„Nichts fehlt mir so sehr wie der Gesang“ – Äußerungen wie diese waren im vergangenen Jahr oft zu hören, wenn über die Feier von Gottesdiensten unter Corona-Bedingungen gesprochen wurde. Aber nicht nur der Gemeindegesang fehlte. Von einem Tag auf den anderen konnten Kirchen-, Jugend- und Kinderchöre nicht mehr wie gewohnt proben oder Gottesdienste mit gestalten. Die Diözese legt nun das Förderprogramm „Chöre kontern Corona“ auf, mit dem die Chöre dabei unterstützt werden sollen, innovative Ideen und Aktionen für den „Wiedereinstieg“ zu entwickeln. Im Interview haben wir dazu Weihbischof Gerhard Schneider befragt. Er leitet im Bischöflichen Ordinariat die Hauptabteilung, die auch für die Chöre in der Diözese zuständig ist.
Herr Weihbischof, wie kam es zur Idee, dieses Programm zu entwickeln?
Am Anfang stand weniger die Not der Chöre, sondern die Faszination darüber, was unsere Chöre und die Chorleiterinnen und -leiter trotz der massiven Einschränkungen in der Corona-Krise zu leisten vermochten. Praktisch über Nacht fanden sich viele Chormitglieder, die bereit waren, alleine als Kantorin oder Kantor im Gottesdienst mitzuwirken – was sie sich vorher nie getraut hätten. Das gleiche gilt für die kleinen Chorgruppen, die sich bildeten und in Gottesdiensten mitwirken. Eine Dynamik und Innovationskraft, wie sie ohne die Krise nicht vorstellbar gewesen wäre. Uns wurde bewusst: Wir müssen dieses Potential, das in vielen Chören steckt, fördern und mithelfen, es weiter zu entwickeln.
Immer wieder war zu lesen, die Krise gefährde die Chöre in Ihrer Existenz. Haben Sie einen Überblick darüber, wie es um die Chorlandschaft in der Diözese steht?
Oft wissen die Chorleiterinnen und Chorleiter selbst nicht, was passieren wird, wenn sie den ganzen Chor wieder zur Probe einladen. Aber bisher wissen wir nur von wenigen Chören, die sich selbst in ihrer Existenz gefährdet sehen. In einer wirklich besonders schwierigen Situation befinden sich aber unsere Kinder- und Jugendchöre. Ein Jahr Pause ist für Kinder und Jugendliche eine Ewigkeit. Wir hoffen, dass sich diese Chöre wieder neu formieren können und möchten sie deswegen besonders fördern.
Ist die Kirchenmusik also einer der großen Verlierer der Pandemie?
So würde ich es nicht formulieren. Es ist einerseits sicher richtig, dass die Musik und generell die Kunst massiv beeinträchtigt sind. Dazu kommt besonders bei den Sängern die belastende Erkenntnis, dass das eigene Wirken, das eigentlich Freude und Glück zu den Menschen bringen soll, mit einem Mal als für andere gefährdend gilt. Für viele war und ist das kaum zu ertragen. Andererseits habe ich noch nie die Menschen in unseren Gemeinden so dankbar für die Musik und den Gesang erlebt wie während der Krise. Wo die Gemeinde nicht singen darf, tut dies die Kirchenmusik stellvertretend, so, wie es eben gerade möglich ist. Dies wird intuitiv verstanden und sehr geschätzt. Die Musik erfüllt dabei nicht nur einen liturgischen, sondern auch einen zutiefst diakonischen Dienst. Sie kann die Menschen durch das gesungene Gebet über die Verworrenheit und die Angst, die sich in der Coronakrise breit gemacht haben, hinwegheben.
Sie meinen, erst als die Musik fehlte, wurde sie in ihrem Wert neu erkannt?
Das ist ja tatsächlich eine Erkenntnis der Pandemie: In dem Moment, in dem Gesang nicht mehr in der gewohnten Form möglich ist, wird entdeckt, wie grundlegend wichtig er für unsere Feier von Gottesdiensten ist. Bei einer Umfrage nach dem ersten Lockdown im Sommer 2020 war die mit Abstand häufigste Antwort auf die Frage, welche die größte Beeinträchtigung bei der aktuell möglichen Feierform von Gottesdiensten sei, das Verbot von Gemeindegesang. Auch nach der Pandemie wird diese gewachsene Wertschätzung für die Kirchenmusik bleiben.
Wie genau sieht das Förderprogramm aus?
Chöre, die in Trägerschaft einer Kirchengemeinde unserer Diözese sind, können für ein bestimmtes Projekt einen Zuschuss beantragen. Das kann eine Aktion sein, die noch während der Krise stattfindet, zum Beispiel die Ausrüstung für die Möglichkeit zu digitalen Chorproben oder Einzelproben. Es ist aber auch möglich, jetzt schon konkrete Projekte für die Zeit zu planen, in der wieder Proben und Choraufführungen in Gottesdiensten möglich sind. Der Kreativität der Chöre und dem Mut zu Innovationen sollen dabei keine Grenze gesetzt sein. Wir möchten vor allem dazu ermutigen, dass sich die Chorvorstände und -leitungen jetzt schon Gedanken machen und planen, wie es weitergehen kann. Das Antragsverfahren ist deswegen denkbar einfach. Gleichzeitig laden wir die Chöre dazu ein, ihre Ideen mit anderen zu teilen und über Ihre Aktionen und Projekte auf einer eigens dafür eingerichteten Homepage zu berichten. So können in einer „kollegialen Beratung“ gute Ideen weitergegeben werden.
Zuletzt eine persönliche Frage: Gibt es eine Erfahrung mit Chören während der Pandemie, die sie besonders bewegt hat?
Mich beeindruckt sehr, dass ich von Chorleiterinnen und Chorleitern sowie von Sängerinnen und Sängern ganz wenige Klagen oder gar Vorwürfe höre. „Das, was geht, machen wir mit Herz und Begeisterung“, höre ich oft. Damit verbunden ist eine geistliche Haltung, die oft auf einer tiefen Gelassenheit aus dem christlichen Glauben ruht. Das fasziniert mich.