Bischof Dr. Gebhard Fürst zur Woche für das Leben 2010

Stuttgart, Diakonie-Klinikum

Eine Gesellschaft kann sich nur in Solidarität entfalten. Dies erfordert gegenseitiges Vertrauen und Zutrauen. Ein guter Christ sollte versuchen sich den Lasten anderer anzunehmen und helfen diese mitzutragen. Was heißt das aber für „gesunde Verhältnisse“? Unser Gesundheitssystem mit einer solidarischen gesetzlichen Krankenversicherung hat sich jahrzehntelang bewährt. Als Folge der demografischen Entwicklung sowie der Finanz- und Wirtschaftskrise sind unsere Sicherungssysteme sehr gefährdet. Die Zahl behandlungs- und pflegebedürftiger Menschen wird in den nächsten 20 Jahren dramatisch wachsen. Die Ausgaben der Kranken- und Pflegeversicherung steigen, die Einnahmen sinken mit der Abnahme sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse.

Als Christen tragen wir besondere Verantwortung für kranke und pflegebedürftige Menschen. Doch wie soll das geschehen in Zeiten knapper Finanzen? Welche Probleme es für benachteiligte Menschen in unserem Gesundheitswesen bereits gibt, hat Bischof July beschrieben. Um Menschen nicht vom kollektiven Gut „Gesundheit“ auszuschließen, ist ein Maßnahmenbündel auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen nötig. Dabei sind Solidarbeiträge von Einkommensbeziehern zur Krankenversicherung – ob im Rahmen von Bürgerversicherung oder Kopfpauschale – nur eine Form gesellschaftlicher Solidarität. Weiter Formen von Solidarität müssen dazu kommen.

Wir brauchen eine krisensichere Finanzierung notwendiger medizinischer Leistungen für alle Menschen. Der Gesundheitsfonds sichert Krankenkassen, die Menschen mit vielen Risiken versichern, über einen Strukturausgleich ab. Ein anderer Weg ist die steuerliche Subventionierung von Kopfbauschalen für Menschen ohne eigenes Einkommen, etwa für Kinder. Weitere langfristige Lösungen müssen gesucht werden.

Rein finanzielle Betrachtungen reichen jedoch nicht aus. Solidarität mit kranken und pflegebedürftigen sowie mit von Krankheit bedrohten Menschen beginnt im Gemeinwesen vor Ort und in der Familie. Diese Solidarität kommt nicht nur in der Behandlung und Pflege im engeren Sinn zum Ausdruck, sondern ebenso in der Gesundheitsförderung und in Pflege ergänzenden Hilfen. In Caritas und Diakonie spricht man von einem Konzept der sozialen Gesundheit.

Konkret bedeutet dies:

- Eine umfassende Gesundheitspolitik betrachtet die sozialen, materiellen und kulturellen Ursachen und Rahmenbedingungen von Gesundheit und Krankheit

- Hilfen werden lokal und sozialräumlich gestaltet. Dabei sind die Kompetenzen aller Bürgerinnen und Bürger in Fragen von Gesundheit und Krankheit zu aktivieren und zu unterstützen. Dabei ist jedoch in besonderem Maße auf die Gleichberechtigung innerhalb und zwischen den einzelnen Lokalitäten und Sozialräumen zu achten.

- Neben professionellen Hilfen sollen vermehrt die Selbsthilfekräfte und Kräfte aus dem Umfeld der kranken und von Krankheiten bedrohten Menschen wirken.

- Mit Investitionen in eine gesundheitsförderliche Infrastruktur können Bedingungen gefördert werden, unter denen Menschen ein gesundes und gutes Leben führen.

Daraus entstehen dann folgende Angebote:

- Bedürftigen Familien werden frühe Hilfen etwa durch Beratung zu Haushaltsführung oder Kinderbetreuung angeboten. Ein Beispiel hierfür sind die Betriebshelfer des Katholischen Landvolkes, die z.B. bei Krankheit der Eltern Hof und Kinder betreuen. Kinder erziehen und begleiten ist nicht nur familiäre, sonder eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.

- Niederschwellige Angebote entlasten pflegende Angehörige Demenzkranker.

- Kinder armer Familien erhalten in Kita und Schule regelmäßig gesundes Essen.

- Arme Kinder können ihre Freizeit beitragsfrei in Sportvereinen verbringen.

- Betriebe bauen ihre Gesundheitsförderung aus.

Mit solchen Maßnahmen lassen sich Krankheiten vermeiden und kann sozial bedingte Ungleichheit im Bereich Gesundheit verringert werden. Die beschriebenen Formen von Solidarität schließen Eigenverantwortung ein. In der katholischen Soziallehre wie auch im Sozialwort der beiden Kirchen von 1997 korrespondiert Solidarität mit Subsidiarität. Im Sozialwort heißt es: „Das Prinzip der Subsidiarität ernst zu nehmen bedeutet, Abschied zu nehmen von dem Wunsch nach einem Wohlfahrtsstaat, der in paternalistischer Weise allen Bürgerinnen und Bürgern die Lebensvorsorge abnimmt. Demgegenüber gilt es, Eigenverantwortung und Eigeninitiative zu fördern.“

Zum Schluss ein Wort zum Thema Pflege. Die Anforderungen nehmen hier ständig zu. Hohe Qualität wird möglichst kostengünstig erwarte. Mit großer Sorge sehen wir, dass die zunehmende Ökonomisierung eine am christlichen Menschenbild orientierte Pflege erschwert. Bürokratie und aufwendige Dokumentationspflichten schlucken immer mehr Energie und Zeit, die für menschliche Zuwendung fehlt. Bei einer steigenden Zahl pflegebedürftiger Menschen fällt es schwer, ausreichend Pflegenachwuchs zu finden. Das führt zu ungesunden Verhältnissen. Statt formalistischen Umgangs sollte die menschliche Nähe wieder mehr in den Vordergrund gestellt werden.

Als Kirche übernehmen wir hier Verantwortung. Mit unseren Wohlfahrtsverbänden setzen wir uns ein für mehr Menschlichkeit im Gesundheitswesen und die Wahrung unseres kirchlichen Profils in den Einrichtungen. Dies schließt die Sorge um die Mitarbeitenden mit ein. Ihre wichtige Arbeit muss angemessen entlohnt und von der Gesellschaft, die von dieser Arbeit profitiert, finanziert werden. Eine Form der Wertschätzung sehen wir in der Begleitung von Pflegenden mit Supervision und Seelsorge. Dazu hat unsere Diözese kürzlich die Mutter-Teresa-Stiftung gegründet.

Am Sonntag, den 18. April, wird in Biberach die „Woche für das Leben 2010“ eröffnet. Unter dem Motto „Gesunde Verhältnisse“ bietet sie die Chance, die hier angestoßenen Themen weiter zu vertiefen. Wir hoffen, dass bei vielen Menschen der Blick für eine gesunde Gesellschaft geschärft wird.

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