Tagung

Kirche als Erlebnisraum

Christoph Schmitt (l.) erklärt die Ravensburger Liebfrauenkirche, Professor Dr. Hartmut Rupp (Praktische Theologie Heidelberg) (r.) hört aufmerksam zu - Foto: DRS/Waggershauser

Über 30 Gästeführerinnen aus Baden-Württemberg erfahren und erproben in Ravensburg neue Formen der Kirchenpädagogik.

"Suchen Sie mal Gegenstände, die nicht aus der Bauzeit dieser Kirche sind." Michael Schock betritt mit einer Gruppe die evangelische Stadtkirche in Ravensburg. Die Frauen und Männer, die sich daraufhin neugierig in dem hohen gotischen Gotteshaus bewegen, sind selbst Kirchenführer:innen beziehungsweise Stadtführer:innen. Oder sie sind wie Rainer Paasch Kirchenhüter:innen. Er ist im doppeltürmigen Wahrzeichen Friedrichshafens beim Schloss für ganz praktische, aber auch inhaltliche Fragen ansprechbar.

Auf Einladung der Landesarbeitsgemeinschaft Kirche und Tourismus in Baden-Württemberg lassen sich diejenigen, die sonst anderen christliche Sakralgebäude erklären, einen Tag lang in der Oberschwabenmetropole selbst auf den "Erlebnisraum Kirche" ein. Michael Schock teilt den Teilnehmenden in der Stadtkirche lupenähnliche gelbe Papierteile aus, in die er ein kleines Loch zum Durchschauen gestanzt hat. Dadurch lassen sich Details leichter erkennen. Oder er lässt sie in zwei Gruppen singend durch den Raum schreiten, um die Akustik wahrzunehmen. "Hier erfährt man Neuigkeiten, die man einbringen kann in die eigene Führung", freut sich Anneliese Pallmann, Stadtführerin in Pfullendorf.

Abenteuerlich die Kirche entdecken

"Kirchenpädagogik ist ein aktives Erschließen des Raumes", erklärt Hartmut Rupp, Professor für Praktische Theologie in Heidelberg, in seinem Impulsvortrag. Entstanden sei die Kirchenpädagogik laut Rupp, weil Grundschüler:innen nichts mehr mit dem Kirchenraum anfangen konnten. Als Forscher, Entdecker und Abenteurer in der Kirche unterwegs zu sein und sich die Symbolik spielerisch zu erschließen, machte den Kindern jedoch Spaß. "Heute gibt es auch Kirchenraumpädagogik mit Rollator", verweist der Dozent mit einem Augenzwinkern auf die Angebote für alle Altersgruppen.

Ob selbst regelmäßigen Kirchgängern in der katholischen Ravensburger Liebfrauenkirche das Schatzkästchen schon aufgefallen ist? Es ist eines der versteckten Details, die Christoph Schmitt herausgreift, um Alltag und Theologie zu verbinden. Der für Kirchenraumpädagogik Zuständige im Institut für Fort- und Weiterbildung der Diözese Rottenburg-Stuttgart lässt die Gruppe das Kästlein suchen und zeigt es ihnen schließlich an der vordersten Wange des Chorgestühls beim Sakramentshaus. Dort hält es der biblische König David in der Hand.

Das Geheimnis des Schatzkästchens

Eine Teilnehmerin identifiziert das Kästchen als Bundeslade, in dem die Tafeln mit den Zehn Geboten aufbewahrt wurden. Die Flügel der Cherubim, die auf der Lade sitzen fehlen. Die Skulptur sei längere Zeit auf dem Speicher entsorgt gewesen, weiß Schmitt. Eine Brücke zur Marienkirche finde sich in der Lauretanischen Litanei, in der die Muttergottes als "Bundeslade" bezeichnet werde. Maria habe den Schatz der Heiligkeit empfangen und in sich aufgenommen, deutet Schmitt das auch heute verständliche Symbol des Schatzkästchens auf Marias Bereitschaft, den Sohn Gottes in sich zu tragen und auf die Welt zu bringen.

Hans-Peter Häusele, Kirchenführer in Wolfegg, greift die Anregung gerne auf, die Besucher:innen nicht nur mit historischen Daten zu füttern, sondern ihre Gedanken und Überlegungen einzubeziehen. Für eine gute Kirchenführung müsse man nicht mal gläubig sein, ist Helmut Fidler überzeugt. Die Guides müssten nur in der Lage sein, das Raum- und Bildkonzept zu "lesen". So könnten sie "durch die Erklärung eine kleine Predigt halten." Der Historiker und Reiseleiter, der das Projekt "Kirchen, Klöster, Weltkultur" in der Bodenseeregion auf den Weg brachte, verweist auf die große Schnittmenge zwischen Kirche und Tourismus.

Vom Pilgern zu Wellness

Und auf das Potential, das darin steckt. Die Hälfte derer, die in der Region Urlaub machen, besuchten eine Kirche. Das seien an touristischen Orten Hunderttausende. "Ja, auch die Kirche darf ihre Produkte vermarkten", ist Fidler überzeugt. Bis zur Aufklärung sei ein Großteil des Tourismus in kirchlicher Hand gewesen. Schließlich habe es im Christentum immer eine große Reisetätigkeit gegeben, beispielsweise die Wallfahrten nach Jerusalem oder Rom. Und Pilgerfahrten nach Lourdes oder zu anderen Heilquellen seien eine Vorform des angesagten Gesundheitstourismus.

Verena Ernst von der Tagungsleitung lobt den lebendigen Austausch der Teilnehmenden. "Das hat mich nochmals angespitzt: Wo kann man diese gemeinsame Schnittfläche stärker aufgreifen", resümiert die Referentin für  Kirche und Tourismus in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Auch Eva Maria Herbst aus Ummendorf geht zufrieden nach Hause. Obwohl es bis zu ihrem Ruhestand noch etwas dauert, sucht sie schon Perskektiven und stellt im Blick auf Kirchenführungen fest: "Von meinem bisherigen Beruf als Religionspädagogin wäre ich dafür nicht ungeeignet."

Informationen

Die "Landesarbeitsgemeinschaft Kirche und Tourismus in Baden-Württemberg" ist eine Arbeitsgemeinschaft der Erzdiözese Freiburg, der Evangelischen Landeskirche in Baden, der Diözese Rottenburg-Stuttgart und der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Aufgabe der Landesarbeitsgemeinschaft ist es, durch geeignete Absprachen die Tätigkeit der mit der kirchlichen Arbeit im Tourismus Beauftragten zu unterstützen.

Bei der Tagung "Erlebnisraum Kirche: Wo Besucher zu Gästen werden" wirkten auch das Dekanat Allgäu-Oberschwaben, die evangelische und katholische Gesamtkirchengemeinde Ravensburg und die Katholische Erwachsenenbildung (keb) Kreis Ravensburg e.V. mit.

Im Rahmen der Tagung stellte der Ravensburger Pastoralreferent Michael Schindler auch die Kirche St. Jodok mit ihrem Kirchenschiff ohne Bänke als "Gasthaus für Pilger und Flaneure" vor.

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