Kirchenentwicklung

Mitten in der Gesellschaft von morgen

Diözesanbaumeister Dr. Thomas Schwieren in der Kapelle des Bischofshauses - Foto: DRS/Raabe

Diözesanbaumeister Thomas Schwieren spricht über Kirchen als Teil einer gemeinwohlorientierten Orts- und Stadtentwicklung.

Auf dem Klosterberg in Reute bei Bad Waldsee entsteht gerade in Gebäuden, die bisher von Schwestern genutzt wurden, Wohnraum. Dort sollen Menschen einziehen, die offen für eine gemeinschaftliche Lebensform sind. Reute ist ein Beispiel von gemeinwohlorientierter Orts- und Stadtentwicklung, der im Sommer das Symposium "Gemeinschaft baut Zukunft" im Tagungshaus der diözesanen Akademie in Weingarten gewidmet ist. Diözesanbaumeister Thomas Schwieren ist dort Referent. Im Vorabinterview spricht er über Veränderungsprozesse kirchlicher Bauwerke und wie sie in Zusammenarbeit mit anderen Trägern ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft behalten können.

Herr Schwieren, als die älteren Kirchen in der Diözese gebaut wurden, bildeten sie nicht nur architektonisch das Zentrum der Stadt oder des Dorfes. Die Gotteshäuser stehen immer noch da. Welche Bedeutung haben Sie heute?

Die rund 1000 älteren Kirchen sind immer noch Mittelpunkt der Orte und historischen Quartiere. Alle Bewohner - egal welcher Religion oder Konfession - kennen sie und für die allermeisten sind unsere Kirchtürme auch ein elementares Bild, wenn Sie an zu Hause oder Heimat denken. Die Basiliken in Weingarten oder Ellwangen und die Kirchen in ganz, ganz vielen anderen Orten sind identitätsstiftend, sie sind für die Orientierung und den Städtebau unverzichtbar. Überlegen Sie einmal, in wie vielen Wappen und Stadtlogos unsere Kirchen und Kirchtürme ein wesentlicher Bestandteil der Selbstdarstellung sind.

Da geht es dann doch vor allem um die Wahrnehmung des Äußeren?

Haben die historischen Kirchen im Ort und in der Stadt eine große Bedeutung, ist das Kircheninnere oft weniger bekannt. Und auch die Innenräume unserer rund 400 "jungen" und teilweise unscheinbaren Kirchen der Nachkriegszeit kennen deutlich weniger Menschen.

Oft gruppieren sich um die alten und die jungen Kirchen auch noch Pfarrhäuser, Gemeindehäuser oder andere kirchliche Immobilien. Wird das alles noch benötigt?

Von Seiten des Bischöflichen Bauamtes gibt es schon seit bald 20 Jahren den Begriff der Standortentwicklung. Denn die über 1000 Kirchengemeinden verfügen seit Anfang der 1980er Jahre über 5500 Gebäude, davon rund 4900 im Eigentum. Damals hatte die Diözese deutlich über zwei Millionen Mitglieder. Die Babyboomer waren in der Pubertät und nicht wie heute kurz vor der Rente. Die Mitgliederzahlen sind seit den Spitzenjahren um rund 25 Prozent eingebrochen. Der Gebäudebestand ist aber nahezu unverändert zu damals.

Nun geht aber die Zahl Gemeindemitgliedern wegen des demografischen Wandels und vermehrter Kirchenaustritte zurück. Was kann sich die Diözese noch an Gebäuden leisten und wo investiert sie?

Das wirtschaftlich sehr gute letzte Jahrzehnt hat noch nicht zu einem Rückgang der Einnahmen geführt, sondern im Gegenteil viele Standortentwicklungen auch finanziell erst möglich gemacht. Denn bauliche Veränderung und Weiterentwicklung kosten erst einmal Geld.

Wir haben nicht nur unzählige Kirchendächer und Kirchtürme ortsbildprägend saniert und vieles für die kommende Jahre schon gerichtet und gelöst, sondern auch weitere Standortentwicklungen in Angriff genommen.

Der Prozess Kirche am Ort nahm Zukunftsfragen in den Blick und energetische Sanierungen spielten bei uns eine große Rolle.

An welche Standortentwicklungen denken Sie da?

Alleine weit über 100 fertiggestellte Kindesgartenneubauten und  Erweiterungen sowie über 60 Gemeindehausprojekte nur in den letzten zehn Jahren zeugen von vielen aktiven Kirchengemeinden, die sich den Herausforderungen der Zukunft ihrer Immobilien stellen. Aber wir werden noch deutlich mehr tun müssen und es ist uns schon länger klar, dass es in den kommenden Jahren notwendig sein wird, dass wir die Last des Gebäudeunterhalts in den Kirchengemeinden in den nächsten Jahren weiter deutlich reduzieren müssen.

Wie gehen Sie diese Reduzierungen an?

Das muss sehr besonnen zusammen mit den Gemeinden vor Ort pastoral, baulich, klimaneutral und finanziell überlegt werden. Dabei müssen die vielen unterschiedlichen Lebensräume wie Stadt und Land, katholisches Oberland und evangelisch geprägtes Altwürttemberg berücksichtigt werden. Auch wird es wichtig sein eine ganzheitliche Betrachtung aller Gebäude einer Kirchengemeinde und zunehmend auch einer ganzen Seelsorgeeinheit in den Blick zu nehmen.

Gibt es da Kooperationen?

Partnerschaften mit den evangelischen Mitchristen und Kommunen und anderen Vereinen werden immer notwendiger. Die Ehrenamtlichen werden dabei nicht weniger Verantwortung schultern müssen. Viele komplexe Herausforderungen, aber auch eine große Chance an vielen Orten vieles nachhaltig für die Zukunft zu gestalten, liegen vor uns.

In anderen Regionen werden Kirchen, die nicht mehr benötigt werden, verkauft. Es entstehen Restaurants, Büros oder Seniorenresidenzen in ihnen. Wie sind die Zukunftsperspektiven für die Gotteshäuser in unserer Diözese?

Die Medien stellen häufig architektonisch tolle Einzelprojekte dar, die jedoch bei der Masse der Sakralgebäude in Deutschland zurzeit noch weniger als ein Tausendstel ausmachen. Alleine in der Diözese Rottenburg-Stuttgart gibt es 2400 Sakralgebäude und wir haben zurzeit ein einziges Projekt mit Einbauten in einen Kirchenraum. Dazu kommt der Umstand, dass die Restaurants, Hotels oder Buchläden in Maastricht und andernorts in der Regel in Kirchengebäuden zu finden sind, die schon vor über 200 Jahren profaniert wurden und davor als Lager oder Archiv genutzt wurden

Es läuft also nicht so: Kirchenbank raus, Salonsessel rein?

In vielen dieser Kirchen hat kein Lebender jemals Gottesdienst gefeiert. Bei diesen medial verbreiteten Beispielen gibt es häufig keinen Verlust eines bekannten und bisher genutzten Kirchenraums.

Wir werden aber sicherlich in Zukunft auch Kirchen aufgeben müssen.

Das wird aber mit viel Bedacht und Sorgfalt geschehen und immer eingebettet sein in ein pastorales Gesamtkonzept für den Ort und die jeweilige Region.

Im Juli greift ein zweitägiges Symposium in Weingarten das Thema unter dem Motto "Gemeinschaft baut Zukunft" auf. Sie sind einer der Referent:innen und es geht dort um gemeinwohlorientierte Orts- und Stadtentwicklung. Für wen lohnt sich die Teilnahme am Symposium und warum?

Ich hoffe und denke die Tagung spricht alle an, die an der Kirche von morgen mitbauen wollen und die Hoffnung, Mut und Energie noch nicht verloren haben. Wir brauchen für den Weg in die Zukunft das Miteinander vieler gesellschaftlicher Akteure und jede Menge Kreativität.

Zur Person

Thomas Schwieren ist 1975 in Köln geboren und dort aufgewachsen. Nach seiner Ausbildung als Schreiner studierte er in Karlsruhe und Rom Architektur mit dem Master in Altbauinstandsetzung. In Wien und Köln arbeitete Schwieren in
Architekturbüros mit, bevor er 2012 als Diözesanbaumeister die Leitung des Bischöflichen Bauamtes der Diözese Rottenburg-Stuttgart übernahm. 2018 schloss er in Karlsruhe seine Promotion ab.

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