Bischof Gebhard Fürst: Abschlussstatement der Tagung „Sonne auf unseren Dächern“ 2008

Rottenburg

Meine sehr geehrten Damen und Herren,

„Bewahrung der Schöpfung ist keine Leerformel.“ Lassen Sie mich mein Abschlussstatement zu der Tagung „Sonne auf unseren Dächern in zehn Punkten zusammenfassen.

1. Seit dem „Konziliaren Prozess“ im letzten Drittel des vergangenen Jahrhunderts ist der Begriff „Bewahrung der Schöpfung“ – neben der Gerechtigkeit und dem Frieden – zu einem festen Bestandteil des ökumenischen kirchlichen Vokabulars geworden. Und wie alle terminologischen Topoi in der kirchlichen Sprache ist es in der Gefahr, zu einer frommen Leerformel zu werden. Damit das nicht geschieht – und dies gilt für alle wichtigen Fragen unseres christlichen Lebens – muss das, was „Bewahrung der Schöpfung“ meint, stets neu reflektiert, mit Leben gefüllt, in der Alltagsrealität konkretisiert werden.
Sie, meine Damen und Herren, haben sich gestern Abend und heute den ganzen Tag mit Fragen der konkreten Verwirklichung des Themas „Bewahrung der Schöpfung“ befasst und dafür gesorgt, dass es keine Leerformel bleibt, sondern mit Inhalt gefüllt und in den Realitäten „geerdet“ wird. Des- halb möchte ich Ihnen und allen aktiv an dieser Veranstaltung Beteiligten für Ihr Interesse und Ihr Engagement danken. Über die überraschend große Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer an dieser Tagung bin ich hoch erfreut. Im Zentrum stand in Ihren Überlegungen die „Klima-Initiative“, die ein wichtiges persönliches Anliegen von mir ist und die seit kurzem auch durch den Diözesanrat als pastorale Schwerpunktaufgabe und als strategisches Ziel beschlossen worden ist. Und das bedeutet auch finanzielle Investitionen in großem Umfang.

2. Zuerst eine Vorbemerkung: „Bewahrung der Schöpfung“ ist ein theologischer Gedanke und Begriff und gehört – zunächst einmal - nicht auf die Ebene der Sachfragen, sondern auf die Ebene der Motivation und der ideellen bzw. religiösen Begründung. Er setzt, um inhaltlich gefüllt zu werden, voraus, dass wir die Mühe der fachlichen Auseinandersetzung auf uns nehmen und uns mit den wissenschaftlichen, technischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Fragen befassen, die sich mit den Themen „Klimawandel“, „Ressourcenverbrauch und –schonung“, „Energie-Effizienz“ verbinden – kurz: mit dem ganzen komplexen Gefüge, das sich unter dem Begriff „nachhaltiges Handeln“ zusammenfassen lässt. Das haben Sie auf dieser Tagung getan, und das ist Gegenstand der konkreten Umsetzung unserer „Klima-Initiative“.

3. Lassen Sie mich also auf das konkrete Vorhaben der „Klima-Initiative“ eingehen. Ich weiß, dass dies eine Verkürzung der Gesamtthematik ist, denn auch der Tierschutz, der Boden- und Gewässerschutz, der Artenschutz und vieles andere gehört zu dem Gesamtkomplex „nachhaltiges Handeln“, theologisch gesprochen: zur „Bewahrung der Schöpfung“. Hier und heute steht nun allerdings die „Klima-Initiative“ im Mittelpunkt. Die Aktualität und Notwendigkeit dieser „Klima- Initiative“ bedarf heute keiner Begründung mehr. Die Klimaberichte der Vereinten Nationen weisen erschreckende Perspektiven für die künftige Entwicklung der Erderwärmung mit ihren ökologischen, wirtschaftlichen, (geo-)politischen und sozialen Folgen auf. Die Zukunft der Erde und damit auch die Zukunft unserer Kinder und Kindeskinder ist durch den Klimawandel in hohem Maße gefährdet. Bereits hier sind die fachlich-wissenschaftlichen Fragen und die ethische Herausforderung nicht mehr voneinander zu trennen. Umkehr zu einem lebensfördernden, nachhaltig rücksichtsvollen Umgang mit der Umwelt und den natürlichen Ressourcen ist das Gebot der Stunde.
Ich möchte ein ganz aktuelles Beispiel anführen – möglicherweise hat es in den bisherigen Ausführungen bereits eine Rolle – gespielt: Die Folgekosten des Klimawandels in der Bundesrepublik werden sich nach jüngsten Schätzungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in den nächsten 50 Jahren auf rund 800 Milliarden aufsummieren, allein in Baden-Württemberg auf 129 Milliarden – vorausgesetzt: Wir verfahren nach dem Prinzip „weiter so“, es geschieht nichts Entscheidendes beim Klimaschutz und die Oberflächentemperatur der Erde steigt infolgedessen bis zum Jahr 2100 um bis zu 4,5 Grad.
Wie realististisch diese Zahlen auch immer sein mögen, sie müssen uns wachrütteln. Was bedeutet dies an Kürzungen im sozialen Bereich, in der Kultur, in der Bildung, wenn diese immensen Summen künftig für die Kompensation der Schäden eingesetzt werden müssen, die durch unser unvernünftiges und verantwortungsloses Handeln entstehen. Und das ist nur ein Beispiel für vieles andere. Umgekehrt will ich aber durchaus selbstbewusst betonen, dass die Diözese Rottenburg-Stuttgart mit ihren Investitionen und Bemühungen zum Klimaschutz kein Modethema traktiert, sondern in verantwortlicher Weise einen wichtigen Beitrag zum wirtschaftlichen, sozialen, gesundheitlichen und kulturellen Wohl der gesamten Gesellschaft leistet.
Das Klimaproblem ist eine Herausforderung von höchster Verbindlichkeit an die ethische Verantwortung aller – der politischen Akteure, der Wirtschaft, der öffentlichen Institutionen und der privaten Haushalte. Diese ethische Fragestellung ergibt sich zunächst einmal als Konsequenz der Vernunft und aus einer sorgfältigen und sachkompetenten Auseinandersetzung mit den fachlichen Zusammenhängen eines nachhaltigen Handelns – unabhängig von allen Glaubensüberzeugungen. Ethik ist – zunächst einmal – eine Frage der Rationalität und des aufmerksamen Schauens und Hörens auf die innere Vernünftigkeit und Stimmigkeit der Dinge. Ethik bedeutet zunächst ein Handeln in Übereinstimmung mit der immanenten Rationalität der Welt, in der wir leben.
Insofern ist es kein ernst zu nehmender Einwand gegen unsere Klima-Initiative und unser diözesanes Konzept eines nachhaltigen Handelns, wenn man uns vorhält, dass dies andere doch auch, zum Teil schon viel länger und zum Teil auch besser machen. Ja. Gott sei Dank. Jeder Bundesgenosse in diesem Anliegen ist uns willkommen. Und gerne lernen wir von den guten Beispielen und Vorbildern anderer, ebenso wie wir selbst unsere Erkenntnisse und Erfahrungen gerne weitergeben.

5. Was aber ist dann spezifisch Christliche an unserem Handeln? Lassen Sie es mich folgendermaßen sagen: Wenn wir in diesem „Aufstand für das Leben“ als Christen und als Kirche die Initiative ergreifen, dann erfährt unsere vernunft- begründete Ethik eine besondere Motivation, Sinngebung und Radikalisierung. Christen und Juden sprechen von „Schöpfung“ – das ist, wie gesagt, nicht einfach identisch mit der natürlichen Umwelt. Ich betone diesen Unterschied deshalb, weil der „Schöpfungs“-Begriff und der Schöpfungsglaube dem Phänomen „Natur“, deren Teil wir bei aller Differenziertheit sind, eine ganz besondere Sinndeutung gibt. „Schöpfung“ bedeutet, dass „Natur“ nicht einfach für uns verfügbar ist, sondern dass sie einen göttlichen Ursprung hat und ein Geschenk aus Gottes Fülle und Liebe ist.

6. Die Schöpfungserzählungen der Bibel stellen – im Verhältnis zu den anderen orientalischen Religionen im Umfeld des Volkes Israel – in gewissem Sinn eine „Säkularisierung“ dar. Sonne, Mond und Sterne, der Kosmos, die Erde, Pflanzen und Tiere werden zu Geschöpfen Gottes erklärt und verlieren ihre eigene Göttlichkeit – sie sind Geschöpfe und nicht mehr selbst Götter. Auch der Mensch ist Geschöpf, aber den anderen Geschöpfen übergeordnet und nicht mehr abhängig von ihren oft dämonischen Eigenschaften. Die Schöpfungserzählungen der Bibel sind ein Plädoyer für die Freiheit des Menschen. Den „ersten Freigelassenen der Schöpfung“ nennt der Philosoph Johann Gottfried Herder den Menschen. Aus dieser Frei-Setzung erwächst auch ein Auftrag: „Macht euch die Erde untertan.“ (Gen 1,28) Dieser Auftrag – erwachsen aus der Mündigkeit und Freiheit des Menschen gegenüber den Determinismen der Natur – stellt in seinen geschichtlichen Konsequenzen eine der Wurzeln des neuzeitlichen und modernen wissenschaftlichen Denkens dar, in dem der Mensch mit den Mitteln seiner Ratio die Gesetze der Natur erschließt und sich zu eigen und zunutze macht.
Die Problematik der Entwicklung der Neuzeit und der Moderne liegt darin, dass im Gefolge der Aufklärung und der aufkommenden Naturwissenschaften die Welt als ganze säkularisiert und der verfügenden, technisch-instrumentellen Ratio des Menschen preisgegeben wird, die sich alles unterwirft.
Das ist ein ganz grundsätzliches Problem, das sich auf vielen Ebenen zeigt: Eine Haltung des radikalen Verfügens, Vernutzens und Instrumentalisierens ist weithin zum Grundmuster unseres Handelns geworden. Darin liegt die tiefe Problematik unserer Zivilisation begründet.

7. Deshalb ist es unumgänglich, auch einen anderen Aspekt der biblischen Schöpfungserzählungen heranzuziehen. „Gott, der Herr, nahm ... den Menschen und setzte ihn in den Garten von Eden, damit er ihn bebaue und hüte.“ (Gen 2,15) Der Mensch ist nicht Herr über die Schöpfung, er ist ihr Hüter und Bewahrer. Er hat einen Gestaltungsauftrag; und er hat auch einen Auftraggeber, dem er Verantwortung schuldet. Eine Formulierung von mir, die inzwischen häufig zitiert wird, wiederhole ich hier gerne: Der Mensch ist nicht „Sharehoulder“ der Schöpfung, sondern Treuhänder, „Gärtner“. Anders gesagt: Wir sind nicht die neuen Götter, nachdem – angeblich – Gott tot ist. Sondern wir stehen „in Verantwortung vor einer höheren Instanz“ (Hans-Jochen Vogel). Diese Instanz ist Gott – der Schöpfergott, der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, der Gott Jesu Christi (Pascal). Zu welcher Gnadenlosigkeit und Zerstörungswut dagegen die Selbstvergötterung des Menschen geführt hat und führt, wissen wir zur Genüge.

8. Wir sind also in die Verantwortung genommen. Verantwortung – das bedeutet Antwort: Antwort auf einen Anspruch an uns, der unser Gewissen und unsere religiöse Glaubwürdigkeit betrifft. Antwort auf ein wunderbares Geschenk – nennen wir es Natur, Leben, Schöpfung. Diese Begründung in einer Ver-Antwortung Gott gegenüber gibt unserem Handeln seine unbedingte Verbindlichkeit.
Diese Antwort bedeutet auch Dank. „Dank“ hängt etymologisch mit „Denken“ zusammen. Ein dankbarer Umgang mit der Schöpfung und ihrer Lebensfülle ist sowohl eine Frage des Glaubens als auch des vernünftigen Denkens. Wie viel Verantwortungslosigkeit im Umgang mit der natürlichen Umwelt ist einfach Gedankenlosigkeit? Wie viel Verantwortungslosigkeit und Gedankenlosigkeit im Umgang mit der Schöpfung müssen wir als Gottlosigkeit bezeichnen?

9. Ich habe als Bischof den Wahlspruch „Propter nostram salutem – um unseres Heiles willen“, ausgewählt. Dies wird – zurecht – meist als umfassendes heilendes Handeln auf Menschen und ihr Zusammenleben hin interpretiert. Heute erkennen wir aber auch immer deutlicher, dass „propter nostram salutem“ auch heißt: zum Wohl der Schöpfung handeln; dass wir unser heilendes Handeln ausdehnen müssen auf die ganze bedrohte und beschädigte Schöpfung.

10. Darum betrachte ich es konsequenten Ausdruck meiner Verantwortung als Bischof und als Bestätigung meiner langjährigen persönlichen Anliegen, dass die Diözese Rottenburg-Stuttgart im Jahr 2003 als eine der pastoralen Prioritäten unter der Überschrift „Zum Wohl der Schöpfung handeln“ formuliert hat: „Nachhaltiges Handeln im persönlichen Lebensbereich sowie in Kirche und Gesellschaft stärken.“ An Konkretisierungen wird dabei u.a. genannt: „Verbrauch von Energien und natürlichen Ressourcen reduzieren. Die Erzeugung und Nutzung regenerativer Energien fördern.“ Sowie: „Teilnahme von Gemeinden und kirchlichen Vereinigungen am Programm ‚Kirchliches Umwelt- und Nachhaltigkeitsmanagement‘.“ Dies wurde durch die Beschlüsse des Diözesanrats Ende November 2007 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Klima-Initiative für die kommenden Jahre bestätigt. Das begrüße ich, darüber freue ich mich, und das unterstütze ich gerne und nach Kräften.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit, wünsche Ihnen einen guten Nachhauseweg und einen gesegneten Sonntag.

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