Das größte Missverständnis der Menschheitsgeschichte

Foto: LTT/Martin Sigmund

Das Theaterstück "Judas" im LTT Tübingen stellt die Sicht von Judas auf das Geschehen um Jesu Tod dar. Ein Mediencheck.

„Ich bin Judas, Judas Iskariot.“ Das ist der letzte Satz in dem Einpersonenstück „Judas“ im Landestheater Tübingen. Judas hat eine Stunde lang laut nachgedacht, wer er ist und was seine Schuld ist. Eine Stunde lang wird das Publikum in die Zeit Jesu zurückversetzt und kann die Geschichte um den Heiland der Menschheit durch die Brille des Verräters betrachten. Am Ende spürt der Zuschauer, dass auch Judas nur seine ganz persönliche Geschichte mit dem Mann aus Nazareth erzählen kann und nicht mehr weiß als alle Christen in der 2.000jährigen Geschichte des Christentums. Keiner, so die Lehre des Stückes, kann Jesus wirklich verstehen.

„Glaubt jemand, dass Jesus wirklich für eure Sünden gestorben ist?“ fragt Judas ziemlich am Anfang das verdutzte Publikum. Betretene Stille. Keiner meldet sich. Das Theaterpublikum wird ins Stück einbezogen und weiß auch nicht mehr als der Protagonist Judas. Wofür dieser Jesus wirklich gestorben ist? Keine Ahnung.

Judas hat an die Befreiung von den Römern geglaubt, hat auf die herrschaftsfreie Zeit gehofft. Jesus als neuer König ohne Herrschaft, in Judas Träumen eine Herrschaft über alle Länder der damalig bekannten Welt. Und dann hat er als einziger die Katastrophe kommen sehen. Wofür Jesus dann gestorben ist? Judas hat es schlichtweg nicht verstanden.

Dabei hat er ihn doch so eifersüchtig geliebt, hat alle anderen Jünger von der Seite Jesu verdrängen wollen, um ihn ganz für sich und seinen Plan zu haben. Doch Jesus hatte einen anderen Plan als Judas. Jesus wollte seinen Weg zu Ende gehen und benutzte Judas, so jedenfalls sieht es der Judas im Rückblick.

Eine Stunde lang denkt Judas laut über seinen Meister nach und kommt dann doch zu dem traurigen Schluss, dass er missbraucht wurde und dass er sich für alle die geopfert hat, die mit Jesus ihre eigenen Pläne hatten, die Schriftgelehrten, die Juden und die Römer. Für sie alle ist er, Judas, gestorben, nicht Jesus.

Wofür aber der Tod Jesu? Judas hat keine Antwort und dieser eine Moment der Stille, als Judas die Frage ans Publikum weitergibt, offenbart: Wir heute wissen es immer noch nicht. Für unsere Sünden jedenfalls, so die These des Stückes, kann es nicht gewesen sein. Vielleicht ist er für alle gestorben, das legt das Stück nahe, die wie Judas ihre eigenen Pläne mit Jesus hatten, die ihn missbrauchten für ihre Zwecke. Und vielleicht ist er in diesem Sinne für uns gestorben, für uns alle, die ihm nicht zuhören.

„Judas“ im Landestheater Tübingen ist ein großer Monolog über uns Menschen, die wir den Gottessohn missverstehen und ihn benutzen. „Judas“, ein Stück über das vielleicht größte Missverständnis der Menschheitsgeschichte.

Im Oktober wird das LTT Tübingen „Judas“ noch einmal aufführen.

Mediencheck

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