollversammlung in Fulda (22.-25.09.2014) erneut und in aller Deutlichkeit bekräftigt. Für ein Ja zur palliativen Begleitung und einem Nein zur organisierten Suizidbeihilfe hat sich auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken im vergangen Oktober in einer öffentlichen Erklärung ausgesprochen.

„Aufstehen für das Leben“

All diese Beispiele, die ich soeben kurz skizziert habe, stehen exemplarisch für das, was sich die Diözese Rottenburg-Stuttgart bereits im Jahr 2003 als pastoralen Schwerpunkt selbst mit auf den Weg gegeben hat. „Aufstehen für das Leben“ – so lautet die vierte unserer Pastoralen Prioritäten, die ganz explizit die Begleitung von Sterbenden als Handlungsziele in den Blick nimmt. Zum Thema „Aufstehen für das Leben“ haben wir im Prioritätenpapier festgehalten: „Das Leben des Menschen in seiner einzigartigen Würde ist der Menschlichen Verfügungsmacht entzogen. Diese Grundüberzeugung wird heute besonders in Bezug auf den Beginn und das Ende des Lebens immer wieder in Frage gestellt. […] Im Glauben an Jesus Christus, der der Freund des Lebens ist, treten Christinnen und Christen für die Menschenwürde in allen Phasen des Lebens ein. Christliche Solidarität gilt allen Menschen, insbesondere den Bedrohten und Leidenden.“

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich freue mich nun auf die inhaltliche Vertiefung dieses schwierigen Themas in der nun anschließenden Diskussion mit Ihnen!

 

[1] Die Aufteilung der Argumente in diese Aspekte hat Franz-Josef Bormann in seinem Aufsatz: Ärztliche Suizidbeihilfe – Eine kritische Analyse der wichtigsten pro- Argumente, in: Theologische Quartalschrift (THQ) 3/2015, Stuttgart 2015, S. 215 ff. Eberhard Schockenhoff führt in erster Linie der Autonomie als Argument in der Beurteilung der Hilfe im Sterben an.. vgl. Eberhard Schockenhoff: Ethik des Lebens – Grundlagen und neue Herausforderungen, Freiburg 2013, S. 537 fff.

[2] Vgl. Sterbebegleitung statt aktiver Sterbehilfe, in Gemeinsame Texte der DBK und der EKD, Bonn 2006, S. 5.

[3] Ottfried Höffe: Dürfen Ärzte beim Freitod helfen?, in: Theologische Quartalschrift (THQ) 3/2015, Stuttgart 2015, S. 205

[4] Vgl. Bormann in THQ, S. 216

[5] Vgl. Schockenhoff: Ethik des Lebens, S. 537

[6] Vgl. Bormann, S 216

[7] Ebd.

[8] Schockenhoff: Ethik des Lebens, S. 540f.

[9] DBK Herbst-Vollversammlung 2015 zum ärztlich assistierten Suizid

[10] Schockenhoff, Ethik des Lebens, S. 558

[11] Gian Domenico Borasio: Über das Sterben, München 2011, S. 25.

[12] Vgl. Schockenhoff, Skript zum Studientag des Diözesanrats, S. 6

[13] Ders. S. 8

[14] Bormann, S.225

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