Geschichte

Das Augustinusbuch der Sophie Scholl

Das Augustinusbuch der Sophie Scholl stand im Mittelpunkt einer Veranstaltung von keb und Caritas in Ulm. Foto: DRS/Jerabek

Texte des Kirchenlehrers Augustinus haben Sophie Scholl inspiriert. Ein Augustinusbuch aus ihrem Besitz erzählt eine spannende Geschichte.

Es ist ein besonderes Buch, das auf Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung (keb) und der Caritas Ulm-Alb-Donau kürzlich an einem besonderen Ort einem interessierten Publikum vorgestellt wurde: Augustins Buch über die göttliche Dreieinigkeit, das aus dem Besitz Sophie Scholls stammt, zog im Bischof-Sproll-Haus an der Olgastraße in Ulm, gleich neben dem einstigen Wohnhaus der Familie Scholl, neugierige Blicke auf sich. Diözesancaritasdirektor Oliver Merkelbach brachte das Buch, das Sophie Scholl prägte, mit nach Ulm. Und eine bemerkenswerte Geschichte mit dazu.

„Sie wissen aber schon, dass die Sophie evangelisch war“, so sei er vor einigen Jahren von Elisabeth Hartnagel (1920-2020), der Schwester von Hans und Sophie Scholl, gefragt worden, erzählte Merkelbach. Anlass des Gesprächs war die Einweihung eines neuen Gebäudes des katholischen Dekanats Ludwigsburg, dessen Dekan Merkelbach seinerzeit war. Das neue Ludwigsburger Dekanatshaus erhielt den Namen von Sophie Scholl, deren Familie (vor dem Umzug nach Ulm) für zwei Jahre nur wenige Meter entfernt gewohnt hatte. Neben der geografischen Nähe sei es dem Dekanat wichtig gewesen, „in Sophie Scholl eine Frau zu ehren, die tief im christlichen Glauben verwurzelt war, die aus diesem christlichen Glauben motiviert Widerstand gegen das atheistische Regime leistete“, so Merkelbach.

Kurz vor ihrem Tod noch gelesen

Am Ende eines Besuch bei Frau Hartnagel, zu dem er in ihr Stuttgarter Wohnhaus eingeladen worden war, habe er dann jenes Buch aus Sophie Scholls Besitz mit den Gedanken des Kirchenlehrers überreicht bekommen, berichtete Merkelbach. „Das hat Sophie kurz vor ihrem Tod noch gelesen, bei Ihnen ist es in guten Händen“, habe ihm Elisabeth Hartnagel mit auf den Weg gegeben. Nun, 14 Jahre später, in denen Oliver Merkelbach das Buch sorgsam verwahrt hat, sei es an der Zeit, einen neuen, dauerhaften und dem Andenken an Sophie Scholl dienenden Platz für das Buch zu finden, befand der Caritasdirektor – der heute übrigens genau gegenüber der Schule wohnt, die Sophie Scholl in ihrer Ludwigsburger Zeit besucht hatte.

Was genau hat es nun mit diesem Augustinusbuch auf sich? Eine Schlüsselfigur in dieser Frage ist Otto „Otl“ Aicher (1922-1991), ein Freund der Geschwister Scholl. Der junge Katholik aus Ulm-Söflingen habe die Geschwister Scholl mit christlichen Gedanken zum Widerstand beeinflusst und Sophie Scholl zur Lektüre des Kirchenlehrers Augustinus motiviert, erklärte der Ulmer keb-Leiter Dr. Oliver Schütz. In einem spannenden Referat ergründete Schütz diese weniger bekannte Facette Aichers, der später zu einem der prägendsten Grafikdesigner des 20. Jahrhunderts wurde und im Mai dieses Jahres 100 Jahre alt geworden wäre.

Etwas Systemsprengendes

In der christlichen Philosophie entdeckte Aicher, der sich geweigert hatte, der Hitler-Jugend beizutreten, ein Bollwerk gegen den Nationalsozialismus. Als die Geschwister Scholl sich nach anfänglicher Begeisterung zunehmend von der HJ abkehrten und nach neuer Orientierung suchten, sei Otl Aicher, dem „ein missionarischer Charakter eigen war“, zum bedeutsamen Gesprächspartner geworden, sagte Schütz. Den alten Augustinus zu lesen sei nicht einem Traditionalismus geschuldet, im Gegenteil: „die Texte des Augustinus hatten etwas Systemsprengendes, und zwar sowohl das enge amtskirchliche System dieser Zeit, wie auch das staatlich-totalitäre System des Nationalsozialismus“, so Schütz. „Augustinus vertritt vereinfacht gesagt die Auffassung, dass über den weltlichen Herrschern eine andere, göttliche Macht steht. Und dass die Ordnung der Welt von Gott ausgeht, nicht von menschlichen Ideologien. Genau diese Gedanken trafen die Seelenlage der jungen Schollgeschwister in der Zeit ihres geistigen und politischen Erwachens.“

An Augustinus das eigene Denken geschärft

Drei Aspekte hat der Theologe und Historiker Schütz herausgeschält, „in denen Sophie Scholl ihr eigenes Denken an dem des Augustinus schärfte: erstens die Ordnung der Welt, zweitens die Liebesbeziehung, drittens die Gottsuche“. Die Auffassung, „dass gegen alle irdische Herrschaft die größere Herrschaft Gottes steht, die ›civitas Dei‹, wie Augustinus sie nennt, das war ein Gegenmodell zum Faschismus. Und das legitimierte auch den Widerstand“, so Schütz.

Auch in ihrer Liebe zu Fritz Hartnagel habe sie nach Ordnung gesucht, wollte sie „die Beziehung auf eine geistige Grundlage stellen“, in Gott verankern, erläuterte Schütz: „Genau davon handelt das Augustinusbuch aus ihrem Besitz über die Dreifaltigkeit. Der Kirchenvater legt dar, dass Gott in der Form der drei Personen in sich selbst Ausdruck der perfekten Liebe ist. Diese Liebe Gottes durchdringt und ordnet die Wirklichkeit. Lassen sich die Menschen von dieser göttlichen Liebe erfassen, weitet sich ihr Herz von der kleinen, ich-bezogenen Verliebtheit zu einer weiten, grenzenlosen Liebe. Danach strebt Sophie.“

Lieblingsmusik von Sophie Scholl

Wie das Streben nach Ordnung sich auch in musikalischen Vorlieben von Sophie Scholl ausdrückte, erläuterte und demonstrierte Sarah Scharpf bei dieser Veranstaltung. In Intermezzi am Klavier spielte sie Lieblingsmusik von Sophie Scholl, zum Beispiel das Lied „Bist du bei mir“ von Johann Sebastian Bach. Bach habe für sie ordnende Funktion, schaffe Klarheit, so die Musikerin, die in der offenen Bildungsarbeit von keb und Dekanat die Profilstelle Paare, Ehe und Familie innehat. Als weitere Lieblingslieder von Sophie brachte sie „Die Forelle“ von Franz Schubert und „Die Gedanken sind frei“ zu Gehör.

Als dritten Bereich, in dem Augustinus wie ein Katalysator für das Denken von Sophie Scholl wirkte, hat Dr. Oliver Schütz die Gottessuche ausgemacht. Mit einem Zitat der Scholl-Biografin Barbara Beuys legte er dar: „Der Gott des Augustinus bot die unerschütterliche ewige Sicherheit, nach der Sophie Scholl auf der Suche war.“ Sicherheit habe sie vielleicht erst kurz vor ihrem Tod gefunden. „Da beobachten andere an ihr eine tiefe Gelassenheit, als sie am 22. Februar 1943, vier Tage nachdem sie beim Verteilen von Flugblättern mit ihrem Bruder Hans erwischt wurde, zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet wurde“, sagte Schütz.

Aus Denken wird Tat

Sophie Scholl sei es immer wichtiger geworden, „dass ihr Denken praktische Konsequenzen habe, dass sie nicht beim schöngeistigen Lesen und Diskutieren bleibe, sondern zur Tat schreite“, und schloss sich den Aktionen der Weißen Rose an, führte der Referent weiter aus. Otl Aicher und Augustinus hätten das Ihre dazu beigetragen, dass Hans und Sophie Scholl „eine ökumenische, von christlichen und humanistischen Werten geprägte Haltung“ fanden, für die sie ihr Leben gaben. Das eindrucksvolle Erbe der ermordeten Geschwister – das Augustinusbuch steht symbolisch für ihre Prägung – „sowohl im Geistigen wie im Politischen ist auch Ansporn für die Katholische Erwachsenenbildung und die Caritas“, sagte Schütz.

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