Am 22. Juni 1997 empfing Thomas Maria Renz vom damaligen Bischof der Diözese Rottenburg-Stuttgart (DRS), Walter Kasper, die Bischofsweihe. Im Interview blickt der 64-Jährige Weihbischof auf das vergangene Vierteljahrhundert in diesem Amt und seine Ursprünge im Priesteramt zurück.
Herr Weihbischof Renz, herzlichen Glückwunsch zum silbernen Weihejubiläum. Sie leben und arbeiten nun schon seit vielen Jahrzehnten bei uns in der DRS. Ursprünglich sind Sie aber ein gebürtiger Münchner. Sind Sie ein waschechter Oberbayer und wie sind Sie nach Württemberg gekommen?
Meine Eltern sind waschechte Oberschwaben aus Ravensburg und Weingarten, aber auf Grund eines beruflichen Engagements meines Vaters in München bin ich dort auf die Welt gekommen. Bereits wenige Wochen nach meiner Geburt sind wir wieder ins Württembergische zurückgekehrt und nach einigen weiteren Umzügen haben sich meine Eltern schließlich in Ludwigsburg niedergelassen. Allerdings wäre ich um ein Haar der millionste Münchner Bürger geworden, der Ende 1957 erwartet wurde und später Ehrenbürger der Stadt München geworden ist. Wenn es mich erwischt hätte, wären meine Eltern vermutlich länger dortgeblieben.
1984 hat Sie Joachim Kardinal Meisner in Rom zum Priester geweiht. Sie waren damals Mitte 20. Wie haben Sie Ihre Berufung zum Priester erlebt oder erfahren und wie kam es überhaupt dazu, dass die Priesterweihe in Rom stattgefunden hat?
Für meine Berufungsfindung waren im Wesentlichen drei Faktoren ausschlaggebend: ein religiös-kirchliches Elternhaus, mehrere beeindruckende Priesterpersönlichkeiten sowie wunderbare Jahre in der Ministrantenarbeit. Das Zusammenspiel dieser drei Erfahrungsbereiche haben es mir erleichtert, Gottes Ruf zu vernehmen und ihm zu folgen. Ich durfte dann zwei Jahre in Tübingen und fünf Jahre in Rom studieren und beide Studienphasen waren sehr bereichernd für mich. Im deutschsprachigen Priesterseminar Collegium Germanicum in Rom war es damals üblich, zu den Weihen Bischöfe aus den Heimatbistümern der Weihekandidaten einzuladen. So kam es, dass Bischof Georg Moser 1983 zu meiner Diakonenweihe nach Rom kam und ein Jahr später Kardinal Meisner, da in meinem Weihekurs zwei Studenten aus seinem damaligen Erzbistum Berlin stammten.
Lassen Sie uns ins Jahr 1997 springen. Damals wurden Sie Weihbischof der DRS und waren mit 39 Jahren das jüngste Mitglied der Deutschen Bischofskonferenz. Wie war das als "Jungspund" unter all den älteren Bischöfen?
Als ich kurz nach meiner Bischofsweihe mit Bischof Kasper zum Weltjugendtag nach Paris gefahren bin, war ich schon rein optisch mit schwarzem Haar und Vollbart unter den ergrauten Häuptern der dort versammelten Bischöfe ein Exot. Als ich dann einem Bischof einer englischsprachigen Diözese erzählte, in welcher Diözese ich Weihbischof bin, reagierte er spontan mit: „Ah, you are Kaspers boy.“ Da wusste ich, was ein Weihbischof ist. Das Flair der Jugend aber verfliegt rasch und im Nu ist aus dem Youngster ein Oldie geworden. Inzwischen gibt es unter den 66 amtierenden Bischöfen und Weihbischöfen in Deutschland nur noch fünf, die länger im Amt sind als ich.
Mit 64 Jahren, davon 38 als Priester und 25 als Weihbischof, haben Sie einen umfangreichen Blick auf die Katholische Kirche und die Entwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte. Im vor kurzem zu Ende gegangenen Format „Ned gelabert“ mit Kira Beer haben Sie auf YouTube immer wieder Stellung zu aktuellen kirchen- und gesellschaftspolitischen Themen bezogen. Wenn wir bei der Kirche bleiben, was sind aus Ihrer Sicht die drei dringlichsten Schritte, die getan werden müssen, um die Katholische Kirche in die Zukunft zu führen?
Erstens: Wir müssen mehr von Jesus Christus als von der Kirche sprechen. Das „Credo in unum Deum“ kommt im Glaubensbekenntnis an erster Stelle, das „Credo Ecclesiam“ erst an vierter. Schon bei meiner Priesterweihe habe ich als Primizspruch das Pauluswort gewählt: ‚Ich habe mich entschlossen, bei Euch nichts zu wissen außer Jesus Christus, und zwar als den Gekreuzigten‘. Und ‚nichts‘ meint hier wirklich nichts. Zweitens: Wir brauchen mehr Formate und Räume, in denen Gott Großes und Unfassbares wirken kann, wie unlängst beim Pfingsttreffen junger Menschen in Ulm, nach dem eine 28-Jährige gesagt hat: ‚Ich bin so berührt, überwältigt und fasziniert von der Größe und Herrlichkeit Gottes. So eine Ehre, ihm dienen zu dürfen und gerufen zu sein. Es ist so viel Gnade geflossen in diesen zwei Tagen.‘ Die Gnade Gottes wird fließen, wenn wir sie fließen lassen. Drittens: Wir müssen uns gesellschaftspolitisch viel stärker einbringen; natürlich für die Bewahrung von Schöpfung und Frieden, aber genauso auch für den Lebensschutz. Starke politische Tendenzen, den Lebensschutz für Ungeborene aufzugeben, gibt es ja nicht nur in Amerika, sondern auch bei uns. Ich hoffe, dass in den bevorstehenden gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen die Kirche als Anwältin der Schwächsten, den noch stummen und wehrlosen Ungeborenen, eine vernehmbare Stimme verleiht. Sie muss deutlich machen, dass uns die Freigabe der vorgeburtlichen Kindstötung kein Mehr an Humanität und keinen Segen bringen wird. Denn eine Gesellschaft, die legitimiert, dass Hand an den eigenen Nachwuchs gelegt werden darf, ist eine zutiefst toxische Gesellschaft, die gerade ihre eigene Zukunft verspielt.
Abschließend möchte ich Sie, Herr Weihbischof Renz, fragen, was war Ihr eindringlichstes Erlebnis in Ihrem Amt – gerne das schönste, aber auch das für Sie vielleicht schwierigste?
Zu den schönsten Erlebnissen meiner bisherigen Amtszeit zählen die vielen Begegnungen mit begeisterten jungen Menschen etwa bei Zeltlagern, bei den 72-Stunden-Aktionen des BDKJ oder bei den Weltjugendtagen mit bis zu zwei Millionen Jugendlichen in Paris, Rom, Toronto, Köln, Sydney, Madrid und Krakau - eine wunderbare Erfahrung einer bunten und weltweiten Glaubensgemeinschaft. Die überbordende Lebensfreude junger Menschen, die ihren Glauben an Jesus Christus feiern und sich gleichzeitig für andere engagieren, hat mich immer sehr beeindruckt und beflügelt. Zu meinen traurigsten Erlebnissen gehört der Amoklauf in Winnenden am 11. März 2009 und die spontane ökumenische Trauerfeier, die ich gemeinsam mit Landesbischof July am selben Abend in der katholischen Kirche in Winnenden mitgestaltet habe. Bei dieser Wahnsinnstat eines einzelnen starben auch eine Ministrantin, die ich erst kurz zuvor gefirmt hatte, und eine junge Lehrerin, die ich Jahre zuvor ebenfalls gefirmt und anschließend beerdigt habe. So etwas geht nicht spurlos an einem vorbei.