Stuttgart, Stella Maris
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
unsere Kirche wird dann als glaubwürdig erfahren, wenn sie sich in Treue zu Jesus Christus und in Verantwortung vor dem Evangelium der Fragen und Sorgen, der Hoffnung und des Ringens der Menschen unserer Zeit um ein geglücktes und sinnerfülltes Leben annimmt und wenn sie in redlicher Zeitgenossenschaft ihren Dienst dafür erbringt. Ich betone dies unter Berufung auf das Zweite Vatikanische Konzil, dessen Beginn sich in wenigen Tagen zum 50. Mal jährt. Die Pastoralkonstitution "Gaudium et Spes" dieses Konzils beginnt mit den berühmten Worten: "Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen von heute, besonders der Armen und Bedrängten aller Art, sind auch Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger Christi. Und es gibt nichts wahrhaft Menschliches, das nicht in ihren Herzen seinen Widerhall fände." (GS 1)
Wenn ich dies auf die Fragen beziehe, die die Menschheit heute bewegen, dann gehören dazu sicher auch die Folgen des Klimawandels und der Erderwärmung, die uns mehr denn je gefährden. Und wenn in "Gaudium et Spes" von den "Armen und Bedrängten aller Art" die Rede ist, dann sind damit nicht nur die Menschen gemeint, die an die sozialen Ränder der jeweiligen Gesellschaften gedrängt werden, sondern auch die Angehörigen der heute lebenden und der künftigen Generationen, die darum bangen müssen, dass diese wunderbare Erde auch künftig ein bewohnbarer Lebensraum bleibt. Freilich sind es auch die Bewohner der Armutsregionen dieser Erde, die heute schon am stärksten durch die Auswirkungen der Klimaverschiebung betroffen sind: durch Dürren und Flutkatastrophen, durch Ernteausfälle und Verteuerung der für sie ohnehin kaum erschwinglichen Nahrungsmittel. Und ich zögere nicht, in diesen Kreis auch die gesamte bedrängte Kreatur, unsere Mitgeschöpfe, einzubeziehen, die – um mit dem Apostel Paulus zu sprechen – "seufzt und in Wehen liegt" (Röm 8,22).
Eine konkrete Konsequenz aus der selbstverpflichtenden Aussage von „Gaudium et Spes“ ist daher ohne Zweifel unsere Verantwortung für eine wirkliche Klimagerechtigkeit. Klimagerechtigkeit ist eine Frage der Solidarität. Es wäre ein Missverständnis, als wären wir in dieser Solidarität diejenigen, die nach Gutdünken geben oder auch nicht, während andere die Nehmenden wären, die auf uns angewiesen sind. Diese Solidarität verbindet uns alle, weltweit, lange bevor wir sie wahrnehmen und als unsere Herausforderung annehmen. Und es wäre ein verhängnisvoller Trugschluss, als könnten wir uns in unserem Handeln davon ausnehmen, ohne dass nicht nur andere, sondern auch wir selbst Opfer einer solchen Entsolidarisierung wären. Im Hinblick auf die Zukunft unserer Erde sind wir eine Schicksalsgemeinschaft.
"Gaudium et Spes" begründet diese grundlegende Solidarität mit dem Christusglauben. Die Konstitution sagt von der Kirche: "Ist doch ihre eigene Gemeinschaft aus Menschen gebildet, die, in Christus geeint, vom Heiligen Geist auf ihrer Pilgerschaft zum Reich des Vaters geleitet werden und eine Heilsbotschaft empfangen haben, die allen auszurichten ist." Was also für
jeden vernünftigen Menschen eine grundlegende Einsicht sein muss, erfährt für Christen noch einmal eine ganz eigene, genuine Motivation, die sich aus ihrer Treue zu Jesus Christus ergibt. Und darum, sagt das Konzil, "erfährt diese Gemeinschaft", die Kirche, "sich mit der Menschheit und ihrer
Geschichte wirklich engstens verbunden."
Mit der Klima-Initiative der Diözese Rottenburg-Stuttgart, die ich vor fünf Jahren ins Leben gerufen und öffentlich vorgestellt habe, sind wir also keineswegs auf einen modischen Themenzug aufgesprungen. Sie ist vielmehr – im Rahmen unserer Möglichkeiten – Ausdruck unseres Glaubens an Jesus Christus und ebenso Ausdruck unseres Wissens um die globale Solidargemeinschaft der Menschen. Und – wie bereits gesagt – ich beziehe in diese Solidargemeinschaft ausdrücklich auch unsere nichtmenschlichen Mitgeschöpfe ein. Ich habe vor zwölf Jahren als Leitwort für meinen Dienst als Bischof das Wort aus dem Glaubensbekenntnis der Kirche gewählt: "Um unseres Heiles willen". Der ganze Satz lautet: "Für uns Menschen und um unseres Heiles willen ist er vom Himmel herabgestiegen." Es ist meine tiefe Überzeugung, dass sich das Heil, die Rettung, der Schalom in einem umfassenden Verständnis, die uns in Jesus Christus geschenkt sind, nicht nur auf uns Menschen und den Sinn unseres menschlichen Lebens beziehen. Vielmehr gilt dies der ganzen vielfach bedrohten und geschändeten und doch so wunderbaren Schöpfung, deren Teil wir sind.
Nach diesen theologischen Gedanken komme ich zum konkreten Anlass dieses Abends: zur Verleihung des Franziskus-Preises 2012. Zum dritten Mal wird er in diesem Jahr vergeben. 19 Kirchengemeinden, Verbände und Einrichtungen haben sich dafür beworben. Und sie stehen für sehr viele andere, darunter auch die Ordensgemeinschaften, die sich bereits früher beworben haben oder die bislang von einer Bewerbung abgesehen haben und dennoch mit beeindruckender Kreativität und Kompetenz dazu beitragen, dass aus den vielen kleineren und großen Initiativen ein Ganzes wird, das mehr ist als die Summe seiner Teile: nämlich eine schöpfungsfreundliche Kirche, die in solidarischer Zeitgenossenschaft ihr Glaubenszeugnis ablegen will. Das erfüllt mich mit großer Freude. Denn es zeigt: In unserer Diözese ist eine Saat aufgegangen.
Wir haben diesen Preis, mit der Erinnerung an den hl. Franz von Assisi verknüpft, dessen Fest die Kirche heute begeht. Damit stellen wir unsere Bemühungen in eine spirituelle Tradition, die zu den großen und bis heute überzeugenden Strängen gelebten Christseins gehört: eine Spiritualität der Dankbarkeit gegenüber dem Schöpfer und der tiefen Ehrfurcht vor seiner Schöpfung. Und die Sonne, die der Poverello von Assisi in seinem berühmten Hymnus besingt, war zu allen Zeiten ein Symbol für Jesus Christus, die Sonne der Gerechtigkeit. Ich darf in diesem Zusammenhang einige Worte aus Reinhold Schneiders Buch "Verhüllter Tag" zitieren, die bis heute nichts von ihrer Aktualität verloren haben. Reinhold Schneider schreibt dort: "Franziskus wollte keinen Baum abschlagen, das Feuer nicht kränken, das Wasser nicht auf der
Erde vergeuden: das sind letzte Folgerungen aus dem von Christus gestifteten Verhältnis zur Welt. Wie weit sind wir hinter ihnen geblieben!" (Reinhold Schneider, Verhüllter Tag, Frankfurt a. M. 1980, 143.1)
So ist es ein schönes Zeichen, dass auch in diesem Jahr den Preisträgern ein Bronze-Medaillon überreichen darf, das den hl. Franziskus darstellt und Bezug auf seinen Sonnengesang nimmt. Der Rottweiler Maler und Bildhauer Siegfried Haas hat es 2008 für uns geschaffen. Er ist im Frühjahr des vergangenen Jahres hoch betagt verstorben.
Vielen habe ich herzlich zu danken.
Ich danke herzlich Herrn Ministerpräsident Winfried Kretschmann, der in diesem Jahr die Schirmherrschaft über den Franziskus-Preis übernommen hat, nachdem er bereits 2008 und 2012 die Jury geleitet hat. Ich danke Herrn Ministerpräsident Kretschmann auch sehr für das Grußwort, das er zur Dokumentation des Franziskus-Preises 2012 beigetragen hat.
Ich danke herzlich der Jury für die sicher nicht einfache Aufgabe, die Bewerbungen zu sichten und eine Entscheidung zu treffen: allen voran Ihnen, Herr Minister Untersteller, der Sie in diesem Jahr Jury-Vorsitzender waren und nachher auch die Laudatio vornehmen werden. Mein aufrichtiger Dank gilt auch
den anderen Mitgliedern der hochrangig besetzten Jury: Herrn Professor Arno Lederer, Herrn Professor Dr. Ortwin Renn, Herrn Professor Dr. Günther Sabow, Herrn Professor Dr. Markus Vogt, Herrn William Vorsatz, Herrn Dr. Johannes Warmbrunn. Die beiden Damen, die ebenfalls Mitglieder der Jury sind, hatten sich für die Sitzung leider kurzfristig entschuldigen müssen: Frau Professor Annet-Maud Joppien und Frau Professor Sophie Wolfrum.
Dem Strategieentwicklungsteam der Klima-Initiative unter dem Vorsitz von Herrn Ordinariatsrat Dr. Joachim Drumm bin ich für seine kontinuierliche und erfolgreiche Arbeit sehr dankbar.
Ich danke Frau Architektin Anna Blaschke sehr für die gelungene Aufbereitung der Präsentation der eingereichten Projekte.
Gerne höre ich dem Spiel von Herrn Karlheinz Heiss und Herrn Uwe Renz zu und freue mich sehr auf die weitere musikalische Gestaltung dieser Feier.
Ich danke herzlich allen, die für die organisatorische Vorbereitung dieser Preisverleihung Sorge getragen haben. Und zuerst und zuletzt danke ich Ihnen allen, die Sie mit Ihren Bewerbungen zum Ausdruck bringen, dass Ihnen die Bewahrung der Schöpfung ein Herzensanliegen ist.
Ich wünsche Ihnen allen noch frohe Stunden in diesem Haus.
Dr. Gebhard Fürst
Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart