Tod und Trauer

Ideen für den Friedhof der Zukunft

Der „Campus Vivorum" soll Anregungen dazu geben, wie auch pflegefreie Beisetzungsorte künftig gestaltet werden können, damit sie Trauernden besser helfen, ihre Trauer zu verarbeiten. Foto: Achim Eckhardt/Raum für Trauer

„Friedhöfe der Zukunft dienen den Lebenden.“ Mit diesem Ziel ist der „Campus Vivorum“ eröffnet worden, ein Experimentierfeld zur Friedhofsentwicklung.

Der Campus Vivorum soll Impulse für die Entwicklung künftiger Friedhöfe geben, die sich an den Bedürfnissen der Hinterbliebenen orientieren. Die Initiative ist gleichsam eine Antwort auf den gesellschaftlichen Wandel und den tiefgreifenden Wandel in der Bestattungskultur einerseits, der sich in einem Trend zu pflegefreien Grabformen niederschlägt; andererseits greift sie die Erkenntnisse der Forschung zu den Themen Trauer, Trauerverarbeitung und Trost auf, wonach viele Hinterbliebene ihre Trauer am besten durch individuelle Handlungen direkt am Grab verarbeiten, etwa durch Ablegen persönlicher Gegenstände, was aber vielerorts derzeit satzungsgemäß nicht möglich ist. Gräber können den Lebenden dienen, wenn sie entsprechend konzipiert sind, davon sind die Initiatoren des Projekts überzeugt. Der Campus Vivorum soll zeigen, wie das geht.

Das Experimentierfeld stellt Strategien, Konzepte und Gestaltungsbeispiele vor, die dazu beitragen, Friedhöfe zum erfolgreichen Bestandteil jeder Kommune zu machen. Auf rund 6000 Quadratmetern stellt der Campus Vivorum vor, wie ein Raumgefüge aussehen kann, das die vielfältigen Bedürfnisse von Hinterbliebenen und ihre unterschiedlichen Anforderungen in verschiedenen Lebenssituationen berücksichtigt. Der Campus Vivorum soll zeigen, „wie eine psychologisch wirksame, gesellschaftlich nützliche und ökologisch sinnvolle Aufwertung die ökonomische Zukunftsfähigkeit bestehender Friedhöfe steigern kann", so die Initiatoren. Das gemeinsam mit den am Friedhof tätigen Institutionen und Verbänden und dem Büro für Landschaftsarchitektur „Karres en Brands“ geplante und realisierte Experimentierfeld zeigt, wie es gelingt, Friedhöfe für ihre Träger und die dort tätigen Gewerke zukunftsfähig zu machen.

Ort mit heilender und heilsamer Dimension

Für die Kirche war und ist die Bestattungskultur von je her wesentlicher Ausdruck des christlichen Glaubens. „Tote zu begraben“ und im Glauben an die Auferstehung ihr Gedächtnis wach zu halten, gehöre ebenso wie das Gebot „Trauernde zu trösten“ zu den sieben „Werken der Barmherzigkeit“, unterstrich Ordinariatsrätin Karin Schieszl-Rathgeb bei der Eröffnung des Campus Vivorum in Süßen. Angesichts des tiefgreifenden Wandels in der Bestattungskultur gelte es, als Kirche daran mitzuwirken, „dass die Erinnerung an die Verstorbenen und die Trauer der Hinterbliebenen weiterhin lebendig sein können“, sagte die Leiterin der Hauptabteilung XI - Kirche und Gesellschaft in ihrem Grußwort. Einen Ort der Erinnerung zu haben und zu gestalten, könne helfen, Schmerz und Trauer, die mit der Verlusterfahrung verbunden sind, zu bearbeiten. „In diesem Sinne schafft ein solcher Ort eine individuell heilende und heilsame Dimension", sagte Schieszl-Rathgeb.

Die psychologische Wirkung des Grabes zur Trauerbewältigung gilt als das wichtigste Potential von Friedhöfen. Dafür sollten Trauernde hier jedoch bestimmte Freiheiten haben, die aktuell bei vielen pflegefreien Grabformen nicht gegeben sind. Das hat die Initiative „Raum für Trauer“ in jahrelangem Austausch mit Wissenschaft und Praxis erkannt. Das neue, weltweit erste Experimentierfeld Campus Vivorum soll Impulse für die Entwicklung von künftigen Friedhöfe geben, die sich an den Bedürfnissen der Hinterbliebenen orientieren.

Rituale geben Sicherheit

Über 300 Bürgermeister, Friedhofsverwalter und andere Vertreter von Kommunen und Kirchen aus ganz Deutschland nahmen an der Eröffnung in Süßen teil. Auf dem Campus Vivorum konnten sie erstmals die bauliche Umsetzung jahrelanger Forschungsergebnisse zur psychologischen Wirkung des Grabes als Trauerort erleben. Ebenso präsentiert der Campus Vivorum beispielsweise Gemeinschaftsflächen für Begegnung und Austausch sowie gemeinsames Erinnern. Friedhöfe mit entsprechenden Angeboten seien besonders wichtig für Kommunen und ihre Bürger, so Günter Czasny, Sprecher der Initiative Raum für Trauer. Ideeller Träger der Initiative ist die Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e.V. (Kassel). „In Lebenskrisen geben Rituale Sicherheit. Nur wenn wir verstanden werden und unserer Sehnsucht Ausdruck geben dürfen, finden wir Trost“, sagte Geschäftsführer Dr. Dirk Pörschmann.

Schieszl-Rathgeb erinnerte an einen Leitfaden der Diözese Rottenburg-Stuttgart, der Kirchengemeinden anregen soll, Formen zu entfalten, um das Gedenken an die Verstorbenen wachzuhalten. Kirchengemeinden hätten etwa die Möglichkeit, Pflegepatenschaften für Gräber, die nicht gepflegt werden können, zu organisieren oder Grabfelder für fehl- bzw. totgeborene Kinder zu gestalten. Auch im Rahmen der Firmvorbereitung oder schulischer Projekte könnten sich Jugendliche um bestimmte Gräber kümmern und versuchen, etwas über die dort bestatteten Personen und ihr Leben
zu erfahren, erklärte die Ordinariatsrätin. Sie dankte den Initiatoren „für dieses herausragende Projekt der Friedhofsentwicklung" und zeigte sich überzeugt, dass mit dem Campus Vivorum „ein Lern- und Ideenfeld für
ein würdiges Erinnern und eine dem Leben und den Lebenden dienliche, heilsame und heilende Bestattungskultur eröffnet" wird.

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