Schulen

„Das Gesicht der Kirche“

Eine Generation von Lehrern, in der die religiöse Identität und Verwurzelung ganz selbstverständlich ist: Hedwig Arbogast (von links), Margit Schleifer, Schuldekan Helmut G. Bertling, Bruno Kiefer und Eva Strohm. Foto: DRS/Jerabek

Was kann Religionsunterricht heute leisten? Wie hat sich das Fach gewandelt? Scheidende Religionslehrerinnen und –lehrer diskutierten.

Mehr als 110 Jahre Erfahrung im Religionsunterricht hatte der Heidenheimer katholische Schuldekan Helmut G. Bertling um sich versammelt: vier Lehrkräfte an Grund-, Haupt- und Realschulen – zwei im Staatsdienst, zwei im kirchlichen Dienst –, die zum Schuljahresende in den Ruhestand treten. Statt in der großen Dienstbesprechung wurden sie corona-bedingt in kleinstem Rahmen verabschiedet. Doch dafür öffneten sie ihr sprichwörtliches „Nähkästchen“, teilten Erlebnisse und Erfahrungen, sprachen über Chancen und Grenzen des Fachs und was es heißt, Religionslehrer zu sein.

Klar, Religion ist ein besonderes Fach mit besonderen Anforderungen, „denn es geht nicht nur um Wissensvermittlung wie in Englisch, sondern es geht auch um Glaubensfragen“, wie Eva Strohm, staatlich ausgebildete Lehrerin an der Eugen-Gaus-Realschule in Heidenheim, es formuliert. Glaub-würdig über Jesus Christus zu erzählen und eigene Glaubenserfahrungen einzubringen ist deshalb die wohl wichtigste Kompetenz eines Religionslehrers.

Erzählen ist das A und O

„Vor allem in den unteren Klassen gilt: Erzählen ist das A und O“, sagt Bruno Kiefer, Lehrer im Staatsdienst an der Gemeinschaftsschule am Brenzpark in Heidenheim. Es habe ihn immer fasziniert, wie lang da die Schüler zuhören können. „Wenn ich das so frei erzähle, wirkt das für die Schüler auch glaubwürdig.“ Das ging auch mal soweit, dass sich in seiner vorletzten Klasse zwei türkische Kinder aus Ethik abgemeldet und bei ihm in katholischer Religion angemeldet hätten, berichtet Kiefer.

Hedwig Arbogast pflichtet ihm bei: „Das Erzählen, die Geschichten, stehen immer an erster Stelle“, stellt die Religionslehrerin im Kirchendienst fest, wenn ihre Schüler am Ende des Schuljahres auf einem Fragebogen vermerken, was ihnen wie gut gefallen hat. Wenn man vom Glauben spreche, sei Glaubwürdigkeit das Allerwichtigste: „Glaubst du das wirklich, dass Jesus auferstanden ist? – Ja.“ Die Schüler hätten eben ein feines Gespür dafür, ob man als Lehrerin oder Lehrer authentisch ist.

Dankbar für ehrliche Antwort

„Man wird ja auch ganz oft gefragt: Wie sehen Sie das? Glauben Sie das? Was halten Sie davon?“, berichtet Eva Strohm. Die Schüler seien an der persönlichen Meinung des Religionslehrers interessiert, in der auch eigene Fragen und Zweifel Platz haben dürfen. „Ich habe das Gefühl: die Schüler sind sehr dankbar für eine ehrliche Antwort.“

Zu den von Schülern häufig gestellten Fragen zählt Bruno Kiefer auch diese: Gehen Sie sonntags in die Kirche? „Ein Sonntag ohne Gottesdienst ist für mich kein vollwertiger Sonntag – und das erkläre ich den Schülern auch so.“

Immer mehr Schüler kennen Kirchen freilich nur noch von außen. „Ich hab‘ die Erfahrung gemacht, dass Schüler einerseits wenig mitbringen an Wissen, etwa über die Bibel und die Sakramente; viele sind nicht gefirmt, zum Teil auch nicht getauft, haben also wenig kirchliche Sozialisation", berichtet Eva Strohm. "Aber viele sagen andererseits, dass sie glauben: Es gibt einen Gott."

Vielfach nicht verinnerlicht

Ob es vor diesem Hintergrund gelingen kann, zentrale Inhalte des katholischen Glaubens wie das Eucharistieverständnis zu vermitteln, sehen die Lehrkräfte eher skeptisch. „In Klasse 3 wird Eucharistie umfassend erklärt, doch für viele Schüler bleibt das ein Stück weit Theorie, denn es wird nicht gelebt“, gibt Margit Schleifer zu bedenken, die als Religionslehrerin im kirchlichen Dienst 20 Jahre lang vor allem an der Grundschule Niederstotzingen unterrichtet hat. Wenn es nicht zuhause praktiziert werde, bleibe es nur eine Lehrplaneinheit und gehe nicht „ins Leben über“. Die Höhepunkte des katholischen Glaubens würden vielfach nicht verinnerlicht, bedauert Schleifer.

Zumindest fragwürdig finden es die Lehrer in diesem Zusammenhang, wenn Grundschulkinder, die vom Religionsunterricht abgemeldet wurden, trotzdem zur Erstkommunion zugelassen würden. Hier und überhaupt sei eine engere Verzahnung von „Reli“ in der Schule und Gemeindepastoral wünschenswert.

Deutlich gewandelt hat sich in den vergangenen 40 Jahren der Stellenwert von Gebet und Gesang im Unterricht, findet Bruno Kiefer: „In den ersten zehn, 15 Jahren gab es keinen Religionsunterricht, der nicht mit einem Gebet begonnen hat und in dem nicht ein Lied gesungen wurde – egal ob es bei den Fünfern oder bei den Neunern war: es hat dazugehört“.

Religionsunterricht als Lebenshilfe

Eva Strohm erinnert sich an einen Liedkoffer, mit dem die Lehrkräfte an ihrer Schule in den Religionsunterricht gegangen sind. „Es war selbstverständlich, dass man am Anfang gesungen hat, mit oder ohne Instrumente. Doch heute klappt das gar nicht mehr“, resümiert Strohm. Und Bruno Kiefer sagt, es werde immer schwieriger, denn die Kinder fänden das Singen heute „albern oder uncool“.

Was macht guten Religionsunterricht heute aus und wie muss er sich wandeln, dass er am Ball bleibt? „Jeder sucht, jeder möchte heil werden, jeder hat irgendwie eine versteckte Sehnsucht, übers Leben nachzudenken“, erklärt Schuldekan Bertling. Religionsunterricht werde deshalb immer mehr als Lebenshilfe und Lebensbegleitung wahrgenommen und bedeute „90 Minuten wohldosierte Impulse, wie man sinnstiftend über das Leben nachdenken könnte“, sagt Bertling und wendet sich direkt an die Religionslehrerinnen und –lehrer: Für viele Kinder, die keinen Kontakt zur Kirchengemeinde hätten, „sind Sie das Gesicht der Kirche“. Ansprechpartner zu sein für Lebensfragen finden die Lehrkräfte sehr wertvoll – und der Bildungsplan lasse ja auch Freiräume dafür, um auf Schülerfragen und –wünsche einzugehen.

Durchweg dankbar sind die scheidenden Lehrkräfte für das kollegiale Verhältnis auch zu evangelischen Religionslehrern, etwa bei der Vorbereitung von Wort-Gottes-Feiern. „Wir stärken uns gegenseitig“, sagt Hedwig Arbogast. Ohne diese gegenseitige Stärkung wäre es schwierig. Oft sei sie von ihren Schülern gefragt worden, ergänzt Eva Strohm, warum sie nicht zusammen mit anderen unterrichtet würden. „Dieser Wunsch nach Ökumene ist groß. Vor allem, weil sie gemerkt haben: die haben ähnliche Themen.“ Das wenige, was die Kinder in der Regel mitbringen, sehe sie nicht als Barriere.

Im Namen der Hauptabteilung IX Schulen von Ordinariatsrätin Ute Augustyniak-Dürr sprach der Schuldekan den scheidenden Lehrkräften einen herzlichen Dank für ihren Einsatz aus und überreichte einen Blumenstrauß in den Kirchenfarben Gelb und Weiß, „weil Sie die Kirche durch Ihre Tätigkeit zum Blühen gebracht haben“.

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