pax christi

Bewegung ringt um Frieden

pax christi feiert 75.-jähriges Bestehen

Dr. Richard Bösch arbeitet seit 2016 als Geschäftsführer und Referent bei pax christi in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Bild: Diözese Rottenburg-Stuttgart / Eva Wiedemann

Die internationale katholische Friedensbewegung pax christi feiert in diesem Jahr ihr 75-jähriges Bestehen.

Angesichts des Ukraine-Kriegs ein besonderes Jubiläumsjahr, in dem der Einsatz für den Frieden vielleicht nötiger denn je ist. Im Interview spricht Richard Bösch, Geschäftsführer und Referent bei pax christi in der Diözese Rottenburg-Stuttgart (DRS) über Positionen, Veränderungen in der Friedensbewegung und warum gerade jetzt ein guter Zeitpunkt ist, sich pax christi anzuschließen. Bösch ist 41 Jahre alt, promovierter Politikwissenschaftler und seit 2016 bei pax christi.

75 Jahre pax christi hieß lange Zeit weitgehend Frieden in Europa. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat sich die Situation maßgeblich verändert. Die Friedensbewegung muss dazu Stellung beziehen. Wie positionieren Sie sich, Herr Bösch, und wie hat dieser Krieg in Europa pax christi verändert?

pax christi war schon immer skeptisch, wenn die Rede von 75 Jahren Frieden in Europa war. Denn unser Blick lag auch auf dem Rest der Welt und dem Anteil Europas an dem dortigen Unfrieden – wie beispielsweise im globalen Süden. Insofern war der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands ein Einschnitt, aber auch der startete eigentlich schon 2014 und damit auch unsere Auseinandersetzung mit dem Krieg in der Ukraine.

Nun ist dieser Krieg näher an uns herangerückt – politisch, wirtschaftlich, sozial, aber auch ganz individuell. Die schmerzlichen Ereignisse treffen uns alle mitten ins Herz und wir fragen uns, wie wir den Menschen helfen und das Leid und den Krieg beenden können. Ja, dieser Krieg fordert mehr denn je das Selbstverständnis von pax christi heraus. Unsere Mitglieder ringen heftig um friedensethische Positionen. Viele sind erschüttert, weil der über Jahrzehnte mühsam errungene und sicher geglaubte Fortschritt im Umgang mit Konflikten nun so brutal militärischer Gewalt gewichen ist.

Klar ist: Der Markenkern von pax christi ist die aktive Gewaltfreiheit. Diese Haltung bedeutet in der konkreten Situation für unsere Mitglieder, dass wir selbst in schwierigsten Situationen nicht nachlassen dürfen, nach Alternativen zur militärischen Gewalt zu suchen. Dabei ist allen bewusst, dass es keinen Königsweg zum Frieden gibt. Aber wir plädieren dafür, die diplomatischen Anstrengungen massiv zu stärken und kluge, zielgerichtete Sanktionen zu verhängen.

Mit diesen Vorschlägen stehen wir nicht allein da. Wir schließen uns damit den Forderungen einer Expert:innenkommission an, die im Vatikan getagt hat und u.a. Waffenstillstand und Verhandlungen, einen Sonderstatus für die Donbas-Regionen unter internationaler Überwachung und Sicherheitsgarantien fordert. Das Ziel von Diplomatie muss sein, einen endlosen Abnutzungskrieg oder, schlimmer noch, eine Konfrontation zwischen Atommächten zu verhindern.

Will Russland denn Ihrer Ansicht nach sprechen?

Wenn man durch Sprechen mit einem Kriegsverbrecher weiteres Blutvergießen verhindern kann, soll man das tun. Anhand des Getreideabkommens oder der Gefangenenaustausche zwischen Russland und der Ukraine sieht man, dass sich auf diplomatischem Wege etwas erreichen lässt. Dieses Potential sollte man nutzen. Das zeigen auch die historischen Erfahrungen: Kriegsparteien haben immer miteinander gesprochen. Es gibt eine Diplomatie hinter den Kulissen, von der wir oft erst im Nachhinein erfahren. Wir können also davon ausgehen, dass diese Geheimdiplomatie auch jetzt läuft und dort Spielräume für Waffenstillstandsvereinbarungen und Verhandlungen ausgelotet werden.

Sprechen Sie sich als pax christi für den Stopp von Waffenlieferungen aus?

Unser Plädoyer ist es, die Debatte aus der militärischen Engführung herauszuholen und den Fokus auf andere Wege zu richten. Das heißt nicht, dass die Nothilfe für die Ukraine falsch war. Jetzt sind allerdings dringend verstärkte diplomatische Initiativen notwendig.

Im Jahr 1948 wurde pax christi in Deutschland gegründet. Wie kam es damals zur Initiative?

Bereits vor Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1944 hatte sich unter französischen Christ:innen eine Bewegung gegründet, die unter dem Namen „pax christi in regno christi“ einen „Gebetskreuzzug“ für Deutschland ins Leben rief. Diese Gebetskampagne wurde unter das Leitmotiv der deutsch-französischen Versöhnung gestellt. Diese Idee ist während der Besatzung, mitten im Krieg geboren worden. Zu einer Zeit, in der alle Wut auf die Deutschen mehr als nachvollziehbar war.

Nach dem Ende des Krieges gehörte der Stuttgarter Kaufmann Franz Bardua zu denen, die in Deutschland als erste diese ausgetreckte Hand ergriffen. 1948 nahm Bardua an Begegnungstreffen der pax christi Bewegung teil und machte sich bald daran, die Arbeit von pax chrisi in der Diözese Rottenburg aufzubauen. Den vielfältigen Aktivitäten, Wallfahrten und internationalen Begegnungstreffen in Richtung Westen folgten in den 60er Jahren Initiativen in Richtung Osteuropa. Paul Klarmann aus Wangen im Allgäu, damaliger Vorsitzender des Diözesanverbandes organisierte die erste Begegnungsreise nach Polen.  Heute ist pax christi eine internationale Organisation, deren Mitglieder sich in über 60 Ländern der Welt für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen.

Wie würden Sie die großen (Veränderungs-)Linien im vergangenen dreiviertel Jahrhundert beschreiben?

Im Laufe der Jahrzehnte sind neben der Beschäftigung mit bewaffneten Konflikten und Kriegen immer neue Themen dazu gekommen, auch solche, bei denen es um strukturelle Gewalt, z.B. globale wirtschaftliche Ungerechtigkeit, oder um kulturelle Gewalt, z.B. Diskriminierung und Rassismus, geht.

Unsere Handlungsfelder gleichen einer Chronologie des 20. Jahrhunderts: Aus dem Anfangsimpuls der Versöhnung heraus ging es darum, in Zeiten des Kalten Krieges auf Abrüstung statt Militarisierung zu setzen und die Zerstörungskraft von Atomwaffen deutlich zu machen. Nach Ende des Ost-West-Konfliktes brachen global eine Reihe von anders gelagerten Konflikten auf, die das Thema Menschenrechte und Völkerrecht, den interreligiösen Dialog sowie Flucht und Migration auf die Agenda von pax christi brachten. Leitmotiv war und ist dabei immer, in enger Verbindung mit der Friedens- und Konfliktforschung zivile Konfliktbearbeitung mit ihren Methoden voranzubringen und bekannt zu machen.

pax christi bietet mittlerweile auch einen freiwilligen Friedensdienst für junge Erwachsene an. Diese haben so die Möglichkeit, in die Welt hinauszugehen und vor Ort bei einer unserer Partnerorganisationen in Friedensprojekten mitzuarbeiten – beispielsweise in Bethlehem.

Ein weiteres großes Thema ist die Friedensbildung. Referent:innen von pax christi sind in Schulen, in der Jugend- und Gemeindearbeit anzutreffen. Ein wichtiger Erfolg unserer Arbeit in diesem Bereich ist, dass wir es zusammen mit der Landesregierung und einer Reihe von Friedensorganisationen in Baden-Württemberg geschafft haben, 2015 die Servicestelle Friedensbildung zu gründen. Dort können nicht nur Materialien frei abgerufen werden, die Servicestelle bietet auch friedenspädagogische Fortbildungen Lehrer:innen an. (www.friedensbildung-bw.de)

Warum sollte jemand bei Ihnen Mitglied werden?

In 1980er Jahren hatte die Friedensbewegung tausende Mitglieder Friedensbewegung – heute sind es noch rund 500 Mitglieder. Der Mitgliederschwund betrifft pax christi wie viele gesellschaftliche Gruppen oder Vereine.

Wer sich heute für Frieden engagieren will, steht vor der großen Frage: Wie kann ich mich konkret für den Frieden einsetzen? pax christi zeigt, wie Friedensarbeit vor Ort in Verbindung mit globalen Themen gestaltet werden kann, wie man sich selbstwirksam in die Friedensbewegung mit christlicher Motivation einbringen kann. Unser Ziel ist es, den politischen Diskurs zu beeinflussen, strategische Lobbyarbeit zu machen und unseren friedenspolitischen Forderungen Ausdruck zu verleihen, auch durch kreativen Protest auf allen Ebenen. „Alle können Handwerker des Friedens sein“, sagt der Papst.

Wie feiern Sie Ihr 75-jähriges Bestehen?

In Leipzig findet ein großer pax christi Kongress statt, zu dem auch internationale Gäste eingeladen sind. Mit einer Sternwallfahrt ahmen wir die „Routes“ der ersten Gebetsbewegung aus Frankreich nach. Aus der DRS organisieren wir eine Fahrradreise nach Leipzig.

In Stuttgart feiern wir das diözesane Jubiläum vom 14. bis 16. Juli im Rahmen unserer Diözesanversammlung. Ich kann schon verraten, dass wir am 16. Juli in der Akademie in Plieningen ein prominent besetztes Podium haben. Dieses steht unter der Überschrift „Den Frieden gewinnen“. Diskutieren werden im Rahmen einer politischen Matinée Karen Hinrichs vom Friedensinstitut Freiburg, Theologie-Professor Michael Schüssler, Erziehungswissenschaftler Gregor Lang-Wojtasik, Professorin Hanne Margret Birkenbach (Uni Gießen) und Professor Olaf Müller (Humboldt-Uni Berlin).

Dazu darf ich schon jetzt herzlich einladen!

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