Corona

Credo trotzt Corona: Die Pandemie ins Gebet nehmen

Was hat der gekreuzigte Christus mit der Pandemie zu tun? In der Lumen-Christi-Kapelle im Kloster Maihingen hängt Jesus Christus an einem Kreuz in Gestalt eines Lebensbaumes – ausgespannt zwischen Himmel und Erde. Foto: Steffel

Corona-Erfahrungen brauchen Raum, verlangen tieferes Nachdenken, auch im Licht des Glaubens. Das Dekanat Ehingen-Ulm macht einen ersten Aufschlag.

„Wie im Dauerdelirium, wie mit einer Matschbirne“ hat es sich angefühlt, als Hermann Kreer von Covid-19 heimgesucht wurde: „Dieses Virus ist eine heimtückische Sache, auf keinen Fall zu verharmlosen.“ Genau ein Jahr liegt seine schwere Covid-19-Erkrankung zurück. Damals habe er mit seinem Leben „schon abgeschlossen“ gehabt, berichtet er freimütig. „Ich bin ein Mensch, der sagt: Wenn es soweit ist, dann ist es soweit“, sagt er und findet, dass ihn seine Corona-Erfahrung in seiner Einstellung zum Tod noch gelassener gemacht habe. Loslassen zu können und alles Weitere Gott zu überlassen, „was er mit mir vorhat“, erlebt Kreer als wirksames Mittel gegen Angst.

Den unterschiedlichen Erfahrungen in Bezug auf Corona Raum zu geben – etwa Erfahrungen von Leid, dem Gefühl der Verwundbarkeit, der Einsamkeit und Leere –, aber zugleich auch Horizonte zu öffnen für die mystische Dimension des Lebens, für Gottvertrauen und für Umkehr, das hat sich das Dekanat Ehingen-Ulm zur Aufgabe gemacht. Nach einem geistlichen Weg durch die Fastenzeit, der zentrale Themen der Spiritualität in den Blick nahm und „ein wunderbares Netzwerk im Glauben entstehen“ ließ, wie Dekanatsreferent Dr. Wolfgang Steffel erläutert, soll es jetzt darum gehen, Bausteine einer Theologie der Pandemie zu sammeln. Eine erste „Baustelle“ wurde kürzlich bei einem Online-Vortrag eröffnet.

Die Pandemie theologisch bedenken

„Theologie der Pandemie bedeutet, dass die Pandemie von Gott her gesehen wird. Wir dürfen die Pandemie nicht nur praktisch-technisch-organisatorisch bewältigen, sondern sie theologisch bedenken, ‚sub ratione Dei‘, das heißt unter der Berücksichtigung ihres Gottesbezugs, von Gott her, auf Gott hin, in Gott hinein, durch Gott hindurch“, sagt Steffel. Nicht zuletzt deshalb, weil verschiedene Erfahrungen und Begriffe, die den Umgang mit der Pandemie prägen, auch zentrale Themen des Glaubens seien.

Das gelte etwa für den Begriff der vulnerablen Gruppen, die Vulnerabilität (Verwundbarkeit), die in aller Munde sei. Für den gläubigen Menschen gelte mit den Worten des Theologen Ottmar Fuchs: „Christus ist die offensive Öffnung zwischen Gott und der Welt. Und als diese Öffnung ist er eine Wunde, nicht heilend, bis alles heil ist.“ Oder wie ein Kind im Blick auf ein Wandkreuz gesagt habe: „Dieser Gott blutet ja!“ Steffel findet es auch bemerkenswert, dass im Deutschen „Wunde“ und „Wunder“ so nahe beieinanderliegen. „Der Auferstandene ist der Gekreuzigte.“

Neue Suchbewegungen ausgelöst

Mit dem Prager Theologen Tomas Halik teilt Steffel die Einschätzung, dass Corona neue Suchbewegungen ausgelöst habe, gar eine neue Gemeinschaft der Suchenden entstehen ließ, die sich herkömmlichen Schubladen entziehe. Man könne nicht mehr aufteilen „zwischen denjenigen, die sich für Gläubige halten und denjenigen, die sich für Ungläubige halten. ‚Suchende‘ gibt es sowohl unter den Gläubigen als auch unter den ‚Ungläubigen‘“, meint Halik. Der tschechische Theologe erinnert außerdem an Krisen früher Zeiten: Als im Mittelalter in vielen Regionen Europas keine Gottesdienste stattgefunden hätten und keine Sakramente gespendet worden seien, „begannen die Menschen eine persönliche Beziehung zu Gott, den ‚nackten Glauben‘, zu suchen – Laien-Bruderschaften und die Mystik erlebten einen großen Aufschwung“. Notzeiten seien also auch Zeiten eines innerlichen Glaubenswachstums.

Hier wies Steffel zugleich auf einen aktuellen Mangel hin, indem er an das Lied „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ von Philipp Nicolai erinnerte, welches dieser als Trostlied für seine Gemeinde in Pestzeiten verfasste, als er teils über 30 Beerdigungen am Tag hatte: „Wo sind solch großartige geistliche Trostquellen als Antwort auf die Pandemie heute? Wo wird unsere Christusbeziehung in dieser Zeit wirklich als duftende Blume, als Honig, als himmlisches Manna, als Jaspis und Rubin erschlossen, wie’s Nicolai tat? Wo sind die neuen Metaphern der Gottverbundenheit aus der Feder der Theologen?“ Nicolai griff bewusst die Bedeutung des Rubins als verklärte Wunde des auferstandenen Herrn auf, wie es dann später ebenfalls in Pestzeiten Friedrich von Spee im Osterlied „Ist das der Leib“ machte: „Rubinen gleich die Wunden all.“

Corona als Fingerzeig?

Dass die Besinnung auf den Kern des christlichen Glaubens Not tut, findet auch Hermann Kreer. Corona könne ein Fingerzeig sein, ein Zeichen der Zeit, wie sie es in der Geschichte des Christentums immer wieder gegeben habe. In diesem Sinne – nur in diesem Sinne – würde er auch von Heimsuchung sprechen: „Heimsuchung ist für mich, dass man wieder zu Gott findet, zurück in seine Nähe kommt“, sagt Kreer – eine Deutung, die auch Wolfgang Steffel zur Reflexion und Diskussion stellt: „Heimsuchung“ als Beschreibung dichtester Gottesgegenwart und damit Zeitraum der Selbstprüfung und Erneuerung? „Heimsuchung“ als Gewahrwerden dessen, dass wir nur Empfangende sind?

„‘Heimsuchung‘ wäre dann kein Begriff von Moralaposteln und Unheilspropheten, sondern die Umschreibung eines Zeit- und Ruheraumes der Selbst- und Gotteserkenntnis, in dem unser Sünder-Sein nicht im einseitig moralisch verstanden wird, sondern als Anerkennung abhängiger Geschöpflichkeit und als Gewahrwerden, wo wir in Strukturen der Sünde leben, die der Umkehr bedürfen“, sagt Steffel in Anlehnung an den evangelischen Theologen Tobias Kaspari. „Diese Heimsuchung lässt dann auch Fragen zu, die im sonst so schnellen Tempo der Wachstums- und Perfektionsgesellschaft verdrängt werden: Was müssen wir als Gesellschaft und im persönlichen Leben ändern? Wo haben wir das Böse ‚gut‘ und das Gute ‚böse‘ genannt?“

Jesus ruft zur Umkehr auf

Der Mensch werde in der Pandemie, in der Religion und Kultur gefälligst warten müssten, auf den homo faber und homo consumens reduziert: „Ein nackter Materialismus feiert fröhliche Urständ. Aber Gott ist Geist (Joh 4,24), wie könnte da sein Ebenbild, der Mensch, geistlose Materie sein?“ Deshalb brauche es stets Prüfung und Einkehr, ob wir Gott, uns selbst und die Nächsten noch lieben, wozu wir als Ebenbilder Gottes berufen sind. Ausgangspunkt dieser Überlegungen war die Rede Jesu über den Einsturz des Turms am Teich von Schiloach in Jerusalem mit achtzehn Toten (Lk 13,4f), wo Jesus mit dem vehementen Nachweis, dass hier kein Individuum von Gott gestraft werde, einen ebenso vehementen Aufruf zu einer gemeinschaftlichen Umkehr verbindet.

Über die theologische Reflexion hinaus, so betont der Dekanatsreferent, gelte es, die Pandemie „ins Gebet zu nehmen“. „Fallen Gebet und Nachdenken im Glauben und damit der Gottesbezug aus, dann wird Corona zum Götzen, zum neuen Gott, um den sich alles dreht.“ Ähnlich beschreibt es Markus Krämer: „Corona ist eine Krankheit und wir müssen sie als Krankheit erkennen, behandeln und uns vor ihr so gut es geht schützen“, sagt das Teammitglied der „action spurensuche“, einer geistlichen Bewegung auf den Spuren des Ellwanger Volksmissionars Pater Philipp Jeningen. „Aber mehr ist Corona nicht! War es nicht, ist es nicht und wird es auch nicht werden.“ Es gelte, die entschleunigte Zeit zu nutzen, „die uns durch Corona verordnet wurde, nicht um nur zu klagen und zu zweifeln, zu kritisieren und zu hinterfragen. Nutzen wir die geschenkte Zeit für das Gebet mit Gott, die Freundschaft zu ihm und daraus zu unserem Nächsten, wer es auch immer in dieser Zeit sein mag.“

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