Juliane von Nathusius ist eine von rund 40 Interessierten, die sich auf den Weg gemacht haben: Mit einem Bus durchkreuzen sie einen Tag lang das Dekanat, begleitet von Dekan Ulrich Kloos und den Dekanatsreferenten Maria Grüner und Dr. Wolfgang Steffel, um an verschiedenen Stationen mit Mitarbeitenden verschiedener kirchlicher Dienste und Einrichtungen und natürlich auch untereinander ins Gespräch zu kommen. Es geht um „Kirchenräume und Kirchenträume“, wie es auf dem Einladungsflyer heißt – und „dass die Kirche am Ort lebendig bleibt“, wie Kloos eingangs unterstreicht.
Dass Menschen in der Kirchengemeinde ein Zuhause finden
„Mir ist der katholische Glauben wichtig, und über Gemeinschaft kann man zum Glauben finden und Glauben leben“, sagt Juliane von Nathusius. Sie ist gewählte Vorsitzende des Kirchengemeinderats in Westerheim (Seelsorgeeinheit Laichinger Alb) und kandidiert zum zweiten Mal für das Gremium, „auch wenn das Ehrenamt zeitintensiv ist“, wie sie zugibt. Gottesdienste, Gebet und vielfältige Angebote in der Gemeinde bilden „die Plattform, dass der Heilige Geist wirken kann“. Weil sie ihrem Glauben und dem Evangelium Mund und Stimme, Hand und Herz geben will, absolviert sie auch einen Katechistenkurs – „das kann ich jedem nur empfehlen“. Ein Herzensanliegen ist der 54-Jährigen, die mit ihrem Mann und der Familie einen Geflügelhof wuppt, die Bewahrung der Schöpfung: Christkönig Westerheim ist „Faire Gemeinde“.
Erste Station: Kirche an vielen Orten
Unterstützung zu leisten, dass das Miteinander im Stadtviertel gelingt und belebt wird, ist Ziel des „QuartiersProjekts“ der Caritas Ulm-Alb-Donau am Wenzelstein in Ehingen. Sozialpädagoge Benjamin Henn und Familienberaterin Manuela Puseljic berichten von vielfältigen Angeboten wie Begegnungscafé, einem regelmäßigen Mittagstisch, Kinder-Ferienprogramm, Freizeiten für Jugendliche, Treffpunkt für Ältere, Nachbarschaftsfest, Vesperkirche, „Verschnaufbänkle“ und anderes mehr. In dem von Hochhäusern und viel Migrationserfahrung geprägten 5000-Einwohner-Stadtteil sollen Barrieren abgebaut werden und auch die Menschen eine Chance auf aktive Teilhabe bekommen, die einsam sind oder über andere Strukturen vielfach nicht erreicht werden.
Harald Gehrig, leitender Pfarrer der Seelsorgeeinheit Ehingen-Stadt, hebt das gute Netzwerk aus Caritas, katholischer und evangelischer Kirchengemeinde sowie städtischen Stellen hervor; auch der örtliche Einzelhandel bringt sich bei Projekten ein. Wenn etwa eine Gruppe des katholischen Kindergartens den Seniorentreff besucht, wenn Erstkommunionkinder die Papiertüten für die Vespertütenaktion bemalen, wenn die Kirchengemeinde unbürokratisch Räume öffnet, dann geht kirchliches und bürgerschaftliches Engagement Hand in Hand. Die Wahl-Fahrt-Teilnehmer zeigen sich beeindruckt, finden aber auch, dass wo so viel geleistet und gestaltet wird aus christlichem Geist, doch auch eine gute Chance sei, öfter auch religiöse Impulse zu setzen: Denn wovon das Herz überfließt, davon spricht sein Mund (Lk 6,45).
„Viele Menschen schauen nicht mehr links und rechts, dabei ist Gemeinschaft so wichtig“, sagt Nicole Egetenmeyer aus Langenau. „Ich finde, dass man füreinander etwas tun kann.“ Deshalb kandidiert die 44-Jährige für den Kirchengemeinderat von Mater Dolorosa (Seelsorgeeinheit Langenau – Rammingen). Gern erinnert sie sich an die christliche Mädchengruppe, die sie selbst im Glauben geprägt hat, wo man „über Gott und Welt gesprochen hat“. Solche Angebote seien auch heute wichtig, „weil Menschen auf der Suche sind“. Sich im Bereich Kinder, Jugend und Familie zu engagieren, Jung und Alt zusammenzubringen – das hat sie sich für ihr Engagement in der Kirchengemeinde vorgenommen.
Zweite Station: Inklusion leben
Mit einem Schoklädle auf den Stühlen werden die KGR-Wahl-Fahrer im Pfarrer-Sailer-Haus in Allmendingen willkommen geheißen. Es ist, wie sich gleich herausstellt, ein didaktisches Leckerli: Nach Schokoladensorte sollen sich die Teilnehmer im Saal zusammenstellen – „Snickers“ hier, „Bounty“ dort, und drüben stehen die „Twix“-Leute. „Das war ein exklusives Spiel: Nur die, die ein gleiches Merkmal haben, konnten ein Grüppchen bilden“, sagt Sabine Steinwand, Seelsorgerin bei Menschen mit Behinderung im Dekanat Ehingen-Ulm. „Bin ich willkommen oder werde ich abgelehnt – das ist auch eine Erfahrung von Menschen mit Behinderung.“ Wie können wir für alle Menschen offen und einladend sein, das sei eine Frage, die sich jedem und jeder stellt , der oder die sich in der Kirche engagiert.
Wo fängt Behinderung an? Wer ist behindert? Wodurch werde ich behindert an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft? Eindrucksvoll berichtet Sabine Steinwand aus ihrer Arbeit, die sowohl exklusive als auch inklusive Angebote umfasst: Beratung und Seelsorge sowie religionspädagogische Angebote speziell für Menschen mit Behinderung, Erstkommunion- und Firmvorbereitung in kleinen Gruppen; aber eben auch die inklusive Erstkommunion in der Heimatgemeinde. Oft stehe ihre Arbeit im Spannungsfeld zwischen „Verbesonderung“ und „Ableismus“, also zwischen der besonderen, exklusiven Zuwendung und Förderung, die eine Form der Isolation sein kann, und einer Behandlung betroffener Menschen, die diese auf ihre Behinderung reduziert und damit abwertet. Letztlich gehe es darum, Achtsamkeit zu leben, betont die Seelsorgerin. „Ich träume von einer inklusiven Kirche.“
Auch hier gibt es interessierte und nachdenkliche Nachfragen, nicht zuletzt den Hinweis, dass sich unsere Gesellschaft um den Abbau von Behinderungen müht, gleichzeitig aber dazu neigt, Kinder mit Behinderung „abzubauen“, bevor sie geboren werden.
„Ich habe mein ganzes Leben mit jungen Leuten gearbeitet und ich hoffe, dass sich die Kirche mehr auf die jungen Leute fokussiert“, sagt George Taurman aus Bernstadt (SE Dornstadt - Bollingen – Tomerdingen). Deshalb kandidiert der aus Kentucky stammende US-Amerikaner für den Kirchengemeinderat von St. Ulrich Dornstadt. „Pfarrer Weber hat mich gefragt: Hast du Interesse – und ich habe gedacht: warum nicht.“
Dritte Station: Jugendräume - Jugendträume
Wie Kirchengemeinden jungen Menschen und ihren Sehnsüchten in der Kirche Raum geben können, darum ging es – nach einem leckeren Mittagessen in der Taverna Azzurra – bei der nächsten Station: dem katholischen Jugendreferat in Ulm. Weil auch in der religiösen Sozialisation viel über Räume laufe, sei es wichtig, dass Kirchengemeinden diese Räume selbstlos anbieten, sagt Dekanatsjugendreferent Bernd Dammann. „Man muss Jugendliche machen lassen, weil sie sich selber ausprobieren wollen und wissen wollen, welche Potenziale in ihnen stecken.“ Man dürfe sie nicht „verzwecken“ oder mit Auflagen belegen, dann bestehe eine gute Chance, sie später irgendwann auch für ein Engagement in der Kirche zu gewinnen. Zusammen mit seinem Team zeigt er multimedial in verschiedenen Räumen des Jugendreferats, wie (laut Studien) junge Leute aus verschiedenen Milieus „ticken“ und was das für die kirchliche Jugendarbeit bedeuten kann.
„Ich finde es wichtig, dass sich jeder sozial engagiert“, sagt Ferdinand von Detten aus Pappelau – und kandidiert erstmals für den Gemeinderat von Mariä Himmelfahrt in Ringingen, das zur SE Erbach gehört. Der 57-Jährige ist bereits bei den Maltesern sehr engagiert und hat – wie wohl alle KGR-Wahl-Fahrer – alles andere als Langeweile, „aber für mich ist es selbstverständlich, dass man mitmacht, wenn man gefragt wird“.
Vierte Station: Räume für eine Kirche der Zukunft
Anklänge an ein Nomadenzelt hat das neue Gemeindehaus in Langenau, das vor zwei Jahren fertiggestellt wurde und eine ansprechende und einladende Einheit mit der „Zelt“-Kirche Mater Dolorosa bildet (SE Langenau – Rammingen). Stolz präsentiert Ilka Bollmann, seit zehn Jahren gewählte Vorsitzende des Kirchengemeinderats, das ebenso kompakte wie zweckmäßige Gebäude und führt die Wahl-Fahrt-Teilnehmer durch die Räumlichkeiten. Engagiert schildert sie die Herausforderungen eines solchen Bauprojekts und freut sich, sich jetzt wieder verstärkt der Gestaltung der Gemeinde zu widmen, „damit Menschen in der Gemeinde ein Zuhause finden, eine Gemeinschaft, wo sie sich wohlfühlen, und wo wir Gott nahe sind, der uns ja alles schenkt.“ Dafür kandidiert sie wieder.
Das Bild des Zeltes greift abschließend Pfarrer Claus Stoll in einem Impuls auf. So wie Jesus ein „Mann der Straße“ war, der mit den Menschen ein Stück Weg ging, seien auch Menschen heute unterwegs „als Nomaden des 21. Jahrhunderts“, Pilger zu Gott hin, der unsere Heimat sein möchte. Sich als pilgernde Kirche zu erfahren, Kirchenräume neu zu denken, Glaube und Gemeinschaft zu gestalten und Kirchenträume zu leben – darum geht es, wenn sich diözesanweit tausende Frauen und Männer als Kirchengemeinderätinnen und -räte in die Pflicht nehmen lassen – am 30. März wieder neu.