Bischof Dr. Gebhard Fürst: Zum Verhältnis von Theologie und Naturwissenschaft 2007

Stuttgart

Glaubt man den Bestsellerlisten, ist Religion ein großes Thema in Deutschland. Neben dem Jesus-Buch von Papst Benedikt XVI. und Hape Kerkelings Bericht über seine Pilgerreise auf dem Jakobsweg boomen aber auch Titel, die jeglicher Religion eine Absage erteilen.

KNA: Herr Bischof, können Sie sich erklären, warum die Themen Religion und Gott derzeit so boomen?

Bischof Dr. Gebhard Fürst: In all dem zeigt sich, dass Menschen nach Sinn suchen. Nach einem Sinn für ihr Leben, der mehr ist als Materialismus und die Geschäftigkeit des Alltags. Sie suchen nach etwas Festem und Verbindlichen in der Relativität und Unübersichtlichkeit, obwohl sie andererseits die Verbindlichkeit eines Glaubensbekenntnisses und einer kirchlichen Struktur häufig ablehnen. Sie sehnen sich nach einer Seele in einer oft seelenlosen Gesellschaft. Manchmal verabsolutieren sie auch einfach ihre eigenen Überzeugungen.

KNA: Ein wesentlicher Vorwurf von Dawkins und anderen lautet, dass die Welt ohne Religionen friedlicher wäre. Ist der Vorwurf nicht berechtigt, dass insbesondere der Monotheismus zu Intoleranz neigt?

Bischof Dr. Gebhard Fürst: Man muss ehrlich zugeben, dass gerade im Namen der monotheistischen Religionen schon sehr viel Gewalt ausgeübt und Blut vergossen worden ist. Das ist eine historische und moralische Hypothek - auch des Christentums. Es gehört zum Charakter monotheistischer Religionen, dass sie einen Ausschließlichkeitsanspruch erhaben. Um so mehr muss man nach dem Gottesbild, nach dem Offenbarungsgehalt fragen, die hinter diesem Anspruch stehen. Der Gott des Alten und des Neuen Bundes ist ein Gott des Friedens und der Barmherzigkeit. Ein Gott, der das umfassende Heilsein aller Menschen will. In Jesus Christus ist die göttliche Liebe Mensch geworden. Zu Jesu Botschaft gehört die Nächstenliebe und sogar die Feindesliebe. Dagegen ist in der Geschichte des Christentums und der Kirche furchtbar gesündigt worden. Dennoch ist die verpflichtende Ursprungsbotschaft, die von Jesus Christus ausgeht, nicht Gewalt und Intoleranz, sondern Liebe, Vergebung und Solidarität. Durch diese überzeugend und glaubwürdig gelebte Botschaft hat das frühe Christentum die damalige griechisch-römische Welt verwandelt.

KNA: Behauptet wird auch, dass Religion - siehe Nationalsozialismus - nicht immunisiert gegen totalitäres Denken und Gewalt.

Bischof Dr. Gebhard Fürst: Religion ist eine Grundbestimmtheit des Menschen, die zunächst einmal nur bedeutet, dass er im Letzten sein Herz an etwas Unbedingtes hängt. Das kann vieles sein und auch vielfach missbraucht und instrumentalisiert werden. Die Faszination religiöser Symbole kann geradezu zum Gegenteil dessen pervertiert werden, was sie ursprünglich bedeuten. Gerade der Nationalsozialismus und andere europäische Diktaturen haben virtuos mit religiöser, ja sogar mit biblischer Symbolik gespielt und dadurch die Köpfe und Herzen von Menschen in die Irre geführt. Als Beispiel dafür will ich nur den Missbrauch der uralten Erwartung eines „Dritten Reiches“, also der Herrschaft eines Retter-Messias, erwähnen. Vielleicht hilft es in diesem Zusammenhang, die Unterscheidung des evangelischen Theologen Karl Barth zwischen Religion und Glaube heranzuziehen. Religion kann auch für das Dämonische offen sein. Glaube dagegen ist das Vertrauen auf einen Gott, der sich allen unseren Bildern und Vereinnahmungen entzieht, der nicht menschliche Machtansprüche rechtfertigt, sondern sich in menschlicher Ohnmacht zu erkennen geben will.

KNA: Eine weitere Behauptung lautet, dass Religion nicht das Nachdenken, sondern das Nachbeten verlange. Sind religiöse Menschen weniger kritisch und dümmer als andere?

Bischof Dr. Gebhard Fürst: Kritiklosigkeit und Dummheit gibt es überall. Es gibt aber auch überall exzellente Geister, und die Denkgeschichte des Christentums ist voll von ihnen – bis heute. Im übrigen halte ich viel von dem biblischen Wort: „Wo der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.“ Das Bekenntnis zu Gottes Heiligem Geist ist geradezu eine Verpflichtung zu freiem, eigenständigem und kritischem Denken.

KNA: Es fällt auf, dass die Religionskritik derzeit vor allem aus der naturwissenschaftlichen Ecke kommt. Schaukelt sich der Konflikt um Biomedizin und Hirnforschung so hoch, dass beide Seiten nicht mehr miteinander reden können?

Bischof Dr. Gebhard Fürst: Vernünftige Menschen müssen immer miteinander reden können, es sei denn, ideologische Barrieren machten ein Gespräch unmöglich. Auch die Auseinandersetzung zwischen Naturwissenschaften und Theologie muss auf der Basis rational begründbarer Argumentation erfolgen. Die Vertreter der Naturwissenschaft haben ihre berechtigten Anliegen und Interessen, die sie vertreten müssen und die seitens der Theologie gehört und sorgfältig geprüft werden müssen.

KNA: Und die Theologie?

Bischof Dr. Gebhard Fürst: Auch die Theologie hat ihre Argumente einzubringen. Sie stützen sich auf ein Bild des Menschen und der menschlichen Würde, das im christlichen Glauben begründet ist, das sich aber durchaus auch auf allgemein akzeptierte Erfahrungen eines menschenwürdigen Lebens berufen kann. Dieses Menschenbild führt oft zu kritischen Auseinandersetzungen, ja zu Konflikten mit den Interessen moderner Forschung. Es wäre fatal, wenn diese Sichtweise dadurch mundtot gemacht würde, dass seitens der Naturwissenschaften die Berechtigung von Religion überhaupt bestritten würde. Dadurch würde die Naturwissenschaft die Grenzen ihrer Erkenntnismöglichkeiten und ihrer Zuständigkeit überschreiten und eine totalitäre Position einnehmen. Sie würden auch kritische Impulse ausschlagen, die für jede Wissenschaft wichtig sind. Anders gesagt: Beide Seiten tun sich keinen Gefallen, wenn sie die Brücken des Gesprächs abbrechen. Und die ernstzunehmenden Vertreter beider Seiten wissen das auch.

KNA: Glauben Sie, dass sich religionskritische Kreise in Deutschland in naher Zukunft stärker organisieren werden, um schlagkräftiger zu werden?

Bischof Dr. Gebhard Fürst: Das kann schon sein, und das wäre ja auch nichts Neues. Unsere Antwort darauf kann nur heißen: argumentativ gut und konsistent und vor allem im Sinne des Evangeliums menschlich und geistlich glaubwürdig zu sein. „Schlagkräftig“ ist ein militärisches Wort, das wir uns für unseren Teil nicht zu eigen machen sollten. Es gibt nirgendwo in der Bibel die Verheißung, wir könnten oder sollten ohne Widerspruch und Widerstand leben. Unseren Gegenpart können wir nicht durch Rechthaberei, sondern nur durch überzeugende Glaubwürdigkeit leisten. Im Übrigen sollten wir den Entwicklungen nicht gleichgültig, aber doch unaufgeregt und selbstbewusst entgegen sehen.

Das Interview mit Bischof Dr. Gebhard Fürst, Diözese Rottenburg-Stuttgart, führte Christoph Arens (KNA).

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