Bischof Dr. Gebhard Fürst zum Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums zur Patientenverfügung 2005

Rottenburg

Der Referentenentwurf von Justizministerin Brigitte Zypries zur Stärkung der Patientenautonomie durch Ausweitung der Verbindlichkeit und Reichweite von Patientenverfügungen erklärt zwar einerseits, die Grenze zur aktiven Sterbehilfe nicht zu überschreiten. Zugleich enthält er andererseits entgegen der erklärten Intention Tendenzen, aktive Sterbehilfe gerade zu ermöglichen.

Der Entwurf verfolgt mit Recht das Anliegen, die Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten zu fördern und zu stärken, beachtet aber die berechtigten Bedenken und Vorschläge nicht, welche die Enquete des Deutschen Bundestages "Ethik und Recht der modernen Medizin" mit großer Mehrheit vorgelegt hat. Nach der Gesetzesinitiative sollen nicht nur – sogar formlose und ein einziges Mal irgendwann mündlich geäußerte - Willensbekundungen die Unterlassung lebensnotwendiger medizinischer Hilfsmaßnahmen rechtfertigen, sondern auch der mutmaßliche Wille, der von anderen erkundet wird. Dies wirkt geradezu als Einladung zur Willkür und zum Missbrauch.

Dabei muss es sich nicht einmal um Krankheiten handeln, die einen tödlichen Verlauf nehmen. Dies bedeutet, dass es nicht nur um Sterbensverkürzung, sondern um direkte Lebensverkürzung gehen kann. Auch wo Leben gerettet werden könnte, kann es beendet werden. Dies geschieht nicht aufgrund eines aktuellen, sondern aufgrund eines vorauserklärten oder gemutmaßten Willens, zu dem die Patientin/der Patient nicht mehr Stellung nehmen können. Die Unterlassung medizinischer Maßnahmen, die zum Tode führt, unterscheidet sich zwar von aktiver Tötung, aber der aktive Dienst am Leben wird deutlich eingeschränkt.

Das hat Auswirkungen auf das ärztliche und pflegerische Ethos. Übersehen wird, dass Selbstbestimmungen, wie empirische Untersuchungen in den USA zeigen, in der allgemeinen Vorwegnahme vor dem Leiden anders ausfallen als in der konkreten Situation des Leidens selbst. Entscheidungen, die man ursprünglich für wünschenswert hielt, werden nachträglich oft zurückgenommen. "Selbstbestimmung" ist wichtig, darf aber nicht ohne Rücksicht auf veränderte Situationen, Kontexte und Einflüsse verabsolutiert und rechtlicher Überprüfung weitgehend entzogen werden. Dies gilt schon allgemein für folgenreiche Entscheidungen, erst recht aber, wo es um Leben oder Tod geht. Einen vorausverfügten Willen mit dem Patientenwillen im Endstadium einer schweren Krankheit gleichzusetzen, idealisiert die Autonomie des immer endlichen Menschen in unzulässiger Weise.

Wenn es zweifelhaft ist, wie sich der im Sterbeprozess befindliche Patient tatsächlich entscheiden würde, wenn er seinen Willen noch äußern könnte, sollte grundsätzlich für das Leben entschieden werden. Dabei ist nicht immer eine intensive Maximaltherapie vorzunehmen, sondern der Sterbende vor allem intensiv zu begleiten. Hier sind vor allem die Möglichkeiten der Palliativmedizin noch viel stärker zu entwickeln.

Christen leben nicht mit dem alleinigen Vorsatz "mein Wille geschehe". Sie wissen, dass sie persönliche Verantwortung übernehmen sollen, aber dass nicht alles planbar ist, weder im Leben noch im Leiden. Sein Leben mitzuverantworten ist etwas anderes, als sein Leben und seinen Tod vollständig im Griff zu haben. Als Bischof setze ich mich dafür ein, die Debatte über die notwendigen und wünschenswerten Patientenverfügungen gründlich zu führen. Bloße rechts-pragmatische Überlegungen allein reichen dazu nicht aus. Vielmehr muss insbesondere die ethische Dimension stärker beachtet werden.

 

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